Mitglied
- Beitritt
- 02.06.2005
- Beiträge
- 8
Sally oder der Witz des Lebens
Hallo. Wie ihr seht, gibt es mich. Mich, die Sally. Ganz am Anfang, da war alles noch so einfach. Wenn man ein Baby ist, braucht man nichts tun, einfach gar nichts. Eigentlich ein schönes Leben. . Wenn man ein Kleinkind ist, braucht man sich nicht ums Geld kümmern. Und wenn man volljährig ist, hast du nur Probleme. Du wirst alt, grau und langsamer als sonst. Du hast keine Lust auf Arbeit; du würdest, wenn du könntest, den ganzen Tag nur faul rumliegen. In der Hoffnung, heute wird noch etwas besonderes geschehen. Party ist heute abend ja schließlich erst. Also, was macht man, wenn man schon mal den ganzen Tag alleine im Haus herumsitzt?
Mein Tag beginnt mit einem lauten Kriegsschrei der alten Indianer aus dem Bett um genau halb zwölf mittags. Wieso? Ganz easy, denn ich war ja letzte Nacht noch weg! Und da werde ich garantiert nicht vor elf aufstehen. Ich steig also aus dem Bett, ich bin ganz alleine. Und ich überlege, was ich zuerst mache: Zimmer aufräumen? Frühstücken? Baden? Fernsehen? Ich starte meist mit einem ausgewogenen und "gesunden" Frühstück in den Tag: Schokolade und Cappuccino. Ok, vielleicht hab ich ein wenig untertrieben. Dazu gehört natürlich auch eine Menge Zucker. Und vielleicht noch ein Müsli. Banane oder Birne, wie meine Mutter mir versucht hatte beizubringen, esse ich gewöhnlich erst mal nicht. Ist ja auch zu eklig; du stehst auf, gehst schlurfend in die Küche und stellst fest, dass du im nächsten Moment eine Banane in der Hand hältst und isst. Schreckliche Vorstellung.
Ich zappe mich also mit meinem tollen Breakfast durchs Fernsehprogramm. Oh ja, eine Quizsendung. Naja, besser gesagt, NeunLive. Dieser Sender, bei dem tagsüber und auch abends nur so simple Rätsel gestellt werden, wo dann keiner die angebotenen 10.000. Euro haben will. Die Aufgabe heute: "Zählen Sie die Buchstaben des Wortes Klapperschlange."
Mei, ist doch einfach, denk ich mir. "15! Es sind 15!", schrei ich mit vollem Munde. Dort ruft eine Frau an, hört sich an wie eine, die gerade mal 13 ist. "13 sinds, 13", wispert sie mit ihrer piepsigen Stimme. "13", wiederhole ich. "Was sind denn das für neue Moden, 13jährige rufen an und wollen dort mit dem Wort Klapperschlange, das angeblich 13 Buchstaben hat, 10.000. Euro verdienen.", sage ich mir.
"Wie alt sind Sie denn?", wird gefragt. Aufgelegt hat se. Tja, manche kriegen halt kein Taschengeld. So wie ich. Hab ich ja auch net bekommen, ich musste meiner Mutter immer in der Bäckerei helfen. Dann habe ich erst mein "Taschengeld" bekommen. Sie meinte immer, ich müsse mir alles verdienen.
"Nix gibt's im Leben umsonst. Glaub mir Kind." Ich denke gerade an meine Mutter, konzentriere mich nicht mehr auf den Bildschirm. "Rufen Sie an und gewinnen Sie 10.000.Euro!", reißt mich die Stimme der blondierten Moderatorin aus den Träumen.
Automatisch greife ich zum Telefon, wähle die Nummer. 013744944. Jeden Tag dasselbe. Ist schon fast ein Ritual. Ich greife jeden arbeitsfreien Morgen zum Telefon, rufe dort mit der richtigen Lösung an und stelle dann dümmlich fest, dass a) ich entweder die falsche Nummer gewählt hab oder b) die Leitung besetzt ist. Tut, Tut, Tut, machts dann. Aber...Das GIBT'S DOCH NICHT! Nein, das kann nicht sein. "NeunLive. Wer ist am Apparat?" Ich sehe zum Fernseher, merke, dass Blondchen mit mir spricht. "Äh...Sally." "Sally, wie alt sind Sie?"
