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Roter Sand
Die Sonne brannte an diesem trockenen Nachmittag auf der Haut. Eine leichte Böe wirbelte den kochenden Sand in die Luft. Die Wüste war ebenso lebensfeindlich, wie sie pur war. Niemand konnte sie betrügen. Wer in ihr überleben wollte, der musste ehrlich zu sich sein, denn sie war nicht für ihre Barmherzigkeit bekannt. Ein Meer aus Leichen, aus Leben und aus Tod.
Inmitten dieser unwirklichen Stille erzürnt eine Bestie aus heißem Metall, Öl und Rauch. Auf diesem zweirädrigen Ungetüm ritt eine vermummte Gestalt, ebenso fremd wie ihr Gefährt. Die Laken tief ins Gesicht gezogen, kannte sie nur ein Ziel, am Ende der endlosen Ebenen. Ein Koloss aus rotem Stein, der sich zwischen den Fluten auftat, so alt wie die Wüste selbst.
Die Einheimischen nannten ihn „Karli Tamboi“, den Unbezwingbaren. Für die Fremde auf ihrem eisernen Ross war er dennoch nicht mehr als ein weiteres Hindernis auf ihrem langen Weg zur Erlösung. Ein Treffpunkt mit einem alten Bekannten. Zu verhasst, um ein Freund zu sein und doch nicht bösartig genug, um sich einen Feind zu schimpfen.
Er wartete bereits auf sie und bemühte sich dabei kein bisschen, sich zu verstecken. Stattdessen thronte er auf dem steinernen Weisen, als würde er ihm gehören. Er freute sich, ein weiteres Mal mit ihr zu tanzen und das zu einem Stück, das sie so oft miteinander genossen hatten. Voller Leidenschaft und gar erfüllt von stechender Zwietracht würden sie sich umschlingen, je mit einer Rose in der einen und einer Klinge in der anderen Hand.
Das stählerne Biest kam zum Halt und von ihm stieg sie, die Mademoiselle, die Schafrichterin, die Kämpferin. Mit einem kräftigen Ruck befreite sie ihr vernarbtes und doch reines Gesicht von dem verschwitzten Fetzen und zog sich die rostende Brille von den dunkelrot glitzernden Augen. Misstrauisch starrte sie ihm dabei in die Augen.
„Du bist spät“, zischte er mit einer unverschämten Zuversicht.
Doch sie ließ sich nicht auf sein Machtspielchen ein. Stattdessen warf sie ihm ein Säckchen, gefertigt aus schwarz gefärbtem Leder, entgegen.
Seine Augen blitzen auf, sichtlich überrascht von dem Gewicht des kleinen Beutels. Gierig blickten seine pechschwarzen Pupillen in das Innere. Befriedigt von dessen Inhalt, packte er das Säckchen in seine Tasche.
„Es wird Zeit, dass du deinen Teil der Abmachung einhältst“, entgegnete sie ungeduldig.
Er lachte auf und schüttelte amüsiert seinen Kopf. Verführend schlängelte er sich näher.
„Du bist doch gerade erst angekommen. Wir sollten deine Ankunft erstmal gebürtig feiern, bevor wir fortfahren. Es ist stechend heiß hier draußen. Du musst doch furchtbar durstig sein.“
Ihre Miene verdunkelte sich.
„Zwing mich nicht, ungemütlich zu werden. Ich habe keine Zeit, deine Spielchen zu spielen, Kalib.“
Entzückt wandte er sich um sie herum und fuhr dabei mit seinem knochigen Finger über ihren Hals.
„Warum nicht? Lass uns spielen, nur ein einziges Mal“, jaulte er auf.
Blitzschnell packte sie einen Arm.
„Lass es!“
Es interessierte ihn nicht. Nur noch mehr von ihrer Wut angestachelt, rammte er den spitzen Nagel seines Zeigefingers in seine Handinnenfläche. Dunkelrotes, beinahe schwarzes Blut begann aus der Stelle zu fließen.
„Du siehst so menschlich aus, doch die Details verraten deinesgleichen. Deine Adern pulsieren nicht und in deinen Augen versteckt sich keine Seele. Und doch versuchst du den zu finden, der dir das angetan hat. Der Schuft, der dich mit unsterblicher Schönheit und unbezwingbarer Kraft gesegnet hat und das nur in der Hoffnung, aus dir wieder das schwächliche Mädchen zu machen, das du einst warst. Du versuchst dein Geschenk zu verleugnen, und doch kannst du dich dem Ruf des Blutes nicht entziehen. Sag mir, dürstet es dich so sehr danach, wie es mich nach einem Tropfen Wasser in dieser trockenen Hölle dürstet?“
Wutentbrannt stieß sie ihn daraufhin beiseite. Der Mensch in ihrem Wesen verschwand. Wild wie ein Tier warf sie sich in den Sand und versuchte die wenigen Tropfen Blut zu fassen zu bekommen, nur um verzweifelt mitanzusehen, wie der rote Saft in den körnigen Tiefen verschwand.
„Die Wüste nimmt sich, was sie braucht. Sie schert sich nicht um deinen Fluch, denn er kann ihr nichts anhaben“, stellte er ermuntert fest.
Ihre wilden Augen wendeten sich nun Kalib zu. Wanderten erst zu seiner Hand und dann in sein Gesicht, dessen Ausdruck sich blitzschnell zu einer ernsten Miene wandelte, als er erkannte, was sie vorhatte.
Hektisch versuchte er, seinen Dolch zu zücken, doch sie war schneller. Mit einem kräftigen Sprung hechtete sie sich auf ihn und riss ihn zu Boden. Die Klinge purzelte ihm dabei aus der Hand und fiel außer Reichweite.
Fauchend riss sie seinen Kopf zur Seite und legte dabei seine vor Aufregung pochende Halsschlagader frei. Er versuchte, sich loszureißen, doch ihr Griff war zu kräftig. Er hätte es besser wissen müssen, doch seine Überheblichkeit hatte ihn geblendet.
Sie kam so nah, dass er ihren kalten Atem auf seiner Haut spüren konnte.
„Also, wo ist er? Ich würde es lieber durch deinen Mund, als durch dein Blut erfahren.“