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Rote Wände

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30.12.2002
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Rote Wände

Es ist ein dunkler, hoher Raum. Die Wände sind mit roter Tapete bespannt, oben an der Decke verläuft eine weiße Stuckkante einmal um das ganze Zimmer.
Eine Wand wird völlig von einem riesigen Fenster eingenommen, das von schweren, dunkelroten Samtvorhängen eingerahmt ist. Durch die blinden Fensterscheiben dringt die stille, dunkle Nacht herein. Beruhigend und bedrohlich zugleich.
An den Wänden stehen keine Möbel, nur in der Mitte des Raumes, dessen Boden mit Parkett ausgelegt ist, steht ein großes Himmelbett.
Daneben steht ein Biedermeier - Frisiertisch mit einem bequemen Ohrensessel davor.
Beleuchtet ist der Raum von einem Meer aus Teelichtern, die überall auf dem Boden zu kleinen und größeren Lichterseen zusammengestellt wurden, und zwei großen, schweren Kerzenleuchtern, links und rechts neben dem Kopfende des Bettes.
In dem Sessel sitzt eine blasse, schlanke Frau mit langen, schwarzen Haaren. Sie ist mit einem knöchellangen, schwarzen Samtkleid bekleidet und beobachtet müde ihr Gesicht im Spiegel der Frisierkommode.
Der ganze Raum ist angefüllt von den wunderbaren Klängen einer schweren, melancholischen Musik, bittersüß und schmerzhaft.
Herzzerreißend.

Die Frau hält eine Haarbürste in der Hand, mit der sie sich eben noch die langen, seidigen Haare geglättet hat. Doch nun ist die Hand mit der Bürste auf ihr Knie gesunken, liegt tatenlos da, still, entspannt, weiß, zerbrechlich.
Die Frau sucht im Spiegel ihre Augen, findet sie endlich, kann den Kontakt nicht halten.
Ihre Augen füllen sich mit Tränen.
Mehr, und immer mehr Tränen sammeln sich, fließen zusammen, werden ein Ozean.
Die Augen können die Tränen nicht mehr halten, sie rinnen leise und unaufhaltsam weiter, an der Nase entlang, über das Kinn den Hals hinunter.

Durch die Tränen blind geworden, wendet die Frau den Blick vom eigenen Spiegelbild ab und sieht zu Boden. Sie findet ihre nackten Füße, die unter dem Kleid hervorschauen.
Sie öffnet die Hand, die die Bürste hält.
Die Bürste fällt zu Boden, das Geräusch wird von der aufbrausenden Musik verschluckt.

Sie hebt die Hand langsam und streckt sie zur Kommode aus, auf der ein Glas Rotwein steht. Sie umschließt das Glas, fest, ganz fest. Sie drückt mit aller Kraft zu, so dass die Knöchel ihrer Hand weiß und hart durch die Haut treten.
Sie hebt das Glas langsam an und führt es mit der Hand Millimeter um Millimeter unendlich langsam und bedächtig, wie einen kostbaren Schatz, den es nicht zu verlieren gilt, zum Mund. Kurz bevor sie diesen erreicht, senkt sie das Glas wieder ab und stellt es hart auf den Tisch zurück. Fast wäre es zersprungen.
Sie wendet den Blick zum Bett, in ihren Wimpern hängen Tränen wie schimmernde Perlen, schwer und kostbar. Auf dem Bett liegt ein seidener, schwarzer Überwurf, darunter zeichnet sich etwas Erhabenes ab. Die Frau schließt die Augen, und die Tränenperlen fallen ab.
Sie öffnet die Augen wieder, wendet den Blick vom Bett ab und erneut ihrem Spiegelbild zu. Sie sucht ein Einverständnis, findet es ….
Entschlossen ergreift sie erneut zum Weinglas, führt es zum Mund und trinkt es in einem Zuge leer. Mit dem Handrücken der linken Hand wischt sie sich daraufhin entschlossen den Mund ab, mit der rechten Hand wirft sie das Glas hinter sich zu Boden, wo es in tausend kleine Scherben zerspringt.
Sie erhebt sich aus dem Sessel und schwebt, getragen von der mysteriösen, traurigen Musik zum Bett. Dort angekommen, atmet sie tief ein und wieder aus. Sie schließt die Augen und wartet. Wartet. Steht da, wie eine Statue und wartet.
Dann nimmt sie entschlossen den Überwurf in die Hand und reißt ihn vom Bett herunter. Er ist so luftig und leicht wie ein Nebelhauch, bauscht sich kurz auf, weht zu Boden, wo er langsam in sich zusammenfällt, zu einem kleinen, unansehnlichen Häuflein Stoff.

Jetzt ist frei gegeben, was sich vorher durch den Stoff abgezeichnet hatte.
Die Frau starrt müde auf den Körper, der da vor ihr auf dem Bett liegt.
Berauscht von der Musik und dem Getränk, das sie zu sich genommen hat, ergreift sie einen der Leuchter, hält ihn über den Körper und lässt das Wachs auf ihn hinabregnen. Ein irres, kleines Lachen entringt sich ihrer Kehle und mischt sich schmerzhaft mit den Tränen, die ihre Augen weinen.
Der Körper auf dem Bett rührt sich nicht. Er kann sich nicht mehr rühren, denn er ist leer. Er ist entseelt.
Sie stellt den Leuchter schwer atmend wieder ab und legt sich langsam auf das Bett. Sie umklammert den Körper, die Hülle, die Überreste und schmiegt sich zärtlich an ihn. Sie haucht ihm einen Kuss auf die kalte Stirn.
Langsam entfalten die Tabletten, die sie im Rotwein aufgelöst hatte, ihre Wirkung. Zu der schmerzlichen Musik gesellt sich ein Rauschen und Dröhnen, das aus ihrem Inneren kommt. Ihre Augen nehmen das Licht im Raum nicht mehr wahr, es wird dunkel und es wird alles unendlich friedlich und warm. Jetzt hat sie es fast geschafft, der Rest wird ein Kinderspiel sein.
Endlich muss sie keine Angst mehr haben, dass man ihr ihren Sohn wegnimmt.

 

@ Jynx, vielen Dank für deine ausführlichen Anmerkungen und deine ausführliche Kritik. Du hast mir wertvolle Denkanstöße geliefert. Danke.


@ A.C.
Größere Schriftsteller als du und ich haben sehr vieles (eigentlich alles) schon tausendfach zu Papier gebracht. Aber das hält mich nicht davon ab, es im kleinen auch mal zu versuchen. Und du musst mein Geschriebsel ja nicht lesen, das ist das Gute für dich.
Ich werde mir die Freude am Ausprobieren aber nicht nehmen lassen, denn dafür sind wir doch hier. Um zu lernen. Oder? :-)

l.G.
Barbara

 
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In die Tonne trete ich sie nicht, aber vielen Dank, dass du dir so viele Gedanken gemacht hast. Ich nehme konstruktive Kritik immer gern an, denn, wie schon gesagt, ich bin hier um durch eure Hilfe dazuzulernen. Und ich bin keineswegs glücklich über liebevolle, weil freundschaftliche Güte. Das brauche ich wirklich nicht!
Aber deine Kritik hat mich - ganz ehrlich - in der Art und Weise, wie sie formuliert ist, etwas verletzt. Aber das ist mein Problem. Ich akzeptiere total, dass dir meine Geschichte nichts gibt.
l.G.
Barbara

 

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