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Ruhe im Saal
Victor schloss seine Sachen in den Spind der Bibliothek und durchquerte die drei Räume. Xaver saß schon da, die FAZ vor sich ausgebreitet. Der Penner, der immer die Bild las, war auch da und eine junge, in ein Buch vertiefte Frau. Nichtsagend. Er schaute schnell weg, dass sie nicht seinen Blick auffing und ihm Bedeutung beimaß. Sacht setzte er das teure Stück von Laptop ab, klappte den Bildschirm auf. Ein Hotspot war in der Nähe. Umständlich raschelnd faltete Xaver das Riesenblatt, er war bei den Aktien hängen geblieben, zusammen. Victor winkte lustlos ab. Er würde später mal in sein eigenes Unternehmen investieren. Manchmal interessierte ihn die Taktik, nie aber die Zahlen selbst. Stellenabbau angekündigt? War das nötig, die Leute mit Lauthalsigkeit unnötig auf die Palme, er lachte in sich hinein, Urlaub gestrichen, also auf die Straße, zu bringen? So brachte man die Kurse hoch. Das wusste er mit 14.
Er klärte Xaver auf. Auch über das zarte Alter seiner Erkenntnis. Sie kamen ins Reden. Lachten. Plötzlich stand die junge, nichtsagende Frau neben ihnen. „Ich glaube doch, dass es sich hier um eine Bibliothek handelt und ich würde euch bitten, euch entsprechend leise zu verhalten. Ich würde mich nämliche gerne konzentrieren,“ zickte sie rum. Sie hielt sich am Tisch fest. Ihre Stimme bebte. Er grinste: „Das ist der Lesesaal, ein öffentliches Forum, da ist es sogar erwünscht, dass man sich rege austauscht und die Inhalte kommentiert und diskutiert… .“ Sie war ganz offensichtlich geplättet. Er fügt hinzu: „Aber ihnen zuliebe werden wir leise sein.“ Sie nickte irritiert, drehte sich auf dem Absatz um setzte sich wieder hin.
Xaver und Victor zwinkerten sich zu. Die beiden betrachteten einen kurzen Moment den Rücken. Sie hatte sich an ein Fenster gesetzt und konnte Bäume sehen, die Ellenbogen auf dem Tisch, den Kopf in die Hände gelegt, die Daumen dicht am Ohr. Der Rücken hob sich ein paar Mal, tiefes Einatmen. Dann stand sie wieder auf, klappte das Buch zu und sammelte ihre Unterlagen zusammen und wollte den Raum verlassen. Sie kam noch einmal an dem Tisch vorbei, an dem sie sich gerade eine Abfuhr geholt hatte. „Wenn ich die Ruhe nur ihrer männlichen Kulanz zu verdanken habe, dann verzichte ich darauf. Ich wünsche frohes Salonparlando.“
Sie entfernte sich lautlosen Schrittes. Als sie an der Theke vorbei kam, blieb sie einen Moment zögernd stehen, klopfte mit dem Stift auf den Buchdeckel und wandte den Kopf der studentischen Hilfskraft zu. Xaver und Victor beobachteten die Szenerie. Die beiden jungen Frauen wandten kurz ihre Köpfe in ihre Richtung, die studentische Hilfskraft zuckte mit den Achseln. Die Nichtssagende wollte gerade endgültig die Räumlichkeiten verlassen, als sie mitbekam, wie die studentische Aushilfe sich in Richtung Xaver und Victor in Bewegung setzte. Eilig folgte sie.
Die Frau mit Buch, Stift und Unterlagen versuchte sie zurück zuhalten. „Sagt mal Jungs, stimmt das mit dem Reden im Lesesaale?“ Schon war sie da. Die Frau mit ihrem Büromaterial keifte nun die Hilfskraft an: „Ich habe ihnen eine rein informative Frage gestellt und keineswegs erwartet, dass sie das für mich regeln. Wir haben das schon besprochen.“ Ihre Stimme zitterte ganz eindeutig vor Aufregung. „Nun beruhigen sie sich erstmal. Das scheint ihnen ja richtig nahe zu gehen,“ tat Xaver erstaunt. Wieder war sie sprachlos, empört. „Das steht in den Nutzungsregeln, schlagen sie nur einmal nach.“ „Danke,“ sagte der HiWi, drehte bei. Die andere fasst sich und ging.
Xaver und Victor fuhren leise lachend fort sich auszutauschen. Dann stand auch der Mann auf. Als er an ihrem Tisch vorbei kam, ließ er einen Zettel zwischen sie gleiten, auf dem stand: Und das nächste Mal bitte wieder die allgemein vorgeschriebene Ruhe im Saal!