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Sarah und der Fremde

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11.08.2003
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Sarah und der Fremde

Sarah hatte knapp zehn Minuten an der Hotelbar gesessen, als er eintrat. Er war Mitte dreißig, groß gewachsen und sehr modisch gekleidet. Der schwarze Anzug stand ihm wirklich gut und lies ihn elegant wirken. Sein ganzes Erscheinungsbild verlieh ihm einen Hauch von Gigolo. Die Art wie er sich bewegte ließ darauf schließen, dass er sich durchaus bewusst war wie er auf Frauen wirkte. Er setzte sich an das andere Ende der Bar und bestellte einen Martini auf Eis. Der Barkeeper der mit dem Abtrocknen von Gläsern beschäftigt war, unterbrach seine Arbeit um den Neuankömmling zu bedienen.
Sie hatte ihn wahrscheinlich zu augenscheinlich begutachtet, denn er nickte ihr kurz zu, so als wolle er sie begrüßen. Als der Barkeeper ihm seinen Martini hinstellte, beugte sich der Fremde etwas über die Theke und flüsterte ihm etwas zu.
Der Barkeeper kam langsam zu ihr herüber.
„Der Herr möchte Sie auf einen Drink einladen."
Sarah dachte an ihren Mann, hatte er auf seinen Geschäftsreisen auch auf diese Art Frauen aufgerissen, oder war seine Sekretärin die einzige mit der er sie betrogen hatte? Die Wut, die sie auf ihren Mann hatte brachte sie plötzlich darauf dem Fremden eins auszuwischen, warum sollte sie ihn nicht Weichkochen und ihn dann einfach abblitzen lassen.
„Ein Glass Sekt bitte“, sagte sie und schenkte dem Barkeeper ein freundliches Lächeln.
Sechs Monate lang hatte ihr Mann sie betrogen und alle hatten es gewusst, nur sie natürlich nicht, sie hatte es erst erfahren, als seine Affäre schon wieder vorbei war, als er beschlossen hatte, dass seine Kinder ihm wichtiger waren, seine Kinder wohlgemerkt, nicht seine Familie, denn der Begriff Familie hätte sie mit einbegriffen.
Der Fremde kam langsam auf sie zu und lächelte sie an.
„Hallo, danke dass sie meine Einladung angenommen haben", sagte er. Seine Stimme klang warm und selbstsicher, kein Anflug von Aufregung. Wahrscheinlich war es nicht das erste Mal, dass er Frauen an der Hotelbar anbaggerte. Sarah fragte sich instinktiv, wie hoch wohl seine Erfolgsquote mit dieser Masche war.
„Normalerweise spreche ich ja keine wildfremden Frauen an, aber die Abende auf diesen Geschäftsreisen sind halt immer so langweilig“, fuhr er fort.
Hatte er diesen Satz zu Hause vor dem Spiegel geübt? Benutzte er immer diese Floskel? Sarah sah ihn sich etwas genauer an und musste sich insgeheim eingestehen, dass er genau der Typ war der anziehend auf sie wirkte.
„Kein Problem, dann vertreiben wir uns gegenseitig die Langeweile“, erwiderte sie und war dabei bemüht nicht allzu zynisch zu klingen. Meinetwegen kannst du dir den ganzen Abend an mir die Zähne ausbeißen, fügte sie in Gedanken hinzu.
Ihr Blick fiel auf seine Hände und zu ihrem Entsetzen sah sie, dass er einen Ehering trug. Das ist ja die Höhe, dachte sie, den hätte er wenigstens abstreifen können.
„Hätten Sie Lust mir beim Essen Gesellschaft zu leisten“, fragte er ganz unumwunden.
Sie sah ihn an und war unschlüssig, sollte sie die Sache wirklich durchziehen? Irgendwie interessierte es sie wie der Typ sie rumkriegen wollte. Und was war schon dabei mit ihm zu Abend zu essen. Wenn es ihr zu bunt wurde, konnte sie jederzeit aufstehen und gehen.
„Warum eigentlich nicht“, sagte sie schließlich.
„Ich heiße übrigens Marc“, sagte er.
„Sarah.“
Der Kellner wies ihnen einen Tisch am Fenster zu und empfahl ihnen das Wildragout.
Während dem Essen sprachen sie über alles mögliche, über Politik, exotische Speisen und vor allem über das Reisen.
„Wie kommt es, dass Sie so viel auf Reisen sind?“, fragte sie während sie auf das Dessert warteten.
„Ich arbeite als interner Prüfer, ich nehme die Buchhaltung der Tochtergesellschaften unter die Lupe, überprüfe ob dort alles mit rechten Dingen zugeht.“
Sie sah ihn verdutzt an.
„Ach“, sagte sie, „das hätte ich jetzt nicht gedacht, das passt irgendwie nicht zu Ihrem Erscheinungsbild."
Er lachte.
„Haben Sie erwartet, dass die Prüfer alle im Inspektor Colombo-Outfit rumlaufen?“
„Das nicht gerade, aber doch anders als Sie.“
Er lehnte sich etwas über den Tisch und winkte sie etwas näher zu sich heran.
„Ich verrate Ihnen ein Geheimnis“, flüsterte er, „wenn Ihre Kleidung Sie schon als Prüfer outed, werden die Leute gleich skeptisch und wortkarg. Selbst wenn sie nichts zu verbergen haben, vermeiden sie es mit ihnen zu reden. Wenn Sie aber lockerer auftreten und ein freundliches Erscheinungsbild abgeben, plaudern sie munter drauf los und verraten ihnen alles was sie wissen wollen.“
Sarah musste lachen.
„Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen“, sagte sie.
