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Sag "sela" und küss den Schmerz

Beitritt
22.11.2005
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Sag "sela" und küss den Schmerz

Sie muss schnell sein, oder es sind mehrere. Ich sehe sie nie in flagranti. Nur wenn mein Blick vom Bildschirm fällt sehe ich neue Spinnenweben, der ganze Raum erschlossen. Es muss etwas mit der Zeit nicht stimmen, soweit bin ich mir sicher und streiche meine Arme frei. Der Schreibtisch, das Bett, die Bücher: alles überzogen. Das Saxophon, das Schlagzeug, die Gitarren: alles verhüllt. Der Blues ist vergessen, der Rock schon lange tot, und auch Punk ist nicht mehr meine Politik. Vielleicht haben sie die Pflastersteinwurfmaschine schon erfunden, ich erinnere mich vage an Blaupausen. Auch die Fotos und Bilder an den Wänden, die behaupten ich hätte mal gelebt, sind kaum noch zu erkennen.
Ich gieße Wein in mein Herz und bestäube die tropische Luft, die eingegangenen Pflanzen lassen sich mit Wein nicht zurückholen.

Ob es die Sonne noch gibt? Draußen feiern sie eines ihrer Feste. Irgendwo da müssen auch meine Erzeuger sein. Und meine Geschwister, deren Namen ich nicht weiß. Vielleicht haben sie inzwischen Nummern.

Damals im Wald hast du gesagt, du würdest meinen Schmerz küssen. Küsst du dich gerade selber? Denn weder geht von mir eine Wirkung aus, noch bin ich eine Ursache.
Damals, als wir Sterne pflückten, hast du gesagt, dass du mir helfen wirst die Scherben zu finden. Jetzt kannst du sie wieder ausspucken, ich brauche sie jetzt nicht.

Der fröhliche Geruch des Feierns schleicht sich in mein Zimmer; die Stimmung meiner Mitbewohner ist gleich hinter der Wand, aber doch weit weg von meinem Horizont.
Sektkorken prallen unter Jubel kurz gegen die Wand, erzeugen ein Echo in meiner Leere.
Wenn ich den Fernseher einschallte muss ich davon ausgehen, dass es hinter den Wänden auch nicht so schön ist.

Haben wir schon intelligentes Leben in den Weiten des Universums entdeckt? Haben wir es schon vernichtet? Ist endlich wieder Krieg? Wo bleibt der dritte Antichrist? Könnte sich mal bitte jemand vom Balkon schmeißen? Oder zumindest ein Vogel gegen die Scheibe fliegen? Wo bleiben die Naturkatastrophen, die Terroristen oder wenigstens die Jungs von der GEZ? Sind wir schon verseucht? Schon infiziert? Infiltriert?
Ich öffne das Fenster und halte meine Hand hinaus. Ist das warm oder kalt?

Wie ihr euch fortpflanzt, wie die Kinder und Blumen nachwachsen, wie ihr euch langweilt, wie ihr abwartet, wie ihr fluktuiert, wie ihr woanders seid; all das kann ich hören. Eure Akkordarbeit, eure Präventionen, Promotionen, eure Erfolge, Enttäuschungen, euer Konformismus; da verbarrikadiert ein fetter Klumpen Stagnation die Tür durch die Wand.

Schminke der Depression, kalt wie Rauch, stinkt aus meinen Luken, steigt in eure wohltemperierten Nasen. Wisst ihr noch, wie alt ich bin, war und noch werde? Und ob es vielleicht von Bedeutung sein könnte?

Ein letztes Mal noch küsse ich den Schmerz zärtlich auf die Wange und sage „sela“, zerschlage alle Spinnenweben und stoße die Tür auf.

Auf dass sich die Sonne noch einmal um die Erde dreht. Als dass die Kelche an Babylons domestizierten Affenhuren vorübergehen!

