Rosa
Sie hörte ein Plätschern wie von einem Wasserfall. Ein leichtes und leises Plätschern und sie sah ihn vor sich wie er im schwülen, tropischen Rot der Abenddämmerung in Kaskaden in das tiefe, glasklare Wasser des mit Seerosen gesprenkelten Teiches hinablief. Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass er auf den Tisch gekotzt hatte. Seine rosa Hustensaftkotze in einer großen Pfütze auf dem schönen Glastisch. Schleimige Fäden trieften zäh an den weißen Tischbeinen hinab wie eine müde Spinne, die ihr Netz zwischen Tisch und Teppichboden zu spinnen begonnen hatte. Sie wandte ihren trägen Blick auf ihn und sah ihn vor dem Tisch in der Hocke sitzen, seinen nackten, schweißnassen Oberkörper wie in einer sanften Melodie, die nur er selbst hörte hin- und herwiegend, seine glupschenden Augen und seinen Mund halb geöffnet, sein Gesicht gedunsen und von Anstrengung unnatürlich rot. Rotz floss ihm in einem dünnen Rinnsal aus der Nase. Ihr war plötzlich nach Lachen zumute. Er sah so komisch aus, so unendlich komisch. Sie begann zu kichern, immer lauter und ihr Kichern wandelte sich trotz des beißenden Geruchs seiner Kotze, der ihr jetzt in die Nase stieg, in irres und lauthalses Lachen. Sie suchte ihre Stimme, die sie in diesem endlosen, wattigen Tunnel von dieser Trägheit am tropischen Wasserfall und dann dem Lachen, das nicht enden wollte, verloren hatte.
„Mensch, weißt du, wie du aussiehst?“
Er versuchte seine glasigen Augen ein wenig weiter zu öffnen und sie anzusehen.
„Weißt du wie du aussiehst? Hey, guck dir das an!“
Sie stand aus dem Sessel auf, in dem sie zusammengerollt gelegen hatte und ging um ihn herum, erst langsam, dann immer schneller. So schnell, dass ihr davon schwindelig wurde.
Seine Füße waren nackt, die Zehen gebogen, als sei er ein großer, schwerer Vogel, der sich mit seinen Krallen an einem viel zu dünnen Ast festhielt, damit ihn den Wind nicht wegwehte.
Sie lachte.
„Wie ein Wasser-Dings. Ein Wasser-Dings. Diese komischen Viecher mit Flügeln, die auf Kirchen sitzen.“
Lachte.
Seine knochigen Beine und der Hintern, die sich durch die dunkle Jogginghose abzeichneten.
„Uh, ein Wasser-Dings, das böse Geister verjagt.“
Sein Rückgrat, das sich deutlich aus den spärlichen Muskeln in einer Wölbung am Rücken hob.
Sie tanzte lachend um ihn herum.
„Ein Wasser-Dings, ein furchtbares, abschreckendes Wasser-Dings!“
Wasserspeier“, murmelte er.
Sein Mund mit den trockenen aufgesprungenen Lippen und der einzelnen Schweißperle, die sich am Rand der Oberlippe niedergelassen hatte.
„Ja, ein Wasserspeier, Wasserspeier, Wasserspeier!“
Seine dünnen, muskulösen Arme wie blaugrauer Marmor.
Sie tanzte auf ihn zu, um den Tisch herum, bekam plötzlich unbändige Lust auf ihn.
„Wasserspeier, Wasserspeier.“
Er küsste sie auf den Mund.
„Kotzespeier, rosa Kotzespeier!“
Sie erwiderte seinen Kuss trotz des sauer-bitteren Geschmacks im Mund. Sie lachte.
„Rosa Hustensaftkotzespeier!“
Sein Oberkörper wiegte nicht mehr, die Musik war wohl verstummt.
Sie erschrak. Es war so still. Kein Plätschern, kein Husten. Keine Lust mehr, keine Lust auf Lachen. Angewidert stieß sie ihn von sich weg. Auf dem Weg hinaus aus dem Zimmer, taumelte sie, schwankte, spürte ihre Beine kaum, nur dieses unbändige Gefühl von Angst, klarer, steinkalter Angst.
Tobi lag in seinem Bettchen. Sein Gesichtchen war nicht mehr rosa, seine Ärmchen weiß. Die leere Flasche mit dem Hustensaft lag achtlos hingeworfen auf dem Wickeltisch. In der Totenstille hörte sie nichts mehr außer dem Plätschern ihrer Tränen, die über ihre eiskalten Wangen rannen.