"Ich bin 19. 19, ja."
"Was meinen Sie, wie viel Buchstaben hat das Wort Klapperschlange?"
"Ja...äh, da braucht man doch nur richtig zählen. Drei...öh, Fünfzehn sinds. 15."
"Sie sind sich sicher?"
"Warum denn nicht? Ich gehe davon aus, dass ich in der 1. Klasse, was schon eine Ewigkeit her ist, sehr wohl das Zählen gelernt hab. Ich sage 15."
"Sally? Sie haben sie. Die zehntausend Euro gehören Ihnen!Glückwunsch."
Begeistert davon, dass es doch noch dumme Leute gibt, die nicht zählen können und von mir was lernen sollten, schreie ich durchs Telefon. Und 10 Minuten später haue ich auf den Putz. Ich schalte auf Mtv und es kommt irgendso ein Party-Lied, bei dem ich lauthals miteinstimme. Ich hab auf einmal so eine gute Laune, mich reißts gleich vom Hocker. So gut, dass ich fast vergesse, dass ich mir ja noch mal einen Cappuccino gemacht habe.
Ich springe auf meinem Bett hin und her. Auf einmal klingelt es an der Haustür.
Ich mache auf.
"Sagen Sie, geht das auch leiser?Das ist ja unerträglich!", meinen eine Omi und ihr Mann. Der Mann sagt nix, er schaut mich nur entgeistert an; dann mustert er mich und grinst. Ich schaue an mir herunter, und bemerke, dass ich ja nur mein knappes rosa-schwarzes Spitzenhöschen und das passende Oberteil anhabe. "Oh...", murmle ich.
"Es tut mir leid, aber ich hab grad 10.000. Euro gewonnen.", sage ich und nicke entschuldigend. Ohne eine Antwort abwartend schließe ich leise die Tür, mache den Fernseher aus und lege mich auf die lila Samtcouch. Ich mummle mich in meine Decke ein und summe "Sexbomb" von Tom Jones vor mir hin. Danach wird mir langweilig und ich räume die Küche auf. Zwischen verpappten Kaffeetassen und Bröseln sowie Plastikverpackungen liegt mein Kalender.
"Ah!", schreie ich und versuche, den Kaffeefleck wegzubringen. Nur mühsam mit heißem Wasser, an dem ich mich fast verbrenne, bringe ich den Fleck weg.
"Toll", rufe ich ironisch begeistert aus. "Erst ein wenig Geld gewinnen, und dann nicht wissen, welche Termine ich habe, weil so ein beschissener Fleck drauf ist."
Nachdem ich mich gebadet habe, rufe ich Betti an.
"Hallo?", meldet sie sich noch ziemlich verschlafen.
"Betti? Du wirst es nicht glauben, aber ich habe...äh, Betti?", ich weiß nicht, ob sie noch dran ist.
"Ja, was denn?", schnieft sie.
"Wasn los mit dir? Heulst du?"
Sie schweigt.
"He, Betti!"
Sie schweigt.
"B-E-T-T-I! Erde an die süße Betti. Wasn los?"
Auf einmal höre ich nur noch Gebrülle und Heulerei.
"Dieses Arschloch von Werner hat mich verlassen. Ah nee, ich hab ihn ja verlassen. Er hat mich mit so einer blonden Tusse betrogen...", flennt sie.
"Och nee. Und dabei hab ich heute zehntausend im Fernsehen gewonnen. Weißt du was? Als Trostpreis kriegst du die Hälfte. Ich komm kurz vorbei."
"Aber...", mehr höre ich nicht von ihr, denn ich habs auf einmal total eilig. Ich kann ja schließlich meine Freundin nicht solange anhören, in so einem Zustand. Na warte, dieser Depp von Werner. Der kriegt bestimmt noch sein Fett weg.
"Hi...", umarmt mich Betti liebevoll und heult mir schon jetzt mein weißes T-Shirt voll.
