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Sandwichbar

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21.05.2006
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Sandwichbar

Natürlich trugen die Beiden faltenlose schwarze Anzüge und kauten Fishermans Friends mit intensiver Minze. Natürlich hatten sie lässige Posen eingenommen, sahen sich beim Reden nicht an und natürlich hatten sie vor sich jeweils ein Käse-Eier-Sandwich ohne Butter aber mit einer fetten Schicht Remoulade liegen. Und natürlich war der Raum so erfüllt vom Vorwurf der Homosexualität - zwei Männer in Anzügen, an ein und dem selben Tisch einer Sandwichbar - das Adam Schweißausbrüche bekam und Gregor sich misstrauisch umsehend, langsam erboste. Wenn er wütend wurde, verzogen sich die buschigen Brauen und unterstrichen die farbliche Kraft seiner blauen Augen. Sie profitierten von der ungewöhnlichen Blässe des restlichen Gesichtes, eine regelrechte Leichenblässe. Ein Fernseher hing in der Ecke und flimmerte. "Du weißt, warum sie uns anstarren?", fragte er.
Adam nickte. "Weil wir schwul sind?"
Gregor wurde noch wütender. "Gottverdammt, wir sind nicht schwul!..."
Adam prüfte die Gäste und ihre Blicke, die wie Gazellen auf der Flucht vor Löwen schnell in alle Richtungen hin auswichen, während die Mienen Desinteresse vortäuschten. Was sie wohl dachten? Rollenspiel - Geschäftsmeeting - zwei Kerle in Anzügen tun so, als würden sie einen dringenden Vertrag aushandeln müssen, als verkaufe einer von ihnen einen Staubsauger - und sie fühlen sich glücklich dabei, es in der Öffentlichkeit zu zeigen, wissend, das jeder Zeuge ihrer Extravaganz und ihrer Unverhohlenheit wird - schließlich, nach der Rechnung, ziehen sie davon, lassen hinter sich die Ungewissheit. Was wird weiterhin geschehen? Eine wilde Orgie? Hemmungsloser Sex?
Wenn sie wüßten, was wirklich geschieht, wenn sie wüßten, wer wir wirklich sind. Ich bin nicht schwul, dachte Adam, keinen Hauch. Und Gregor könnte ohne Frauen nicht leben. Sie sind sein Herzschrittmacher. Ich habe schon tausend Frauengeschichten von ihm gehört, eine versauter als die andere... Adam sprach seine Meinung aus:
"Lass sie doch denken... Kennt uns eh kein Schwanz hier!"
Gregor nickte wie ein gieriger Pitbull, der mit einem Würstchen vom Opfer abgelenkt worden war. Auf Adams Gesicht tat sich nichts. Er behielt immer den selben dumpfen nichtssagenden Ausdruck bei: Die Lippen leicht geöffnet zum O geformt, die Stirn ein wenig gewölbt und seine Pupillen streng auf den Gegenüber gerichtet. Adam war unauffälliger als Gregor, war jedoch der Schönere von Beiden. Gregor hatte sich mittlerweile eine Theorie über Vorurteile zurechtgelegt:
"Sie haben in ihrem ganzen Leben noch nicht zwei gepflegte Männer gesehen. Metrosexuell gleich homosexuell. Weil wir Gel in den Haaren haben, weil wir Anzüge tragen, weil wir uns nach dem Pissen die Hände waschen... weil...."
"... weil wir in einer Sandwichbar sitzen..."
Gregor verzog die Augenbrauen: "Was?"
"Na, ich glaube, das sie uns für schwul halten, weil wir in einer Sandwichbar sitzen. Wie oft siehst du schon zwei Männer mit Anzügen in einer Sandwichbar? Nie... oder?"
"Was redest du da?"
Adam spitzte die Lippen und beugte sich leicht nach vorne, als beschuldige er die schlechte Akustik für ihre Verständigungsschwierigkeiten.
"Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, das es keine grundsätzliche Einstellung ist. Ich denke, zwei Männer, die in Anzügen und mit Aktenkoffern über die Straße gehen oder im Restaurant sitzen würden, würden nicht als schwul gelten. Eine Sandwichbar ist irgendwie was anderes. Um hier hinzugehen, tarkelt man sich nicht so verflucht auf. Männer, die in eine Sandwichbar gehen, fressen, rülpsen und tragen Jogginganzüge. Sie sind so ungewohnt, eine solche Portion von Gentleman wie uns in einer Sandwichbar zu sehen."
Schweigen. Gregor sah Adam in die Augen, hatte diesen leicht konfusen Ausdruck auf seinem Gesicht, den man bekommt, wenn man etwas nicht versteht und glaubt, es würde nie verstanden werden. Doch - für einen Augenblick - schien es, als begriff er, was Adam hatte vermitteln wollen.
"Ach, halts Maul!... Wer zahlt?"
"Ich mach schon..."
Adam zückte sein Portemonnaie und bezahlte an der Theke. Unterdessen wuchs unter den Gästen eine rege Faszination: Als ungebetene Zuhörer hatten sie an dem Dialog teilgenommen, werteten seinen Inhalt jedoch weniger als Erweis der Heterosexualität, sondern viel mehr als ein Alibi, das ihre These bestätigte. Warum hören sie nicht auf zu starren, fragte sich Gregor, warf einen Blick umher. Adam setzte sich wieder, sah in Gregors Augen das Blitzen, ließ seine Augen eben so blitzen und lächelte. Und während jeder Gast dachte, das wäre ihr stummes Liebesbekenntnis und eifrig die Sodomie begafften, kannten Beide die Wahrheit.
"Siehst du den rechts von mir?", flüsterte Gregor.
Adam warf einen Blick aus dem Augenwinkel und nickte.
"Wenn er nicht aufhört zu starren..." Er ließ den Satz in einem Tunnel aus Ungewissheit enden. Adam kannte den Tunnel und schüttelte den Kopf. Er kannte Gregors inneres "Potential", wie er es immer vorsichtig ausdrückte. Er kannte die Wahrheit.
"Lass ihn einfach..."
Schnell ließ Adam seine Hand auf Gregors fallen und umschloß sie fest. Die Härte des Griffes nahm indes niemand wahr. Wieder wurde diese winzige Geste als Bestätigung aufgefasst. Nichts geschah. Bloß Blicke kreisten, zwischen Adam und Gregor, zwischen den Gästen und dem "Liebespaar".
Innerhalb von Sekunden befreite Gregor seine Hand, grinste gemein und kaum hatte jemand begriffen, was geschah, da rannte er schon brüllend auf den Gast rechts von sich und schob ihm mit einen heftigen Stoß ein Messer in den Unterleib. Danach, blutbeschmiert, hockte er auf den Fliesen und lachte schallend. Adam behielt seinen dumpfen nichtssagenden Ausdruck bei, wie eh und je. Schließlich kannte er Gregor Inneres und hatte nichts anderes erwartet. Plötzlich jedoch regte sich etwas in ihm. Der Fernseher zeigte die Nachrichten: Ein Bild von Gregor, ein Bild von Adam. Schlechte Aufnahmen, dachte Adam, im Gefängnis machen sie immer schlechte Aufnahmen. Da schoß es ihm ruckartig durch den Kopf, fast betrunken schwirrte die Umgebung um ihn herum und schien in einer einzigen endlosen Masse zu verschwimmen. Gregor lachte. "Siehst du, unser Fotos, siehst du..." Lachen. "Deswegen haben sie uns so angestarrt..."