„Nein“, sagte er, „ganz im Ernst, die meisten Menschen beurteilen Sie nach ihrer Kleidung. Und wenn sie das begriffen haben, können Sie es sich zu Nutzen machen.“
Sarah sah ihn an und musste sich zum ersten Mal eingestehen, dass er eigentlich recht unterhaltsam war. Und gleich musste sie wieder an ihren Mann denken. Er hatte ihr das Verhältnis mit der Sekretärin einfach gestanden und es ihr überlassen wie es weitergehen sollte. Aber egal wie sie sich entscheiden würde, sie würde so oder so den schwarzen Peter ziehen. Schluckte sie seinen Fehltritt, so war die Sache einfach erledigt, obwohl er nicht einmal sonderlich reumütig wirkte. Und wie lange würde es wohl dauern bis er sich den nächsten Fehltritt erlaubte? Trennte sie sich allerdings von ihm, so war sie die hartherzige Ehefrau, die ihrem reumütigen Ehemann nicht verzieh und den Kindern den Vater nahm.
Scheißkerle, dachte sie.
„Was arbeiten Sie eigentlich“, fragte er und riss sie damit aus ihren Gedanken.
„Ich bin Erzieherin.“
„Oh toll, meine Schwester ebenfalls, das ist wirklich ein interessanter Beruf, ich könnte ihr stundenlang zuhören, wenn sie von den Kleinen erzählt“, sagte er.
Sie sah ihn nachdenklich an und war sich plötzlich nicht mehr sicher, was sie von ihm halten sollte. Er machte wirklich einen sympathischen Eindruck auf sie und fast tat es ihr ein bisschen leid, dass sie ihn abservieren würde. Nein, er betrog seine Ehefrau, er hatte es nicht besser verdient.
Sie hatte nicht gemerkte wie die Zeit verflogen war. Als sie eher zufällig auf die Uhr blickte stellte sie überrascht fest, dass es fast elf war. Seit drei Stunden redete sie jetzt schon ununterbrochen mit diesem Fremden und der Gesprächsstoff schien ihnen einfach nicht auszugehen. Die Diskussionsthemen gingen nahtlos ineinander über und zu ihrem Erstaunen musste sie feststellen, dass sie sich so gut unterhielt wie seit langem nicht mehr. Marc war wirklich total nett und zu keinem Moment kam es ihr vor als würde er sich ihr aufzwingen.
Sie griff nach ihrem Glass Rotwein und stellte bestürzt fest, dass es schon wieder leer war. Die Flasche selbst war auch leer und sie hatte sie fast alleine getrunken. Ihr Gegenüber dagegen hatte den ganzen Abend nur an seinem Wein genippt.
„Schmeckt Ihnen der Wein nicht?“, fragte sie.
„Doch, sehr sogar, aber ich habe Morgen einen anstrengenden Tag und man sollte immer seine Grenzen kennen."
Sarah sah ihn wieder an, sie fühlte sich mehr und mehr von ihm angezogen. Er war so anders, als die Männer mit denen sie sonst zu tun hatte, inklusive ihres verlogenen Ehemannes. Was hatte sie eigentlich davon, wenn sie ihn jetzt abblitzen ließ, würde das ihr irgendeine Art von Befriedigung geben? Würde sie damit ihrem Ehemann eins auswischen, es ihm heimzahlen? Nein, mit Sicherheit nicht, aber was wäre wenn sie ihn nicht abblitzen ließ?
Wieder sah sie ihn an, seine Art zu lächeln zog sie immer mehr in seinen Bann. Sollte sie wirklich nein sagen wenn er sie nachher fragte?
Und plötzlich wusste sie was sie wollte.
„Es ist spät, sagte sie, „und ich muss wie gesagt morgen früh raus.“
„Ja sicher, für mich wird es auch Zeit.“
Sie griff nach ihrer Tasche und erhob sich. Gemeinsam gingen sie zum Aufzug.
„In welches Stockwerk müssen Sie“, fragte er, als sie den Aufzug betreten hatten.
„Ins Zweite“, antwortete sie
Er drückte die zwei und die drei.
„Na dann“, sagte er während der Aufzug hochfuhr, „bedanke ich mich für den netten Abend. Hat mich gefreut Sie kennen gelernt zu haben.“
Er reichte ihr die Hand und sie ergriff sie etwas verdutzt.
Der Aufzug hielt mit einem kurzen Rattern, als sie das zweite Stockwerk erreicht hatten. Sarah stieg aus und drehte sich zu ihm um. Er lehnte an der Rückwand des Aufzugs und machte keine Anstallten ebenfalls auszusteigen. Langsam, fast schleichend, so wie es bei Aufzügen üblich ist, begann die Tür sich zu schließen.
Sarah war fassungslos, jetzt, wo sie ihre Meinung geändert hatte, wollte er sie tatsächlich zwischen Tür und Angel stehen lassen.
Im letzten Augenblick griff sie nach der Fahrstuhltür, sodass diese wieder aufsprang.
Der Anflug von Erstaunen auf seinem Gesicht hielt nur den Bruchteil einer Sekunde an, und wisch dann wieder diesem unwiderstehlichen Lächeln, mit dem er sie den ganzen Abend über bedacht hatte. Wäre sie nüchtern gewesen, dann hätte sie die Situation richtig eingeschätzt, aber dem war nicht so.
„Wollen Sie noch einen Drink mit mir auf dem Zimmer nehmen“, fragte sie etwas verlegen.
Noch während sie sprach, sah sie wie das Lächeln von seinen Lippen wisch.
„Tut mir Leid“, sagte er und hob dabei die Hand an dem er seinen Ehering trug, „sie sind wirklich nett, aber so was mache ich nicht.“
Sarah nickte und wusste nicht mehr was sie sagen sollte. Langsam, fast schleichend, so wie es bei den meisten Fahrstühlen der Fall ist, begann die Tür sich zu schließen.

