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Rush Hour
Alle Straßen in Richtung City waren verstopft.
Der Fahrer einer schwarzen Limousine hatte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und einen Mini im Tunnel frontal gerammt.
Die Mobilität des Verkehrs war zum Stehen gekommen.
Eine gelbe Viper mit einem älteren Fahrer, dessen Aggression deutlich im Gesicht zu sehen war, versuchte in diesem Chaos mit viel Gehupe seinen Sportwagen zu wenden.
Mein grippaler Infekt war trotz eines Antibiotikumpräperats noch nicht auskuriert. Deutlich spürte ich die Schwäche in meinem Körper, und obwohl es im Wagen ziemlich kalt war, war mein Pullover vollkommen durchgeschwitzt.
"Ich hätte lieber einen Arzt konsultieren sollen", dachte ich, aber als Patient war ich schon immer schwierig.
Eine Therapie mit viel Schlaf, Vitamine, Obst und Joghurt passte nicht zu meinem Leben als Reporter.
Stattdessen aß ich morgens Kekse, mittags Thunfisch in Mayonnaise und mein Dinner bestand aus einem großen Steak mit viel Ketchup und Pommes Frites, die ich dann mit einem Cocktail aus Wodka und Martini runterspülte.
Diese Drinks könnten mich eines Tages in große Schwierigkeiten bringen.
Einer der Konsequenzen war jetzt schon, dass ich fünf bis sechsmal im Jahr krank war. Und so hetzte ich weiter, wie ein Panther auf der Flucht, von einem Termin zum anderen.
Montagmorgens:
Interview mit einem Biologen über die erste Geburt eines Delphins im Zoo, wobei sich dieser Spinner so benahm, als ob er der Vater dieses Tieres sei.
Abends:
Bericht über zwei alte Boxer, die versuchten als Tennisspieler mit ihren neuen Trainingsmethoden und Fitnessprodukten in einem Verkaufsquiz, wieder in die Schlagzeilen zu kommen.
Mit ihren Schlips um ihren dicken Hals wirkten sie wie heruntergekommene Marketingvertreter, die von ihren Managern auf die Menschheit gelassen wurden um immer neuere Produkte an den Mann bzw. Frau zu bringen.
Als Überraschungsgast trat dann noch Jane Fontaine auf, die in ihren Hotpants und dem viel zu engen T-Shirt, die Evergreens ihrer Mutter sang,
wobei ihr Make-up ihr wahres Alter von über 50 Jahren auch nicht mehr überdecken konnte.
Doch dann wurde das Geheimnis ihres Erfolges gelüftet.
Sie und ihr Friseur hatten ein Shampoo entwickelt, das man jetzt in jedem Supermarkt kaufen konnte und Glück und Erfolg für jeden, besonders für Frauen über 40, versprach.
Das Niveau der Veranstaltung war nicht zu toppen.
Alles wirkte wie Sketche in einem billigen Varieté. Früher als Teenager hatte ich in der Schule mehrere Schreibwettbewerbe gewonnen.
Die Siegermedaillen hängen noch heute bei meiner Mutter über den Kamin.
Meine Deutschlehrerin würde sich noch im Grabe umdrehen wenn sie wüsste, was aus mir geworden ist und womit ich mein Geld heute verdienen musste.
Das Problem bestand darin, dass man als freiberuflicher Reporter die Projekte bekam, die das Team der festangestellten Mitarbeiter der Zeitung nicht erfüllen konnte oder wollte.
Einen Pulitzerpreis würde ich für diese Arbeit wohl nicht bekommen.
Das war nicht fair, aber Realität in der Zeitungsbranche.
Da nützten auch die besten Argumente bei Meetings nichts.
Konstruktives Handeln fehlte in fast jeder Debatte, wenn es um freiberufliche Aufträge ging. Und obwohl ich bei den Kollegen beliebt war, war eins völlig klar, ich gehörte nicht zum Team.
So musste ich die Drecksarbeit der jeweiligen Redaktion und mein Pensum an Aufträgen erfüllen, damit ich pünktlich meinen Scheck zum Ersten des Monats erhielt. Ein Boykott eines Auftrags war nicht möglich.
Einen Monat ohne Einkommen würden meine Finanzen nicht aushalten, auch könnte ich meine Verpflichtungen nicht erfüllen.