"Och Kleine, was machst du auch für Sachen?!", frage ich.
"Ich? Ich?", zeigt Betti auf sich und schaut mich an. "ER hat mich doch betrogen, nicht andersrum!", ruft sie.
"Hm, stimmt auch wieder.", stimme ich ihr zu. "Leg dich mal in dein Bett", kommandiere ich sie rum
und gehe in die Küche. Ich mache das Radio an und mache einen Kaffee.
Mit frischem, heißen Kaffee sieht die Welt wieder ganz anders aus, meinte meine Großmutter väterlicherseits immer, wenns Probleme gab. Ich glaub, sie hat Recht. Nachdem Betti sich ein wenig beruhigt hat, erzählt sie mir in haarkleinen Details, wie sie Werner mit der Tusse im Bett zusammen erwischt hat.
"Pass auf", meine ich, als sie fertig ist. "Pass auf, wir machen den Club der ´Independent Women.´ Und wir schwören uns, dass wir keine Männer mehr anrühren. Nie mehr."
"Alles klar."
"Abgemacht. Und heute gehen wir ins `Backstage`, damit wir dich ein wenig aufheitern. Louise kann auch noch mitkommen. Komm, wir rufen sie gleich mal an."
Auch Louise scheißt auf Männer und macht was sie will. Sie ist absolute Feministin, und war schon mit elf eine begeisterte Anhängerin der Frauenbewegung. Sie hat tolle schwarze Haare und kommt aus Persien. Ihr Vater hat ein kleines Café, in dem wir uns oft nach der Arbeit treffen.
Jedenfalls erzähle ich auch ihr über die gewonnenen Zehntausend.
"Mensch, hast du aber auch ein Glück."
Am nächsten Morgen wache ich mit einem Kater auf, den jeden anderen Kater erblassen lässt. Ich sehe aus wie eine Mumie, oder besser gesagt, wie eine, die eben eine Nacht durchgefeiert hat. Ich setze mich auf die Bettkante und lausche dem Morgen. Irgendwie ist es still. Tja, denke ich mir, egal. Wir konnten tatsächlich gestern noch Betti aufmuntern. Sie hat sogar schon wieder geflirtet. Sie sah wie eine Kuh aus, die gerade Milch mit einem Strohhalm schlürft; und immer die Wimpern auf und zu blinzelt. Augenaufschlag eben.
"Hey", sagte sie anschließend und ging zu ihm hinüber.
"Hi", sagte er und grinste.
Naja, danach haben sie getanzt und sind später abgehauen. Oh oh, dachte ich mir, jetzt kommt der Racheakt, obwohl ihr "Ex-Angebetener" gar nix mitbekommen hat. Er war ja nicht da. Hm, vielleicht sollte ich Betti jetzt mal anrufen? Oder?
Ich stehe auf und mache mir mein gewöhnliches Frühstück mit den Worten: "Morgenstund hat Capu im Mund". Jetzt klingelt das Telefon. Ich schlendere mit langsamen Schritten zum Telefon, naja, besser ausgedrückt, ich suche es. Es läutet und klingelt und läutet und klingelt, und ich...knalle auf die Nase, mist. Ich habe das Kabel des Telefons nicht gesehn. "Ah...au au au...", schreie ich mit Schmerzen. Ich habe mal so einen Film gesehen, dort ist einem Mädchen genau das selbe passiert. Sie hat ihren Schwarm gesehen, lief in seine Richtung und stolperte über einen Schulranzen. Naja. Das weiß ich noch ganz genau, denn...peinlich, peinlich, aber das Mädchen war ich. Jemand hat ein Schulprojekt gemacht und dabei gefilmt, und es natürlich rein zufällig mitgefilmt. Ich war dann das ganze Gespött der Schule, ich hatte sogar einen süßen Nicknamen. "Ah, da ist ja wieder unser Stolperlinchen", so wurde mit einem Finger auf mich gezeigt. Seitdem hatte ich immer diesen Nicknamen, bis ich dann in eine Schule irgendwann gewechselt habe. Aber nein, nicht wegen des Spitznamen.