 

Sarah und der Fremde...

Hey...ich finde die Geschichte echt schön, ich kenne das Gefühl, zu jemanden sich hingezogen fühlen, aber einfach nicht dürfen. Wie du geschrieben hast, ist es wirklich nicht einfach. Vor allem mit so einem fremden. Irgendwie ist so eine Geschichte traurig, aber auch leider oft wahr.

Liebe Grüße, Juliet-4ever

 

Hallo Ernzberger!

Nette Geschichte, man fragt sich die ganze Zeit über, wie der Abend wohl enden wird und schließlich hast du ja dann die Ehre der Männer doch noch gerettet. ;)

Aber ein paar Unstimmigkeiten sind doch aufgetaucht.

Laura sah ihn sich etwas genauer an

Wer ist Laura??

„Welches Stockwerk sind Sie“, fragte er, als sie den Aufzug betreten hatten.

Seit wann ist ein Mensch ein Stockwerk? Besser wäre doch:"In welchem Stockwerk wohnen Sie?" oder "In welches Stockwerk müssen Sie?"

Gruß
Blue

 

Hallo Juliet-4ever, hallo Bluesoul

Danke, dass ihr euch mit meiner Geschichte beschäftigt habt. Freut mich, wenn sie euch ein wenig gefallen hat.

@bluesoul
Laura soll natürlich Sarah heissen, sorry war ein kleiner Schnitzer meinerseits. Auch die Sache mit dem Stockwerk hab ich korrigiert. Danke für den Hinweis.

Gruß
Ernzberger

 

Hi Ernzberger,

manche Fantasien müssen eben einfach Fantasien bleiben, um schön in die Erinnerung einzugehen. So wird es Sarah vielleicht auch bald empfinden. Eine hübsche kleine Alltagsgeschichte mit einem vielleicht etwas moralischem Ende.

Einige Details:

„Wie kommt es, dass Sie so viel auf Reisen sind?“, fragte sie während sie auf den Nachtisch warteten.
Angesichts des Ambientes, würde ich sie hier lieber auf "das Dessert" warten lassen.
überprüfe ob das alles mit rechten Dingen zugeht
würde "das" streichen oder durch "dort" ersetzen.
Und wenn sie das Begriffen haben, können Sie es sich zu Nutzen machen“.
- begriffen (klein)
- machen." (Punkt innerhalb der Anführungszeichen, gilt für alle anderen Stellen, wo du es anders hast auch)
„Was arbeiten Sie eigentlich“, fragte er, und riss sie damit aus ihren Gedanken
kein Komma nach "er"
„Ich bin Kindergärtnerin“.
Dann ist sie Erzieherin und arbeitet in einem Kindergarten
ich könnte ihr Stundenlang zuhören,
stundenlang (klein)

Hat mir gefallen. Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,

danke, dass du meinen Text gelesen hast und mich auf die einzelnen Fehler aufmerksam gemacht hast.
Ich wollte meiner Geschichte eine etwas andere Wendung geben, als das normalerweise im Alltag der Fall ist. Ich hoffe man empfindet das Ende nicht zu sehr als Moralpredigt, denn so war es eigentlich nicht gedacht.
Freut mich aber, dass auch dir die Geschichte gefallen hat.

Besten Dank
Ernzberger

 

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