Meine geschiedene Frau war unerbittlich, wenn sie nicht pünktlich ihren Unterhalt bekam.
Womit ich mein Geld verdiente, war ihr dabei völlig egal.
Mein Sohn wollte einen neuen Computer mit der dazugehörenden Software zum Geburtstag. Dazu Nachhilfeunterricht in Physik und Geographie. Für seinen Musikunterricht brauchte er eine neue Violine, nicht irgendeine, nein, sie musste aus Italien kommen!
Alles musste bezahlt werden.
Voll hämischer Freude dachte ich an die Debatte mit meiner Exfrau zurück, als ich ihr vorschlug, das ihr Sonntagskind lieber Tamburine spielen sollte, wobei sie fast einen Schreianfall bekam.
Was waren das noch für Zeiten als ich mit Tina die erste Schulband gründete.
Der Sound unserer Stücke war umwerfend.
Von der Lautstärke des Beats weiß selbst heute noch der Hausmeister der Schule zu berichten. Unsere Idole waren die Stones, Spencer Davis Group und AC/DC.
Schade, dass man sich nach der Schule nicht mehr gesehen hat.
Der Verkehrsstau löste sich noch immer nicht auf, stattdessen drippelte der Regen auf die Windschutzscheibe.
Selbst der Viperfahrer hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden und stierte stattdessen, wie ein blöder Bulle geradeaus.
In den Verkehrsnachrichten wurde alle 10 min um Geduld gebeten, als ob New Yorker je Geduld gehabt hätten. Dazu kam die Werbung über irgendeine Autopolitur, die selbst Farspray entfernen sollte.
Dienstags:
Ach ja, dieser Tag war noch besser als Montag, was man eigentlich nicht denken könnte. Meine Redaktion hatte mich schon um 6:00 früh zu den Abwasserwerken der Stadt geschickt.
Das Thema: Aggressionsverhalten der Ratten im Abwasserlabyrinth der Großstadt.
Die Atmosphäre hier unter der Stadt war düster und der Geruch für meine Nase unerträglich.
Der Photograph der Zeitung, ein früherer College Leichtathlet, hatte das Kotzen gekriegt, als er die Abwässer und die kleinen Tiere mit ihren langen Schwänzen an ihm vorbeischwimmen sah.
Der Leiter der Stadtentwässerung, ein kleiner mickriger Zwerg mit Südstaaten Dialekt, hatte so viel diffuses Zeug auf mich eingeredet, dass ich noch immer Kopfschmerzen davon hatte.
Und obwohl ich später zwei Stunden in einer türkischen Sauna saß, war ich der Meinung, dass der Geruch immer noch an mir haftete.
Gegen Mittag musste ich in den Hafen.
Ein griechischer Chemietanker war mit letzter Kraft kurz vor dem Absaufen in ein Sicherheitsdock geschleppt worden.
Ein libanesischer Reeder hatte das Schiff geleast und fühlte sich für diesen Rostdampfer nicht mehr verantwortlich, dessen Stabilität nur noch von der Farbe zu halten schien.
Der Chemiekonzern für welches das Schiff fuhr wies alle Schuld von sich.
Nur die Crew von 37 philippinischen Seeleuten waren ohne Lohn und Unterkunft hier in dieser Stadt der Freiheit gestrandet und keiner von den Behörden nahm davon Notiz.
Danach musste ich mit der U-Bahn zum Big Apple, kurz zuvor hatte mein
72. Cadillac Eldorado Convertible 8,2 Liter den Geist aufgegeben.
Die Elektronik des Fahrzeugs begann zu spinnen.
Und so musste ich meinen Liebling schweren Herzens zur Reparatur in die Werkstatt bringen.
Nun stand ich vor den Demonstranten. Der Charakter der Versammlung schien friedlich.
Es ging um die Kritik an den hohen Gesundheitskosten der Bushregierung.
Und obwohl ich kein Demokrat war, wusste ich da hatte mein Präsident Mist gebaut. Bestimmte Operationen, teure Krebspräparate, und zu hohe Arztkosten konnten sich viele Patienten nicht mehr leisten.
Ein Medizinstudent aus dem ersten Semester, schrie durch seinen Lautsprecher "Gleichheit, Gesundheit und Versorgung für alle!".
