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Salz auf meinen Lippen

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23.12.2003
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Salz auf meinen Lippen

Ich habe meine Omi geliebt. Sie machte mir immer Kakao, in einem alten, ausgewaschenen Senfglas, auf dem Ernie und Bert abgebildet waren.
Wenn ich an Omi denke, dann automatisch auch an frische Erdbeeren. Omi kochte die beste Erdbeermarmelade der Welt. Sie starb irgendwann zwischen meinem vierzehnten und fünfzehnten Geburtstag.

In der zehnten Klasse bekamen wir in Geschichte die Hausaufgabe auf, unsere Großeltern zu fragen, wie sie „Freiheit“ im zweiten Weltkrieg erlebt haben.
Dazu hatten wir zwei Wochen Zeit.
Vielleicht lag es daran, dass vor mir schon viele Schüler sagten, sie hätten keine Großeltern mehr. Vielleicht riss dem Lehrer der Geduldsfaden nur zufällig, als ich gerade an der Reihe war. „Ich habe auch keine Großeltern mehr,“ sagte ich ihm und sah an dem Lehrer vorbei, auf einen imaginären Punkt an der Wand. „Warum nicht?“ fragte er. Ich war irritiert, wurde aus meiner Gedankenwelt gerissen. Hatte er das wirklich gerade gefragt?
„Weil sie gestorben sind,“ sagte ich. Meine Stimme war ganz ruhig. Er sah mich prüfend an.
„Dürfen die das?“

Blitzartig befinde ich mich wieder in dem Schlafzimmer meiner Omi. Dort ist sie gestorben. Dort lag sie zwei Wochen lang. „Es ist nur eine Erkältung,“ sagte sie. Sie wollte nicht zum Arzt. Aus der Erkältung wurde Leberkrebs. Aus der Erkältung wurde Darmkrebs. Vielleicht hätte man noch was machen können, wenn ...
Hätte. Wenn.
Als ich sie das letzte Mal sah, war sie ganz gelb. Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange, wie ich es immer tat. Sie hatte Erdbeermarmelade gekocht, ich sollte probieren.
„Du solltest dich nicht so anstrengen,“ dachte ich, aber das konnte sie nicht mehr hören. „Es ist die beste Marmelade der Welt,“ sage ich also stattdessen zu ihr, wie ich es früher immer gesagt habe.
Es war das letzte Mal, dass ich Erdbeermarmelade aß. Ich probierte sie noch einmal, Jahre später, aber es kam mir vor wie Verrat.
Ich konnte nicht weinen, als sie starb. Ich wollte es nicht wahrhaben.
Die Tränen flossen das erste mal auf ihrer Beerdigung, als der Pastor erzählte, dass sie noch Erdbeermarmelade kochte, kurz bevor sie starb. Ich spürte wie die erste Träne sich ihren Weg an meine Lippen bahnte. Ich spürte das Salz auf meinen Lippen.

All das hätte ich am liebsten meinem Lehrer ins Gesicht gespuckt. Aber das passt einfach nicht zu mir. Ich bin ruhig, gehe Diskussionen lieber aus dem Weg und denke mir meinen Teil. Ich habe mich immer unter Kontrolle.
„Ja, das durfte sie,“ antworte ich ihm deshalb, immer noch ganz ruhig. Innerlich bebe ich. Wut und Trauer brechen über mir zusammen, aber auch die Stärke vor ihm keine Schwäche zu zeigen.
Ich kann mir bestens vorstellen, was der Lehrer denkt: „was für ein emotionsloses Mädchen,wie es über ihre Großeltern redet, als hätten sie ihr nichts bedeutet.“
Aber ich verlasse das Schulgebäude eher als sonst und schmecke Salz auf meinen Lippen.

 

Hallo, kleineNacht!

Schöne Geschichte, wenn auch sehr traurig. Ich hatte ebenfalls eine Omi, die ich besonders gern hatte und die ausgerechnet an dem Tag sterben sollte, als ich meinen 8. Geburtstag nachfeiern wollte.
Deine Geschichte liest sich sehr flüssig und grammatikalische Patzer konnte ich keine entdecken.
Zwei Rechtschreibfehler sind mir jedoch aufgefallen. Der Form halber möchte ich Dich an dieser Stelle darauf hinweisen:

kleineNacht schrieb:
Es war das letzt Mal, dass ich Erdbeermarmelade aß.

Es war das letzte Mal, dass [...].

kleineNacht schrieb:
Ich probierte sie nocheinmal, Jahre später, aber es kam mir vor wie Verrat.

Ich probierte sie noch einmal, [...].

Mehr Beanstandungen habe ich nicht. ;-)

Weiter so und ein schönes Wochenende wünscht

Herr Biedermann

 

Hallo Kleine Nacht,
mir hat Deine Geschichte gut gefallen...so fern man das sagen so kann...
"berührt" ist wohl treffender.

