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Süße Wiedergängerin

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20.12.2003
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Süße Wiedergängerin

Der Mörder wacht an einem Sonntagmorgen auf und sieht hinunter in den Garten. Seine Tochter spielt in der Sonne, schön warm verpackt. Sie hat einen Schneemann gebaut. Die Möhre steckt an der richtigen Stelle: mitten im Gesicht. Mann, waren wir gestern voll, denkt er, aber sie hat nichts davon mitbekommen. Sie hat es gut bei mir. Ihr habe ich noch nie etwas Böses getan. Gerührt schläft er wieder ein und träumt von einer nasskalten Nacht im Spätherbst. In einen Laubhaufen, den er mit dem Rechen akkurat zusammengekehrt hat, fährt eine Windbö und wirbelt ihn durcheinander. Wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm fliegen die Blätter hoch und lassen sich in einer kahlen Baumkrone nieder, jedes wieder festgewachsen und zart. Sein blondes Opfer erscheint an seinem Bett, wie damals in Minirock und Turnschuhen ohne Strümpfe. Ihr Haut ist schneeweiß, es dringt ja kein Sonnenstrahl durch die Erde zu ihr. Schwarze Flecken von modrigem Erdreich auf Schenkeln und Wangen lassen sie wie eine Range aussehen, die sich beim Spielen und Herumtoben dreckig gemacht hat. Der Schmutzfink lacht ihm zu, mit mutwillig-verdorbenem Kindergesicht, und will zu ihm unter die Decke schlüpfen.
Er ist starr vor Schreck. Um ihn in Stimmung zu bringen, reißt sie einen zotigen Witz, der so scharf ist, dass seine kostbare Mingvase sich kaputtlacht und Schnittblumen zwischen Scherben auf dem nassen Teppich liegen.
Sie zieht sich aus und kuschelt sich an ihn, um sich zu wärmen. Wie kalt sie ist! Ihn schaudert. Wie nasskalte Graberde! Ihre Hand fährt in seine Schlafanzughose und zupft mit zwei kessen Fingern an seiner Eichel - das fühlt sich ja wie Eiswürfel an! Ihm hat einer mal welche in den Schritt gekippt an einem feuchtfröhlichen Abend - er kann sie nicht abwehren, weil die Angst ihn lähmt, aber wie von Geisterhand richtet sich der Schwanz zu seiner vollen Größe auf. Sie flüstert: Ich bin so schön eng, weißt du noch? Und du bist so schön warm! Komm, gib's mir, komm! Ich will deine Wärme. Der Winter wird so lang und kalt. Sie zieht ihm die Hose herunter und legt sich auf ihn. Ein Gedanke kommt ihm: Das muss es sein! Die verdammten Saufkumpane! Sie waren sauer, aber mein Kind ist tabu. Da haben sie mir den Schneemann ins Bett gelegt! Mensch, ich kann mir ja den Tod holen! An Unterkühlung krepieren! Solche Scherze macht man nicht. Wach auf, Mann, wach endlich auf!

 

Kurz, surreal, kongenial!
Na ja, zur Perfektion reicht es nicht ganz:

Diese Interjektion paßt stilistisch überhaupt nicht in den Text. Auch sonst würde ich einen kleinen Umbau empfehlen, damit zusammenkommt, was zusammengehört:

Ihre Hand fährt in seine Schlafanzughose, und zupft mit zwei kessen Fingern an seiner Eichel - es fühlt sich so an wie an diesem feuchtfröhlichen Abend, als ihm jemand Eiswürfel in den Schritt kippte.
Er kann sie nicht abwehren, weil die Angst ihn lähmt, aber

r

 

Hallo relysium und labanc!

Danke fürs Lesen und den Widerhall!

@relysium: Ja, du hast Recht. "Iiih" ist ein banaler Alltags-Ausruf und passt nicht in diese surreale Traumwelt. Und es ist besser, wenn das Eindringen der Hand in die Hose und die Aktion der beiden Finger im Erzählfluss nicht auseinandergerissen wird, denn diese überfallartigen Aktionen gehen sehr schnell, folgen natürlich ohne Pause aufeinander, sie kommt eben ohne Zögern "zur Sache". Ich habe meinen Text in dem Sinne bearbeitet. Danke für die konstruktive Kritik!

 

Süße ...

Hi gerthans,

bei deinen interessanten und schönen Gedankengängen zu meiner KG, muß ich doch auch mal deine lesen, gelle :)

Ein Mörder begegnet im Traum seinem Opfer. Das finde ich generell schon mal sehr wünschenswert. Noch besser fände ich es, wenn er während des Traums erfrieren würde. (Die Rache der Toten) :D
Wobei im Falle deines Prots der Traum genausogut eine reine Verarbeitungssache sein kann. Sein Opfer, der Schneemann, seine kleine Tochter.
Gut wäre zu wissen, ob da auch noch eine Ehefrau im Haus ist, die das kleine Mädchen auffangen kann, für den Fall, dass dein Prot nicht mehr aufwacht.