Ich richte mich nach meiner Stolperei auf und humple zum Telefon. "Hallo?", melde ich mich mit schmerzverzerrtem Gesicht.
"Ich hab einen Neuen! Einen Neuen hab ich!", jubelt Betti mir in die Hörmuschel.
"Toll", sage ich selbstverständlich hoch erfreut und reibe meinen Knöchel. Ich ziehe den Socken aus und sehe einen blauen Fleck.
"Was isn mit dir los?"
"Nix, hab mich nur angehaun. Sag mal, wo warst du denn gestern? Wir haben dich nicht mehr gesehen. Louise und ich sind dann gegangen."
"Ich habs bemerkt", antwortet sie und klingt nicht gerade nett.
"Sorry, aber ich wart doch nicht vor der Tür, während ihrs im Stehen treibt oder so! Wer bin ich denn?"
"Ist ja gut. Aber, wir habens gar nicht im Stehen gemacht. Nur im Liegen.", sagt sie und prustet kindisch los.
"Also was ist jetzt mit ihm?"
"Öh, ich glaub wir sind zusammen."
"Nee, oder? Mensch Betti! Leb nicht aufm Mond! Für den...Also, so wie der aussah, hat der in dir doch nicht die große Liebe gefunden. Ich sags nur ungern, Süße. Aber pass auf dich auf!"
"Du bist doch nur neidisch."
"Nö, bin ich gar nicht. Wir hatten eigentlich ausgemacht, dass wir unabhängige Frauen sind, Betti. Independent Women. Weißt du nicht mehr?"
"Türlich. Vergess ich doch net. Aber ich bin auch so eine völlig unabhängige Frau, Sally.", sie versucht, überzeugend zu klingen. Allerdings glaube ich, dass sie garantiert noch nicht über ihren Ex hinweg ist und jetzt einen auf Rache macht.
Im Cafe von Louise's Dad sitzen Loui und ich auf einem der persischen Teppiche und trinken Cola. Kostenlos.
"Hm, jedenfalls hab ich ihr gesagt, dass ich aufpassen würde an ihrer Stelle", beende ich meinen Bericht übers Telefonat mit Betti heute morgen. "Ja sicher. Für den wars bestimmt nur ein One-Night-Stand, hundertpro.", meint auch Loui.
"Ja. Ich geh mal kurz aufs Klo", erhebe ich mich. Ich laufe mit schnellen Schritten zur Toilette. PLATSCH! machts, und heißer Kaffee läuft schon zwischen meinen Brüsten hindurch.
"Oh...Es...es tut mir leid, das wollte ich nicht. Es...oh Gott, peinlich."
Ich schaue von den Nikey-Turnschuhen hoch auf das blaue Hemd.
"Äh, macht nichts. Ist schon ok.", laufe ich rot an und stürme in die Toilette. Mit Papiertüchern probiere ich, den Fleck herauszubringen. Hm, ziemlich süß, der Typ.
"Was war denn jetzt los?", fragt Loui erstaunt. "Du hast geflirtet."
"Wer? ICH? Ich doch nicht.", versuche ich mich herauszureden. "ER hat doch den Kaffee auf meine Titten geschüttet.", rufe ich so laut, dass der Typ mich ansieht und grinst. Oh, oh. Er...Er kommt! Er kommt auf mich zu...Nein, bitte nicht....
"Hey...Es tut mir ehrlich leid wegen vorhin. Äh...kann ich das gutmachen?"
"KLAR!", ruft Loui. Typisch. Wenn Loui mit mir unterwegs ist, muss sie mir immer alles vermasseln. Einmal war ich mit ihr im Kino, und sie hat mich geschubst und ich fiel mit meinem Popcorn direkt auf meinen Schwarm, den ich damals ansprach. Ich wollte unbedingt mich mit ihm treffen, und hatte aber Schiss. Dann hab ich Loui angebettelt und sie ist mitgegangen. Das war echt zum Kotzen.
Ich trete ihr gegen's Schienbein und räuspere. "Öh, also...", stottere ich.
Er setzt sich gegenüber mich und starrt mich an.
"Was ist?", frage ich ihn.
"Nichts...gar nichts. Ihr seid echt verrückt."
