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Rosengrieß
Das Schweigen, mit dem du in die Küche gekommen warst, hatte den Höhepunkt seiner Ungemütlichkeit gerade überschritten und begann zu meiner Erleichterung, es sich bequem zu machen.
Ich entspannte mich deswegen ein wenig, während ich einen großen Esslöffel Vanillinzucker über meinen viel zu heißen Grießbrei schüttete. Der süßliche Dampf stieg in adretten Schwaden aus meinem Teller auf. Gemischt mit dem Qualm deiner Zigarette ergaben sich immer wieder neue Formationen, die durch den Zug von dem undichten Fenster her einen fantastischen ornamentalen Variantenreichtum hatten. Ich konzentrierte mich so lange darauf, keine davon zu verpassen bis die zartgelbe Masse in meinem verblassten Blümchenteller sich einer annehmbaren Temperatur angenähert hatte. Nachdem ich ein letztes Mal bedächtig umgerührt hatte, probierte ich eine kleine Portion, indem ich sie an meinen Gaumen klebte und mit meiner Zungenspitze immer wieder darüber strich. Auf diese Weise aß ich langsam meinen Teller leer.
Mit jedem Löffel, der über meine Lippen glitt, wurdest du wütender. Das Scharren des Metalls auf dem Porzellan, als ich die letzten Reste genüsslich auskratzte, gab dir den Rest. Der Stuhl kippte um und schlug laut auf den Fliesen auf, als du aufgesprungen bist. Dass du es nicht mehr aushältst mit meiner unmenschlichen Hartherzigkeit, hast du gebrüllt, dazu die schon lange geballte Faust auf die Tischplatte prallen lassen. Dass ich gefälligst toben soll und schreien, aber nicht so tun, als sei nichts. Ob ich überhaupt begriffen hätte, was du zu mir gesagt hast. Im Anschluss bist du in Tränen ausgebrochen. Ich nahm deine Hand, um dich zu beruhigen. Das Taschentuch, das ich dir angeboten habe, hast du abgewehrt, um dein eigenes aus der Jeans zu zerren. Mit gebrochener Stimme hast du gesagt, dass du mit allem gerechnet hast. Dass ich sofort ausziehen würde. Dass ich beginnen würde, dich zu hassen. Dich wenigstens zu beschimpfen und an deiner Liebe zu zweifeln. Mit mächtiger Wut bei allem. Mit großen Emotionen. Doch statt dessen bin ich einfach ruhig geblieben. So lange, bis du das alles selbst übernommen hast.
Ich war selbst überrascht, dass mich dein Geständnis so wenig aufgewühlt hatte. Ich musste erst darüber nachdenken. Statt an deiner Liebe zu zweifeln, zweifelte ich an meiner. Prüfte meine Zweifel, machte die Gegenprobe und fragte mich spöttisch selbst, ob ich ein schlechtes Gewissen haben musste, weil meine Reaktion nicht den Erwartungen entsprach. Studierte, um meine Gedanken abzukühlen, zwischendurch die Holzmaserung des Küchentischs und rechnete ungefähr aus, wann die zarten Knospen des dürren Bäumchens vor dem Fenster vermutlich in etwa aufbrechen würden. Die Erkenntnis kam zeitgleich mit einem Sonnenstrahl, der auf das staubige Fenster fiel. Ich musste niesen und lachte. Dann drehte ich mich zu dir, um dich zu umarmen, falls du noch da wärst.