Was mir noch aufgefallen ist: Er erwacht nach einer durchzechten Nacht. Sieht den Schneemann, geht wieder schlafen. Sein Traum beginnt. Am Ende denkt er, dass seine Kumpane ihm den Schneemann ins Bett gelegt haben.
Ich denke das ist eher nicht der Fall, denn dann müssten sie noch im Haus sein, die Kleine würde heftig protestieren, wenn man ihr den Schneemann wegnimmt.
Nein, das ist Unsinn.
Also friert er an seiner Tat, oder die Tote ist tatsächlich im Traum bei ihm.
Ich weiß nicht, was ich ihm mehr wünschen würde?
Ob er wieder aufwacht, lässt du offen. Hoffen wir mal das der Traum ihn umbringt. :Pfeif:

Eine nette kleine Geschichte.

liebe Grüße, coleratio

 

Hallo coleratio!

Deine Überlegungen dringen in die Tiefe!

"Am Ende denkt er, dass seine Kumpane ihm den Schneemann ins Bett gelegt haben.
Ich denke das ist eher nicht der Fall, denn dann müssten sie noch im Haus sein, die Kleine würde heftig protestieren, wenn man ihr den Schneemann wegnimmt."

Dein Schluss ist richtig. Aber der Traum ist eine eigene Welt, die er während des Träumens als wirklich erlebt, also ist es so gut wie Wirklichkeit.

Ob da noch eine Mutter ist oder nicht, daran habe ich gar nicht gedacht. Aber dein Gedanke ist am Platze. Es ist ja übel für ein Kind, wenn es auf solch einen Vater angewiesen ist. Und Kinder brauchen ja ihre Eltern, können ohne sie nicht leben.

Grüße gerthans

 

Hallo gerthans,

eine fast schon klassische Kurzgeschichte, präzise und ohne überflüssige Schnörkel. Der Text steuert geradewegs auf das Wesentliche zu.

„Die Möhre steckt an der richtigen Stelle: mitten im Gesicht. Mann, waren wir gestern voll, denkt er, aber sie hat nichts davon mitbekommen.“

Ein schönes Beispiel für `show don`t tell´, ich mag solche kleinen Details.


„In einen Laubhaufen, den er mit dem Rechen akkurat zusammengekehrt hat, fährt eine Windbö und wirbelt ihn durcheinander. Wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm fliegen die Blätter hoch und lassen sich in einer kahlen Baumkrone nieder, jedes wieder festgewachsen und zart.“

Ein äußerst geschickter Schachzug die Zeit zurück zu drehen, elegant und anschaulich.

„Um ihn in Stimmung zu bringen, reißt sie einen zotigen Witz, der so scharf ist, dass seine kostbare Mingvase sich kaputtlacht“

- dass sich seine (kommt mir flüssiger vor).

Da dieser Vasenabschnitt ein Einschub ist, der sich von der Handlung abhebt, vermute ich, dass eine gewollte Symbolik vorliegt: Ein Witz führt zu einem Lacher, bis dahin ist es erwartungsgemäß - warum zerbricht aber etwas Kostbares, was ihm gehört? (Vielleicht seine Unschuld, besser, da doppelsinnig, sein Unschuldigsein?) Die Vase, eher ein weibliches Symbol, gehört ihm, dann gibt es noch die toten Schnittblumen, die durch das Zerbrechen der Vase ihren Zweck des `Leben in die Wohnung Bringens´ endgültig sterben.
Interessant auch, dass das Mädchen den Mann anmacht, eine unschuldstiftende Realitätsverdrehung, im Wachzustand weiß er immerhin „Ihr habe ich noch nie etwas Böses getan.“ (Einschränkung der Schuldfreiheit durch „Ihr“).

„Ihr Haut ist schneeweiß, es dringt ja kein Sonnenstrahl durch die Erde zu ihr.“

- Ihre Haut. Die Erklärung: „es dringt ja …“ ist im Traum nicht nötig. … schneeweiß, nie wurde sie von einem Sonnenstrahl berührt.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

H;) ;) allo Woltochinon!

Deine Deutungen finde ich hochintersessant, besonders, dass die Schnittblumen Leben in die Wohnung bringen sollten und entgültig sterben. Er ist ja ein Mörder, er soll keine Lebendigkeit genießen.

Über deine Verbesserungdvorschläge werde ich nachdenken.

Danke für dein lesen, das in die Tiefe ging.

LG gerthans

 

Hat mir gut gefallen. Jeder versuch aus der Perspektive von Mördern, Kinderschändern u.ä. zu erzählen ist interessant und schwierig zu bewältigen. Das ist dir gut gelungen, auch sprachlich.
Gestört hat mich der letzte Satz "Wach auf, Mann, wach endlich auf". Wenn er doch träumt, und ihm das real erscheint (wie es einem bei jedem Traum vorkommt), wieso denkt er das denn dann? Ich würd den Satz einfach weglassen, ich finde du brauchst den gar nicht. "Solche Scherze macht man nicht" ist doch auch ein starker Schluß.

 

Hallo StBSchwarz!

Ich freue mich, dass dir meine Geschichte gefallen hat!

Tja, der letzte Satz.. Es gibt auch Zustände von Halbschlaf, wo sich die Bilder, die vor dem geistigen Auge ablaufen, und die Gedanken verselbstständigen,also nicht mehr vom Bewusstsein hervorgebracht oder wenigstens kontrolliert werden, aber der Dösende noch weiß, dass es nicht real ist. Vielleicht ähnelt der Traum meines Mörders solch einem Halbschlaf...
Vielleicht ist es auch wirklich wahr... Und dass es nur ein Traum ist, wäre dann Wunschdenken. Es gibt das so eine Gesichte von Dürrenmatt: "Der Tunnel", müsste ich noch mal lesen...

LG gerthans

 

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