"Verrückt?"
"Naja...", fängt er an und hört dann aber wieder auf.
Er holt die Kellnerin zu sich und bestellt 3 Kaffee's.
"Danke, Ayse. Geht ja aufs Haus.", sagt Loui.
"Hää? Aber..."
"Meinem Vater gehört das Café", erklärt Loui und zwinkert mir zu. "Du, Sally. Ich habs furchtbar eilig. Lass mal, den Kaffee, meine ich. Ich muss zur Vorlesung."
"Zur Vorlesung? aber...du kannst mich doch jetzt nicht alleine lassen. Mensch...Aber...Am Samstag eine Vorlesung?"
Ja, mein Onkel, der ist doch Professor. Ich hab dir doch davon erzählt, dass ich ihn besuchen gehen wollte. " Diesmal lügt sie wie gedruckt.
Der Typ schaut von mir zu Loui und wieder zurück.
"Ciao, war nett, dich kennen zu lernen.", verabschiedet er sich von Loui. Er lächelt. Und Loui ist weg.
Mann, das war ja gar nicht auffällig. Und nun? Der Typ starrt mich an.
"Was ist?", frage ich. Er lächelt. Ayse kommt mit drei Kaffeetassen angekurbelt. "Na, dann darf ich wohl zwei trinken.", meine ich. Er lächelt immer noch. Und sagt nix. Ist der Typ taub oder was? Wieso grinst der denn immer so voll blöd??? Hat der was? Es ertönt ein türkischer Klingelton. Und keiner geht ran. "Mann, es bimmelt. Ich hasse solche Leute, die so lange brauchen, ans Handy zu kommen." Bis ich bemerke, dass das mein Handy ist.
"Hallo?", sage ich rot wie eine Tomate.
"Ja, guten Tag, Frau Belinde." Oh gott, meine Chefin. Was will die denn jetzt?
"Hallo Frau Sanders. Was kann ich denn für Sie tun?"
"Sie, Sie müssen mir helfen. Meine Kollegin ist ausgefallen. Kommen Sie doch bitte vorbei. Schließlich hätten Sie ja heute Dienst."
"Aber..." Aufgelegt. "Mann! Es tut mir fürchterlich leid, aber ich muss dich leider mit drei Kaffee's hier alleine lassen. Meine Chefin braucht Hilfe im Laden."
"Kann ich dich wenigstens mal anrufen?" Wir tauschen Nummern aus und ich verabschiede mich danach.
Nachdem ich also im Laden ausgeholfen habe, beschließe ich, mir etwas gutes zu tun und an diesem Samstag eine Shoppingtour zu machen. Ich hab ja jetzt genügend Geld. Ich gehe mit meinen ausgewaschenen Jeans und meinem orangenen Fledder-Top in einen Versace-Laden.Die Verkäuferinnen schauen mich kritisch und abstempelnd an. Ich ignoriere es und schlendere zu den einzelnen Klamotten. Ich entscheide mich für einen weißen Anzug und weiße Pumps.
"Tut mir leid, aber dieses Teil ist unverkäuflich."
Ich lege es zurück und suche mir ein mit ähnlich wie diamanten-besticktes Abendkleid aus und gehe mit schnellen Schritten zur Kasse, nachdem ich es anprobiert habe.
"Es tut mir wirklich leid, aber auch dieses Teil ist unverkäuflich." Ja, spinnen denn jetzt alle? Ich habe Geld und nun kann ich mir per Kontoabzug nichts kaufen? Was ist denn los? Mir platzt gleich der Kragen.
"Wie bitte? Es tut mir auch leid, aber dennoch, ich möchte dieses Abendkleid. Oder möchten Sie es gerade MIR nicht verkaufen, weil ich keine Society-Tussi mit Make-Up bin? Ist es das? Nun gut,", sage ich aufgeregt, "so kriegen Sie sowieso keine Kunden. Ihr Laden ist mir egal. Bei Ihnen kaufe ich nix." Ich haue das Abendkleid auf den Kassentisch und gehe wutentbrannt zur Tür. Die drei Verkäuferinnen lucken ängstlich hinter dem Tisch hervor.