 

Hi nachtschatten

Natürlich freu ich mich, dass du mein fan bist und über dieses so positive Feedback. Ich fühl mich geschmeichelt. Aber Fans verlieren oft die nötige Objektivität.
Mit deiner Interpretation liegst du soweit richtig. Nur dass der Prot die Welt nicht in Frage stellt. Es ist mehr ein Warten auf Ereignisse. Er ist angeödet!
In dem darauffolgendem Satz verurteilt er die Welt, indem er darauf spekuliert, dass wir Leben vernichten würden, würden wir es finden. Ich dachte da an Präsident Bush den Wichser! "Wo bleibt der dritte Antichrist?" ist ein Querverweis auf Nostradamus. Oder wie man ihn interpretieren könnte. Er spricht in seinen Vorhersehungen von drei Antichristen, die die Welt terrorisieren werden. napoleon, Hitler ? Viele sehen den dritten Antichristen in Bush oder Bin Laden.
Und nein, dass war nicht ich gestern. Aber ich an anderen Tagen! Den es ist für mich ein Kreislauf, und ich habe daher in Alltag gepostet. Denn immer, wenn ich meine Depressionen verlasse und versuche mit der Welt zu leben, werde ich bitter enttäuscht und ziehe mich wieder zurück. Manchmal sind die Depressionen schönen als das Leben. Die Geschichte ging daher ursprünglich auch noch weiter, und der Prot zieht sich wieder zurück. Aber das wollte ich nicht. Es ist eine Art Anlauf und ich wollte eine Art Happy End mit offenem Ende.

Gruß

 

Ja du hast wahrscheinlich recht. nennen wir es ein Alltagsereigniss.
Der angesprochene Absatz zeigt die Gründe für die Depression oder Schmerz, wie man will. Und egal ob von mir oder vom Prot.
Und hier wird auch schon der Kreislauf deutlich, den ich ja eigendlich gar nicht mehr drin haben wollte: Denn der Prot hatte anscheinend jemanden gefunden, der (die) ihn verstand und seine Schmerz küsste. Bis sie dann zu seinem Schmerz wurde. Daher fragt er sie ob sie sich gerade selber küsst. und jetzt fühlt er sich schwach und wirkungslos. ohne ursache und wirkung.
Und sie hatte ihm versprochen die Scherben zu finden. Sie hatte ihm versprochen im zuzuhören, über das was ihn bedrückt. Wie die Geschwister, die er nicht kennt, oder seine Eltern, die er abwertend Erzeuger nennt. und dann bereut er es, sich ihr anvertraut zu haben. Denn sie trägt immerhin Geheimnisse von ihm mit sich rum.

 

Hallo Aris,

hat das Wort "sela" eine Bedeutung? Ich habe gerade ein wenig gegoogelt, bin aber nur auf einen Hinweiß in der Bibel gestoßen. Da bedeutet das Wort "sela" aufwiegen. Allerdings könnte es natürlich auch aus irgendeiner Sprache stammen.

Stellenweise hatte ich bei deiner Geschichte das Gefühl, dass es sich um eine Art von Unsterblichkeit handelt. Der Prot. scheint bzw. ist vom ganzen Leben angeödet und wartet auf Großereignisse. Ein Prot., der vielleicht schon ewig auf der Welt weilt, aber nicht mehr am wirklichen Leben teilnimmt. Die Idee habe ich, weil er sich zum Beispiel fragt, ob endlich wieder Krieg ist, der dritte Antichrist inzwischen da ist... Das wirkt auf mich weiß, dass über derartige Ereignisse einmal gesprochen wurde (bzw. sie erwartet werden), er aber keine Ahnung hat, ob sie inzwischen eingetreten sind. Wenn ich mir die Antwort auf Nachtschattens Kritik ansehe, dann sehe ich, dass ich damit nicht ganz richtig liege, aber ich wollte dir einfach mal zeigen, wie ich das sehe. Ansonsten finde ich die Idee wirklich gut.

Stilistisch ist die Geschichte nicht ganz einfach zu lesen. Trotzdem faszinierend, wenn man sich erst einmal eingelesen hat. Was mir hier besonders gut gefallen hat ist, dass die Sprache deiner Geschichte sehr gut zu der Gemütsverfassung deines Prot. zu passen scheint.

Und ja, ich war jetzt Objektiv. Ehrlich! :)

LG
Bella

Damals im Wald hast du gesagt, du würdest meinen Schmerz küssen. Küsst du dich gerade selber?

Den finde ich echt stark!