Dies konnte er am laufenden Band vor sich hinschreien ohne dabei Luftzuholen. Ob er sich später, wenn er erstmal Arzt ist und seine eigene Praxis besitzt, noch an diesen Tag erinnert?
Da hatte ich meine Zweifel.
Der weitere Protest hielt sich in Grenzen.
Auch war ich überrascht, wie wenig Menschen, besonders Weiße, Interesse an diesem Thema hatten. Ich wusste hier würde nicht mehr viel passieren.
Der dann einstürzende Regen löste die Versammlung in Windeseile auf.
Nur mein Trenchcoat war klitschnass.
Und meine neuen Wildleder Slipper konnte ich wohl wegwerfen.
Schutz suchend in einem italienischen Lokal, aß ich erstmal eine Portion Spaghetti und als Nachtisch irgendeinen süßen Pudding.
Dann gab ich per Telefon den Bericht an meine Redaktion durch.
Abends musste ich eine Party absagen und legte mich stattdessen mit Schüttelfrost ins Bett. Gegen Morgen hatte ich immer noch hohes Fieber, sodass ich den ganzen Mittwoch, teils vor der Glotze, teils im Bett verbrachte. Natürlich gab es für diesen Tag kein Geld, was meine Laune weiß Gott nicht verbesserte.
Und so sitze ich heute, Donnerstagmorgen, in diesem verdammten Stau fest, der sich noch immer nicht auflösen will.
Mein Cadillac hatte ich von der Reparaturwerkstatt immer noch nicht wiederbekommen. So musste ich mir von meiner Cousine ihren kleinen Toyota ausleihen. Früher hatten uns die Japse in Pearl Harbor mit ihren Bomben bedroht, heute wurde Amerika von ihren kleinen Autos überschwemmt, die einfach nicht kapput gingen.
Ich wusste schon immer, Japaner sind schlechte Verlierer. Für die Leihgabe ihres kleinen Japaners, musste ich meiner Cousine versprechen, am Sonntagmorgen mit ihr im Central Park zu joggen.
In meiner Phantasie sah ich mich schon hilflos hinter ihr herhecheln.
Dann würden wir in ihr Appartement, welches in einer wunderschönen Kastanienallee lag, vegetarisch zu Mittagessen. Dazu eine Erdbeerbowle trinken, natürlich ohne viel Alkohol. Und abends wollte sie mit mir unbedingt in ein Konzert gehen, irgendein österreichischer Komponist, der schon als Kind ein Genie gewesen sein sollte. Dabei dachte ich voller Sorge an meinen Sohn, der bei seiner Mutter jetzt wohl Violinunterricht hatte.
Ich würde mir dann noch einen Smoking ausleihen müssen, denn meine Abendgarderobe bestand aus zwei grauen Kaschmirpullover und ein paar neuen Blue Jeans, die ich mir kürzlich im Angebot bei Woolworth gekauft hatte. Aber vielleicht würde mein Fieber neu ausbrechen. Bei diesem Gedanken bekam ich ein schlechtes Gewissen.
Meine Cousine war wirklich sehr charmant und wenn sie wollte konnte sie äußerst temperamentvoll sein.
Außerdem sah sie mit ihrem roten Haar und ihren grünen Augen äußerst gut aus. Wenn sie nicht meine Cousine wäre, dann.... bloß nicht weiterdenken.
Mein Leben war sowieso äußerst kompliziert. Eine Steigerung neuer Probleme würde ich nicht aushalten. Aber trotzdem war sie einer der wenigen Menschen, die ich mehr als drei Stunden am Tag ertragen konnte.
Und welch ein Wunder. Die Sonne kam hinter den Regenwolken am Horizont zum Vorschein und fast gleichzeitig begann langsam jedoch stetig der Stau vor mir aufzulösen. Aus dem Radio ertönte der Evergreen
"What A Wonderful World", als ich diesen verfluchten kleinen Reiskocher neustartete, und dessen Motor natürlich sofort ansprang.
Dabei zündete ich mir meine erste Camel an.
Es ist schon komisch, wo als im Stau kann man problemlos über sein Leben nachdenken. Fast euphorisch legte ich den Gang ein und gab Gas.
"Jeder Tag ist ein neuer Tag", dachte ich, wobei ich den Rauch der Zigarette tief inhalierte. Nur tote Fische schwimmen den Fluss herunter und jedes Interview birgt eine neue Chance.