 

Hi nackter otto

Ich finde deine Geschichte soweit gut. Vor allem, was die Prot. denken, was die Leute denken, das dann schlussendlich ja gar nicht stimmt.

Allerdings ist mir dieses Hin und Her etwas zu langatmig. Also mir wurde langsam langweilig, denn du wiederholst immer wieder, was die beiden machen, und die anderen Gäste dazu zu denken scheinen. Die Situation versteht man ja schnell. Das Adam Gregor kennt (geheimnissvoll) kann man ja schon früher einbauen, damit sich diese kleine Spannung aufbaut. Zumindest ist es meine Meinung.

Liebe Grüsse

Judith

 

Hallo nackter Otto,

Du hast versucht, eine Pointengeschichte zu schreiben. Die ganze Zeit während des Lesens hab ich mich gewundert, warum die Beiden überhaupt soviel Wert auf ihr Umfeld legten, wo sie doch beide die Wahrheit kannten. Die Wahrheit entpuppte sich schließlich; die Beiden sind Verbrecher auf der Flucht. Aber wieso dann das Gespräch über das "Schwulsein"? Wieso dieses hin und her? Sie hätten ja wissen müssen, daß sie nicht deshalb angestarrt werden, sondern weil sie gesucht werden und auf der Flucht sind.
Von daher fand ich das ganze Gespräch im Nachhinein (also mit der Pointe im Hinterkopf) betrachtet ziemlich unsinnig. Also: Zwei Verbrecher auf der Flucht, die in einer Sandwichbar landen und denken, sie würden für Schwule gehalten werden?

Kann natürlich auch sein, daß die Beiden ziemlich gestört sind und wirklich erst am Ende draufkommen, daß sie in Wirklichkeit angestarrt werden, weil man sie sucht und sie erkannt worden sind.
Aber das hättest Du eigentlich einbauen müssen.

Gruß,
stephy

 

Hallo nackter Otto,

ich muß mich meinen Vorrednerinnen anschließen.

Einen Aha-Effekt hätte ich gefunden, wenn die Geschichte genau umgekehrt aufgebaut gewesen wäre. Also die beiden fühlen sich unwohl, weil sie wissen, dass sie gesucht werden und befürchten von den Gästen erkannt worden zu sein. Am Schluß stellt sich raus, dass die spießigen Mitbürger sie für zwei Homosexuelle gehalten haben. Nach dem Motto: gepflegte Vorurteile vernebeln den Blick fürs Wesentliche.

LG
Katinka

 

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