 

Hi Bella

ja objektiv. und schnell!
Das Wort sela ist aus dem hebräischen. Nietzsche hat es sehr oft verwendet und unter seine Kurzprosas gesetzt. Es bedeutet schlicht schluss! Schluss mit der Depression in diesem Fall. Es ist so eine Art weltliches Amen. So sei es, wird es auch oft übersetzt. Denn die Dinge sind halt so wie sie sind. Und man muss sie auch so nehmen.
Das mit der Unsterblichkeit liegt wahrscheinlich daran, dass ich schreibe "ist endlich WIEDER krieg. Aber da man davon weiß, dass es krieg gab, ist es O.K.
Wenn ich mich da selbst kritisiere: Krieg ist immer. Da sollte ich vielleicht noch was machen.

Ansonsten: Danke

 
Zuletzt bearbeitet:

Tag Lukas

Danke für die Hinweise. Nenn mich ruhig einen Semikolonfetischisten! Ich denke, man kann sie hier setzen. Ich finde es ästhetischer als einen Punkt und dann einen neuen Satz. natürlich ist der Satzbau etwas unkonventionel, aber ich finde, es ist zwar schwer zu lesen, aber bei dieser Länge der KG kann man das ja mal machen.
Wie hättest du das denn geschrieben?

"Auf das (s)" da bin ich noch unschlüssig. "Auf welches" oder "auf dieses" passt da ja auch.
Und auch das Komma nimmt da nur den Lesefluß aus dem letzten Teil des Satzes.
Zum letzten Satz:
Er ist eine Mischung aus drei Teilen: Zum einen der SPruch "Als das die Kelche (an uns oder sonst wen) vorübergehen", den "domestizierten Affen" und "Babylons Huren". Ich weiß aber auch grad nicht, was da grammatikalisch falsch dran ist. Vielleicht ist es nicht fein, aber möglich.
Wie gefält sie dir denn sonst?

Gruß

 

Ich bin mir ja auch nicht sicher! Bei dem das (s). Aber ich galube, du hast recht.
'"Als das..." bedeutet für mich eher "Auf das..."
Ich hatte auch erst "auf das" geschrieben, aber der Spruch steht so in der Bibel. Ich kann dir leider nicht sagen wo genau.
Zudem wollte ich den zweiten SAtz nicht auch noch mit "Auf dass" anfangen. Der zweite Satz hat im Grunde die selbe bedeutung wie der davor. Nur intensiver.
Was hälst du denn sonst so von der KG? Wenn ich nochmal fragen darf!

 

Oh! Bist du Bibeltreu? Das hat ein ehemaliger Mitarbeiter von mir jeden Morgen gesagt.
Schade, dass er dir nicht zusagt. hab ich mir ja schon gedacht. WEnn du willst, kannst du mir ja sagen warum. Außer meinem Semikolonfetischismus. Aus Respekt vor den Leuten, die dich nicht einfach ignorieren. Oder findest du das wirklich geil?

 

War auch mehr ein Scherz. Das du kein Crist bist, war mir irgendwie klar.

Ich meinte deine Kritik bei sallimbinbin11 oder so. Als du geschrieben hast, es sei geil ignoriert zu werden. Das war ja Sarkasmus.
ich finde, du kannst mir ruhig sagen, warum sie dir nicht zusagt. Es interessiert mich.

 

gut gut

Ich meinte auch nicht, dass du mich ignoriert hast. Ich hatte nur gerade die KG H.H. von sinblin11 oder so, du weißt schon, und deine Kritik danach gelesen, wo du sauer warst, ignoriert zu werden.

Deine Ausführungen kann ich verstehen. Was soll denn ein Text deiner Meinung nach leisten?
Und: Du ließt ja auch nur die KG´s von mir, die in diesem depressiven, abgehakten kurzformstil verfasst sind.
"Grüne kastanien" und "Trockeneis das wie Fegefeuer..." in Sonstige, oder "Immer wieder Dienstag" in Gesellschaft hast du ignoriert.
Also, wenn du Zeit hast...

 

Hi Aris,
Überraschung: hier kommt meine Kritik, die ich schon heute Nacht angefangen und aus Müdigkeit aufgegeben habe:

Zunächst mal, bevor ich das vergesse :p :

Schau mal an! Die gefällt mir ja schon fast.
Den ersten Abschnitt mit den Spinnweben und den bedeutungslos gewordenen Fotos find ich klasse;(ich setze auch gern Semicolons ein) kann ich mir sehr gut vorstellen und rührt mich an.
Der fröhliche Geruch des Feierns schleicht sich in mein Zimmer; die Stimmung meiner Mitbewohner ist gleich hinter der Wand, aber doch weit weg von meinem Horizont.
Auch das finde ich gelungen und ausdrucksstark.

