Ride A Long Long Chevrolet
Eine wahre Geschichte.
Die Namen sind verändert...,
um die Schuldigen zu schützen.
Seit Wochen suche ich ein neues, gebrauchtes Auto.
Mein alter Kadett rostet stark und bleibt hier und da schon mal stehen.
Die Versicherungen streiken. Es gibt keine Vorauszahlung, um mit Bargeld in der Tasche einen Gebrauchten zu erstehen.
Ich kann arbeiten gehen wie ein Bulle, doch mein Sparbuch bleibt verwaist.
Ich fahr beruflich eine Kehrmaschine und reinige Strassen und Werke, Betriebshöfe und Baustellen.
Es war ein Freitag. Feierabend auf dem Waschplatz, geduscht und sauber stand meine dicke Ludmilla neben mir. Der Dreck, der sich im Laufe eines langen Arbeitstages auf ihrer Blechhaut ansammelte, zierte nun meinen Arbeitsanzug.
Ich legte die Pistole des Dampfstrahlers zur Seite und sprach mit einem Kollegen darüber, das ich immer noch kein Auto gefunden hatte, welches ich mir leisten konnte.
Plötzlich kam ein Anruf, > du mußt noch nach eM bE! Die riefen grad hier an, morgen ist Neueröffnung und die Allee, welche zu den Neuwagen führt, ist noch dreckig. <
Ich konnte es mir aussuchen. Den Job sofort erledigen oder den Samstag opfern.
Also sofort erledigen und den Samstag retten!
Ich drehte den Schlüssel im Zündschloß, kurz danach rollte mein Brummer mich durch das Spalier der Luxusschlitten.
Gemeinheit des Schicksals.
Ich brauchte links und rechts nicht näher hinzusehen, solche Autos würde ich mir niemals leisten können.
Der noble Autohandel und Tuningwerkstatt ist mein Nachbar, ich wohne in einem gemischten Gewerbegebiet.
Einer der reichsten Männer unseres Landes stand vor dem Hauptportal und schickte mir seinen ersten Leiter, mich einzuweisen.
Wir sprühten Wasser auf dem Asphalt, reinigten die Strasse, die zu den auf Hochglanz polierten Fahrzeugen führte.
> Morgen ist Premiere! Ich strapaziere ihre Geduld nur ungern, aber könnten wir den Tank ihres Besenwagens noch mal mit Wasser füllen? Mein Chef hat in der Rinne noch etwas Staub entdeckt! <
Man ist kundenfreundlich. Also, Wasser marsch und noch mal vorbei an den protzigen Karossen.
> Ich hol mal meinen Boss! Er soll mal schauen, ob’s nun gut ist. <
Geduldig warten ich und mein Arbeitsgerät abseits des Portals. Nach einiger Zeit kommt der Mitarbeiter zurück, > könnten wir noch mal...? <
Es wurde spät! Der Freitagabend war lange angebrochen und der viertel nach acht Spielfilm lief schon einige Zeit.
> Die Strasse ist gleich weggeschrubbt, wäre es nicht besser, ihr Chef macht noch mal ne’ Abnahme? <
Ich konnte den Leiter überzeugen.
Ich stand am Anfang der Allee. Ich hatte die Schnauze voll, dauernd an diesen Edelkarossen vorbeigeführt zu werden. Überall war es nun schon still im Industriebgebiet.
Mein Brummi öffnete ein Ventil und ließ schnaufend Druckluft ab, ich wartete rauchend neben den Tellerbesen, weitab vom hell erleuchteten Eingang.
Diese Welt ist zu hoch für mich.
Der Betriebsleiter kam nach einer Viertelstunde heraus aus dem Gebäude mit dem Gründer dieses weltweit erfolgreichen Unternehmens.
Sie schauten in die Rinne, gingen die Strasse entlang auf mich zu. Der Spielfilm war jetzt fast zu Ende!
Faltenfreies, strahlendblaues Hemd, Edelkrawatte. Die grauen Haare gestylt und das Gesicht sonnenbankgebräunt, so stand der Besitzer der Nobelautoschmiede vor mir.
> Danke! < Lächelnd drückte er mir eine Minitafel Schokolade in die Hand und lachte mich an.
Mir kam der Gedanke: So fängt wahrer Reichtum an?
Die Entlohnung eines reichen Mannes an mich.
Von jedem Bergmann hätte ich in diesem Fall einen Pott Kaffee, ein Päckchen Tabak und mindestens fünf Euro bekommen.
Aber ich wollte nicht undankbar sein. Das Lächeln dieses Herrn war echt, er hatte es gut gemeint!
Später dann auf dem Parkplatz trat ich an mein Auto.
Müde warf ich meine Arbeitstasche durch die geöffnete Tür auf den Sitz, der Mond stand schon hoch am Himmel.
Ich betrachtete meine faltigen, ölverdreckten Hände und senkte meinen Kopf auf das Dach meiner alten Rostlaube. Tränen rannen über das Blech.
Es waren Lachtränen eines bitteren Lachens!
Mir fiel der Text eines alten Songs von ACDC ein:
You put it up and we'll put it down
If you've got the dollar, we've got the song
Just wanna Boogie Woogie all night long
I got holes in my shoes
I got holes in my teeth
I got holes in my socks
I can't get no sleep
I'm trying to make a million
And I got patches on the patches
On my old blue jeans
Sekt oder Selters?
Vom Buffet des Lebens habe ich eindeutig das Ende des gedeckten Tisches erwischt, auf dem ellenlang nur Mineralwasser steht.
Zwischen tausend millionenteuren Luxusautos fahr ich nur eine Kehrmaschine.
Den Sekt trank der Kunde mit seinen Geschäftspartnern in seinem neuen Palast!
Und auf dem Weg zum Parkplatz sah ich in der Werkstatt der Firma, für die ich arbeite, den bE eM meines Bosses stehen, der von den Mechanikern der Spätschicht eingewachst wurde.
Mein Chef hatte den Spielfilm sicher mitgekriegt.
Ich aber kann arbeiten, bis die Sonne untergeht und hab nicht mal das Geld für einen einigermaßen guten Gebrauchtwagen.
Nur für einen Moment spürte ich den Einstich des Speeres der Verbitterung. Dann zog ich die blutige Spitze heraus aus meiner Brust. Ich bin reichlich entlohnt worden, weil dieser Tag für mich zu einem Kunstwerk wurde, ohne das ich eine Menge Geld bezahlen mußte.
Denn, Freunde! Hängt uns auch der Arsch voller Tränen.
Wir können schreiben! Wir können uns die Zeit und die Muße nehmen, um solch kleine Geschichten aufzuschreiben und um so etwas zu erleben, dafür bin ich dankbar.
Die Minitafel Schokolade, welche ich geschenkt bekam, werde ich aufbewahren.
Denn sollte ich eines Tages mit meinen Storys ein reicher und berühmter Autor werden, lasse ich sie mir in Kunststoff gießen. Ich werde sie mir auf das Armaturenbrett meines chromglänzenden, nagelneuen Autos kleben.
Und wenn ich dann mit meinem langen, langen Chevrolet die Avenue entlang gleite, wird sie mich immer an diesen Tag erinnern. Und auf das ich niemals vergesse, wo ich herkomme!
Und wo wahrer Reichtum anfängt.
Im Westen, April 2004