Zwei Dinge:

„Du solltest dich nicht so anstrengen,“ dachte ich, aber das konnte sie nicht mehr hören.
Was man denkt kann üblicherweise niemand hören ;)

Der Lehrer denkt „was für ein emotionsloses Mädchen,wie es über ihre Großeltern redet, als hätten sie ihr nichts bedeutet.“
Der Satz gefällt mir so nicht- dafür ist er Dir auch sicher zu wichtig in seiner Aussage.
Erstmal frag ich mich wie Du wissen kannst was er denkt...klingt als würdest Du hören was er denkt, als würde er es sagen, vielleicht kannst du das besser ausdrücken...diesen zu unrecht enstandenen Eindruck beschreiben den er von Deiner Prot. hat. bzw. Du wiederrum von ihm.

Der Satz Salz auf den Lippen zu schmecken ist natürlich sehr schön, daher würde ich ihn entweder in dem Beerdigungssatz weglassen oder am Ende..."wieder das" oder "wieder dieses" dazwischen setzen...um ihm mehr Ausdruck zu verleihen.
Nur so ne Idee...

Mit Dank an die Erinnerung an auch meine marmeladekochende Omi...
Micha

 

Hallo ihr beiden,
danke für das schnelle Feedback.
Herr Biedermann, die Fehler sind verbessert. ;)

Panther, das mit dem "..konnte sie nicht mehr hören.." meinte ich eher so, dass sie davon die Nase voll hat, weil es schon so viele gesagt haben.
Vielleicht sollte ich das anders formulieren.

Das mit den Gedanken des Lehrers war auch mein Problem, irgendwie wollte ich es noch betonen, dass ihre Gefühllosigkeit nach außen hin klar wird, andererseits wusste ich nicht so recht, wie ich das machen sollte.

Das mit dem sich wiederholenden Satz "Salz auf den Lippen" werde ich so stehen lassen, da die Protagonisten ja nicht nur weint, wenn sie an ihre Oma denkt, sondern auch aus anderen Gründen. Aber danke für die Anregungen.

Liebe Grüße
kleine Nacht

 

Hallo kleineNacht,

Ich habe meine Omi geliebt. Sie machte mir immer Kakao, in einem alten, ausgewaschenen Senfglas, auf dem Ernie und Bert abgebildet waren

Meine immer in der Tasse, weil er warm war. Ich mußte erst letztens wieder nach einem Tag, an dem ich viel Schnee schippen mußte, an sie denken.
Früher kam ich immer durchgefroren nach dem Schlittenfahren heim und dann machte mir Oma eben den warmen Kaba. Das war Geborgenheit pur. Schön, von dir nochmal an diese Situation erinnert zu werden :).

Das Einzige, was mich etwas an deiner Geschichte gestört hat, war die Frage des Lehrers: "Dürfen sie das?"

Kann ein Lehrer so etwas fragen? Kommt mir etwas unrealistisch vor.

Eine warme "Kinder"-Geschichte :), die einem selbst in die Vergangenheit zieht.

Lieber Gruß
bernadette

 

Hallo bernadette!

Danke für deinen Kommentar, freut mich, dass dir die Geschichte offensichtlich gefallen hat.
Zu der Frage des Lehrers: Ja, es gibt leider Lehrer, die so etwas fragen. Ich wurde gefragt und das war es auch, was mich dazu veranlasste, die Geschichte zu schreiben.
Allerdings ist das nicht alles komplett autobiographisch, aber jede Geschichte enthält ja bekanntlich einen wahren Kern. ;)

Liebe Grüße
kleine Nacht

 

Hallo kleineNacht,

dein Text hat mich sehr berührt.
Du hast das Gefühl des Verlusts sehr schön eingefangen und einige dieser "kleinen Momente" geschildert, die man mit seinen Großeltern erlebt.
Ich konnte sehr gut nachvollziehen, dass die Prot. aufgrund der Aussage des Lehrers total wütend geworden ist. Gibt es wirklich Typen, die so etwas sagen.

Aber ich verlasse das Schulgebäude eher als sonst und schmecke Salz auf meinen Lippen.

Die Formulierung mit "Salz auf den Lippen" würde ich nur einmal verwendet. Sie verliert sonst sehr stark ihre Wirkung. Du kannst ja trotzdem schreiben, dass sie weint, aber diese spezielle Wendung würde ich einmal streichen.

LG
Bella

 

Hallo kleine Nacht,
zum Geburtstag ein kleiner Kommentar zu Deiner kleinen, aber feinen Geschichte:
Die Sprache trifft nach meinem Geschmack den richtigen Ton.
Die Erzählstruktur finde ich nicht ganz rund. Der erste Abschnitt ist eine Art Einführung, die dadurch, dass sie gut klingt, über ihre Überflüssigkeit hinweg täuscht. Danach folgt die Erinnerung, eingebettet in das Ereignis in der Schule. Das ist rund, allerdings ist der Schlussabschnitt in der falschen Zeitform geschrieben - er müsste wie der erste Schul-Abschnitt in Vergangenheit stehen, nur die Rückblende in der Mitte in Präsens.
Zwei Kleinigkeiten noch:
"Wenn ich an Omi denke, dann automatisch auch an frische Erdbeeren" -> "automatisch" klingt immer so nach "Automat". Ich denke, Du kannst das Wort einfach weglassen.
"Aus der Erkältung wurde Leberkrebs. Aus der Erkältung wurde Darmkrebs" -> sorry, das klingt mir zu sarkastisch. Will nicht passen.

Uwe
:cool:

 

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