Leider flacht die Geschichte dann immer mehr ab, von noch ganz gut bis blöd polemisch.

Ein letztes Mal noch küsse ich den Schmerz zärtlich auf die Wange und sage „sela“, zerschlage alle Spinnenweben und stoße die Tür auf.
Das ist dann noch einmal ein starker Satz, der ja auch zu einem neugierig machenden Titel geführt hat. Schön, dass du im Kommentar "sela" erklärt hast. Toll der Aufbruch!
Allerdings: charakteristisch an Depressionen finde ich das Getrenntsein von Gefühlen, und damit auch von Schmerz. Wer sich aufmacht, der Depression zu entkommen, sagt eigentlich "hallo" zum Schmerz. Du setzt aber (ausdrücklich auch beim Kommentieren) Depression und Schmerz gleich (ich würde es eher mit einer bleiernen Schwere vergleichen); na ja, da haben wir wohl unterschiedliche Konzepte.

Naja, und den letzten Satz finde ich grottenschlecht: zuviele Konzepte, falsch eingesetzt, ein richtiges Bla.

wie ihr woanders seit
seid

Gruß, Elisha

 

Hi Elisha

Danke für das Kommentieren. Du findest genau die Stellen gut, bei denen ich mir nicht so sicher war. Ist ja interessant. Aber das freut mich.
Deine Interpretation von Depression ist auch interessant. Für mich ist es, oder war es zumindest bei dieser KG, ein psychischer Schmerz, den man nicht vergessen, nicht verarbeiten kann. Wo man nicht einfach sela sagen kann und es vergessen kann, weil es zu tief steckt.
So wie du es beschrieben hast, passt mein Satz "Weder ging von mir eine Wirkung aus, noch bin ich eine ursache" Der Prot kann hier keine Gefühle senden, noch welche empfangen.

Gruß

 

Seien Sie mir gegrüßt Herr Rosentrehter,

Ich muss zugeben, der Beginn der Geschichte hat mich verwirrt, ich wusste nicht, um was es ging.

Als sich mir die Handlung erschlossen hatte, war ich beeindruckt.
Ein Mann, der sich von der Welt zurückgezogen hat und scheinbar schon so lange einsam ist, dass seine (unbewusste) Verzweiflung über seine Situation, das ausgeschlossen sein aus der Gesellschaft, zu Ekel und Verachtung gegenüber ebendieser wird.

Dass er sich schlussendlich doch überwindet, der Welt sozusagen noch eine letzte Chance gibt, finde ich sehr interessant.

Formell und sprachlich ist es eine der besten (oder gar wenigen guten?) Erzählungen hier auf kg.de.

Selber bin ich zwar noch weit entfernt von anspruchsvollem Niveau, aber man lernt.

MfG

Miller

PS: Heißt du wirklich Rosentrehter oder ist das ein bewusst gewählter Nachname im Sinne von: "Ich hatte Lust etwas Schönes zu zerstören. Eine Rose zu zertreten oder einen zu Schmetterling erschlagen."

 

Guten Tag Herr Miller

Es freut mich, ihre Bekanntschaft zu machen.

Der Anfang der KG soll natürlich auch verwirren, mach dir da mal keine Sorgen.
DAnke für die lobenden Worte. Aber ich wette, du findest noch viele andere Geschichten die dir gut gefallen!
Vor allem lernt man hier schnell, wenn man sich Mühe gibt. Wenn du so meine ersten KG´s liest, man o man, was ich da alleine an Rechtschreibfehlern reingehauen hab.
Dar name ist natürlich ausgedacht. Ich wollte einen Vornamen, den es nicht gibt, und einen jüdisch klingenden Nachnahmen, der wie du schon sagtest, etwas SChönes zerstören sollte.

Gruß

 

Hi Golio

SChön, dass du sie gelesen hast. Du denkst wahrscheinlich noch chinesisch. in den Kommentaren wird alles schon erklärt. Es gibt auch nicht viel aktive Handlung.
Brraakk!

 

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