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Rien ne vas plus
Wie groß ist die Chance im Lotto sechs Richtige zu ziehen und vielleicht sogar noch die Zusatzzahl zu erraten? Jeder „Mensch Ärger Dich Nicht“ - Spieler weiß, dass es manchmal Ewigkeiten dauern kann, bis man endlich eine 6 wirft und aus dem „Pott“ kommt.
Doch mit den Wahrscheinlichkeiten ist das so eine Sache. Gelegentlich geschehen Ereignisse, deren Eintreten derart unwahrscheinlich ist, dass ein Mathematikprofessor verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde. Dies ist häufig dann der Fall, wenn mehrere Komponenten zusammentreffen…
Albert wusste bereits, dass es gleich krachen würde. Die ältere Dame in dem PKW hinter ihm war kurz eingenickt. Jetzt war sie wach und trat auf die Bremse. Zu spät. Die harte Front des Benz bohrte sich in seinen Renault. Albert wurde kräftig durchgeschüttelt. Mürrisch stieg er aus dem Wagen, den er seit gut acht Jahren fuhr und lieb gewonnen hatte.
Die Frau zitterte: „Mein Herr, es tut mir furchtbar leid! Ich werde sie für die Unannehmlichkeiten natürlich angemessen entschädigen.“ Sie war kurz davor in Tränen auszubrechen. Eigentlich war Albert mehr als aufgebracht, aufgrund der Verfassung seines Gegenübers bemühte er sich jedoch um Freundlichkeit: „Nichts für ungut, Gnädigste, so etwas kommt in den besten Familien vor. Jetzt rufen wir erst einmal die Polizei und regeln dann die Angelegenheit in aller Ruhe.“
Die Unfallgegner hatten beschlossen, zunächst die Tatwerkzeuge aus der Gefahrenzone zu entfernen und am Straßenrand zu parken. Als Albert aus seinem ramponierten Wagen stieg, schaute er sich um, schüttelte den Kopf und suchte mit den Augen vergebens die Straße ab. Es war unglaublich: Die nette alte Dame hatte Fahrerflucht begangen.
Wie es der Zufall wollte, war Albert Meron selbst Polizist und hatte die lästige Angewohnheit sich Nummernschilder zu merken. Jetzt saß er in seinem Büro, die Füße auf dem Tisch, und schlürfte einen Milchkaffee. Es klopfte an der Tür. „Nur hereinspaziert“, rief Albert gut gelaunt. Einen Moment später stand sein Assistent Simon völlig außer Atem vor ihm: „Cheffe, du wirst nicht glauben, was ich herausgefunden habe.“ Meron wollte etwas erwidern, aber Simon liess ihn nicht zu Wort kommen. “Ich habe das Kfz- Kennzeichen checken lassen. Du kennst doch Mike ‚The Face’ Cunningham. Auf ihn ist der Wagen zugelassen.“ Albert verschluckte sich an seinem Kaffe und hustete. Natürlich kannte er „The Face“.
„Herr Kommissar. Was verschafft mir diesen ehrenvollen Besuch?“ Mike grinste, was seinem narbenverzierten Gesicht ein bizarres Aussehen verlieh.
„Nun ja, ihre Frau Mama und ich, wir hatten eine schicksalhafte Begegnung. Sie hat meinen guten alten Clio etwas aus der Form gebracht, hatte dann aber wohl einen dringenden Termin.“
„So, so.“ Mike hob eine seiner buschigen Augenbrauen. „Ich habe meiner Frau Mama eben angeraten, sich nicht mit dubiosen Gestalten abzugeben.“
„Da frage ich mich nur, warum sie immer noch ihre Wäsche wäscht.“
„Das ist ja alles sehr lustig Herr Kommissar, aber was wollen sie jetzt von mir? Ich habe zu tun.“
Albert entgingen nicht die Schweißperlen, welche auf Cunninghams hoher Stirn glänzten. Der einschlägig vorbestrafte Gewaltverbrecher schien nervös zu sein.
„Was halten sie davon, wenn ich es mir bei ihnen auf dem Sofa bequem mache und wir bei einem Käffchen in aller Ruhe die Details klären?“
Mike lächelte gequält: „Ein anderes Mal sehr gerne Herr Kommissar, jetzt habe ich wirklich keine Zeit. Ich stelle Ihnen einen Scheck aus.“
„Wir sollten wirklich…“, Albert blickte zur Einfahrt. Cunningham fluchte lautlos, als sein Komplize, der wohl den Kommissar erblickt hatte, hastig den Benz zurücksetzte, um von einer gesetzestreuen Straßenlaterne abrupt gestoppt zu werden. Ausgleichende Gerechtigkeit, dachte der Kommissar. „The Face“ ballte die Fäuste. Er wollte zuschlagen, überlegte es sich aber anders und nahm die Beine in die Hand.
„Mr. Cunningham, das weiße Pulver aus ihrem Wagen ist höchstwahrscheinlich nicht das Waschmittel ihrer Frau Mama. Aber wir überprüfen das.“
Mike schwieg.
„Sie sollten über eine strikte Trennung nachdenken: Ein Auto für Privatzwecke und einen ‚Dienstwagen’. Aber vermutlich können sie sich damit erstmal Zeit lassen.“ Albert lächelte. „Dabei habe ich doch eigentlich nichts gegen Engländer. Nur die Geschichte mit Jeanne D’Arc… Das war wirklich ein starkes Stück.“
„Dabei habe ich doch eine Schwäche für Jungfrauen.“ Mike spuckte auf den Boden des Vernehmungszimmers.
Albert Meron war zufrieden. Niemals zuvor hatte er innerhalb so kurzer Zeit einen Fall gelöst.