"Ah ja...", sage ich und grinse, "egal, wie ich angezogen bin. Im übrigen. Ich habe neulich zehntausend Euro verdient. Tja, da entgeht Ihnen eine Stammkundin." Ich öffne die Tür und lasse sie laut zufallen. Manchmal scheint das Leben schwer zu sein. Ich arbeite hart und kriege es trotzdem nicht hin, mir ein Versace-Kleid für 2.500 Euro zu kaufen. Wahnsinn!
Ich habe mir jedoch trotzdem viel gekauft. Und per Banküberweisung gezahlt. Mein Kleiderschrank ist nun um fünf Jeans, drei Oberteile, vier Schuhpaare und zwei Hüte reicher und dicker. Ich glaube, ihm schmeckts. Ich rufe Betti an. "Hey, Betti. Gibt es eigentlich noch normale Menschen auf dieser Erde? Vorhin gehe ich in einen Laden, möchte ein Kleid kaufen und die verkaufen mir nix! Ist doch echt beschissen, oder? Kannst du dir das vorstellen?"
Ich höre ein Schluchzen.
"Oh nein.", sage ich bedrückt. "Was ist denn jetzt schon wieder los?"
"Er..."
"Fang gar nicht erst mit ER an! Ok? Sag lieber: "das Monster"! Also, was hat es getan?"
"Du weißt doch...Der Typie da. Du weißt schon."
"Ah, der!", tue ich, als wüsste ich, von wem sie redet.
"Ja..."
"Mensch Betti, ich bin doch net blöd. Der wollt dich doch nur ausnutzen."
"Nein...Er...er ist verheiratet!"
"WAS?"
"Ja, er hat..." Sie schnäuzt sich die Nase."Er hat es mir am Telefon gesagt."
"Feigling."
"Wer?", fragt sie.
"Na, der Typie. Wie heißt der eigentlich?"
Betti fängt schon wieder an, hysterisch rumzuplärren.
"Reinhard."
Ich lache laut auf und spucke das Telefon an.
"REINHARD! Oh Gott. Oh Gott", rufe ich, "ist das lustig! Ist er außen rein und innen hart?!"
Ich pruste los und kann mich nicht mehr halten.
"Hör auf! Hör auf, Sally. Er ist...innen weich, und außen halt ein cooler Macho. Aber ich liebe ihn."
Ich muss schon wieder lachen. Ist das ehrlich wahr?
"Du liebst ihn doch nicht...", sage ich hustend.
"Doch! Ich weiß genau, dass es vom ersten Moment an, als ich ihn im Backstage gesehen habe...Mann, Sally. Da hat's einfach gefunkt!"
"Sorry. Aber als deine nette und wahre Freundin muss ich dir sagen: Betti, du bist bescheuert."
"Aber..."
"Naja, mach was du willst. Pass trotzdem auf dich auf, Kleine."
"Ja, natürlich!"
Zehn Minuten nachdem ich aufgelegt habe, klingelt erneut das Telefon.
"Guten Tag, Welters, mein Name. Ich rufe von der Hypo Vereinsbank an. Ich spreche mit Sandra Belinde?"
"Korrekt. Was gibt es denn?"
"Sie haben Ihr Konto überzogen. Sie sind deutlich im Minus. Schauen Sie, dass Sie Ihre Schulden runter kriegen."
"Aber, ich habe doch Zehntausend im Fernsehen gewonnen.Das...das...kann doch nicht sein!"
"Es tut mir leid. Zwar ist richtig, dass Sie Geld gewonnen hatten. Aber Sie haben mehr ausgegeben, als Sie gewonnen haben."
"Öh...Ja..."
"Und Sie haben ja bereits noch Schulden davor gehabt. Weshalb haben Sie nicht einfach diese beglichen und danach ein wenig das Restgeld ausgegeben? Naja. Ich musste Ihnen das jetzt so sagen, obwohl das nicht mein Job ist. Aber Sie sind eine meiner langjährigen Kunden, die ich gerne berate."
"Oh...ok. Danke."
Ich lege auf und mir kullern Tränen herunter.