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Rielmaier spielt Hemingway

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07.06.2007
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Rielmaier spielt Hemingway

Rielmaier hantierte sehr sachte mit dem Bohrer. Seine Patienten beschwerten sich so gut wie nie, denn er war auch ein Meister im Anästhesieren. Er zog nach seiner Arbeit genüsslich seinen weißen Kittel aus und steckte sich einen Zigarillo an, um noch Geschäftliches an seinem Schreibtisch zu erledigen. Niemand ahnte, was in ihm vorging. Es brodelte in ihm, und er, der passionierteste aller Hobbyjäger, hatte in seinem krankem Gehirn eine würdige Alternative zur afrikanischen Großwildjagd à la Hemingway gefunden: Heute Abend würde er Kühe jagen. Rielmaier hatte nicht vor, sie mit seiner Büchse zu erlegen, er würde sie vom Auto aus hetzten, von seinem allradbetriebenen Subaru. Er hatte extra für die Rinderhatz eine Zielvorrichtung montiert, ein Fadenkreuz, mit dem er die Leitkuh aufs Korn nehmen wollte, und er hatte seinen Desert Eagle 5.0 Revolver im Handschuhfach, um ihr, wenn nötig, den Fangschuss zu verpassen.
Rielmaier wusste, dass in der Riedlandschaft Galloway-Rinder grasten, eine sehr genügsame schottische Rasse, oder sollte er nicht lieber die schwereren Angus-Rinder auf der weiten Lichtung im Hardtwald jagen? Er entschied sich für das Fleckvieh am Bischweierner Bahndamm, und er konnte noch nicht ahnen, dass er an diesem Abend den gesamten Bahnverkehr der Murgtalbahn zwischen Rastatt und Freudenstadt lahm legen sollte.
Martha Stadell war eine tadellose Magd für ihre Kühe, sie molk sie zeitig, wenn die schweren Euter noch nicht drückten, um den hochleistungsfähigen Milchrindern jede noch so kleine Unannehmlichkeit zu ersparen. Ihre aufopferungsfähige Mühe und Pflege wurde allerdings in keiner Weise belohnt, und sie war schlecht versichert, was Rielmaier weder ahnte noch störte.
Was ich damit zu tun habe? Ich kannte bis zu diesem besonderen Tag weder Stadell noch Rielmaier, sollte aber alles nötige aus den Zeitungen der Tage darauf erfahren. Und ich war regelmäßiger Fahrgast der Murgtalbahn. Sie ahnen etwas? Ja, ich saß an jenem Abend in der Bahn, als ich zwei dumpfe, offenbar riesige, schwere, unbekannte Objekte aufprallen hörte, um dann die Scheiben der Front und des vorderen linken Zugteils in etwa so rot wie Himbeermarmelade verschmiert zu sehen. Es stank entsetzlich nach Blut und Benzin, der Fahrer hatte offenbar eine Vollbremsung hingelegt, Marie fiel mir in die Arme, weil sie sich nicht mehr festhalten konnte. Sie war vom Schock etwas benommen, und ich sah das Desaster erst, als ich mich umdrehen konnte, aber erst in diesem Moment begriff Marie, dass ich mich um sie kümmern würde. So hatte selbst diese kleine Katastrophe etwas Gutes, wenn man davon absah, dass ein Wiederkäuer recht qualvoll sein Leben gelassen hatte und dass Rielmaier sich für längere Zeit in kollegiale Hilfe seitens mehrerer Fachärzte für Psychiatrie begeben musste.Ganz zu schweigen von seinem Subaru...

 

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