Sarahs Eiversucht
Sarah steht vor dem Regal des Supermarktes, in dem Nudeln gestapelt sind, und überlegt, welche sie nehmen soll. Heute feiert sie zusammen mit ihrem Mann Karl ihren dreizehnten Jahrestag. Dieser Gedanke lässt sie an frühere Zeit erinnern und an das, was sich in diesen Jahren so zugetragen hat.
So zu Beispiel, als sie wegen einem Autounfall im Krankenhaus lag und niemand sie besuchte. So sehr sie sich auch wünschte, nicht immer allein gelassen zu werden, keiner dachte an sie, obwohl sie über zwei Wochen drin lag. Nicht einmal ihre beste Freundin kam, obwohl sie es versprochen hatte. Immer, wenn Sarah sie anrief, fand diese eine Ausrede, nur um nicht kommen zu müssen.
Den ganzen Tag lag Sarah einfach im Bett, sah fern und langweite sich. Die Hoffnung, doch noch einen Besuch zu bekommen, hatte sie bereits wenige Tage, nachdem sie eingeliefert wurde, verlassen.
Doch dann klopfte es eines Tages nachmittags plötzlich an der Tür. Sarah wunderte sich und wusste nicht, was sie davon halten sollte. Schließlich lag sie als einzige in diesem Zimmer. Wer könnte es nur sein?
Die Überraschung war groß, als sich die Tür öffnete und ihr Mann mit einem Lächeln den Kopf durch den Spalt hielt. Er fragte: „Darf man eintreten?“
Stundenlang unterhielten sie sich über verschiedene Themen, die sich in den Tagen, in denen sie im Krankenhaus lag, ereignet haben, und während dieser Zeit hielt sie die Blumen, die Karl ihr mitgebracht hatte, fest in der Hand. Ihr wäre es am liebsten gewesen, wenn er nie gehen müsste.
Sarah weiß ganz genau, dass sie einen wundervollen Mann hat und möchte ihm deshalb zeigen, wie sehr sie ihn braucht und dass er das Wertvollste in ihrem Leben ist. Deshalb soll dieser Tag auch nur ihr und ihm gelten. Niemand darf dazwischen kommen. Selbst das Telefonkabel hat sie herausgezogen.
Nachdem sie alles, was sie zum Essen braucht, besorgt und bezahlt hat, verlässt sie den Laden. Gerade herausgekommen, sieht sie Karl auf der anderen Straßenseite mit einer anderen Frau. Sarah weiß nicht, was sie davon halten soll, da diese Frau, wie sie sich eingestehen muss, sehr gut aussieht und die beiden einen sehr vertrauten Eindruck machen.
Doch dann fällt für sie plötzlich eine Welt zusammen. Sah es nur so aus oder haben sich die beiden wirklich geküsst? Ist sie vielleicht seine heimliche Geliebte? Wie kann er ihr das nur antun? Gerade an ihrem Hochzeitstag.
Die beiden scheinen Sarah nicht gesehen zu haben und sie möchte ihm auch jetzt noch nicht sagen, was sie gesehen hat. Deshalb biegt sie in die Straße ein und geht einen kleinen Umweg. Denn auf dem direkten Wege müsste sie an ihnen vorbeigehen. Und das möchte sie verhindern.
Zu Hause angekommen, räumt sie das eingekaufte in den Kühlschrank. Plötzlich kommen ihr Tränen in die Augen. Es tut doch weh. Bisher wollte sie es sich nicht eingestehen. Doch der Mann, den sie geliebt hat, interessiert sich nicht mehr für sie, sondern für eine andere. Warum? Was findet er an ihr? Sie ist doch um einige Jahre jünger.
Da kommt auf einmal Hass in ihr auf. Das soll er noch bereuen. Wenn er nach Hause kommt, kann er gleich seine Koffer packen und mit dieser anderen in eine gemeinsame Wohnung ziehen. Vielleicht kann die ihm ja mehr geben, als sie selbst.
Da wird plötzlich die Wohnungstür aufgeschlossen und Karl kommt freudig erzählend und lachend herein. Noch ahnt er nicht, dass seine Frau in der Wohnung ist und alles mithören kann, da die Küche von der Tür aus nicht zu sehen ist.
Doch Sarah will sich auch gar nicht verstecken. Deshalb stürmt sie heraus und schreit: „Pack deine Koffer. Ich weiß jetzt, dass du mich betrügst.“
Karl steht einfach da und kann nichts sagen. Die Frau, mit der Sarah ihn gesehen hat, steht daneben. Auch diese sieht ihn mit großen Augen an. Doch dann fragt Karl erstaunt: „Was meinst du?“
Sarah kann es nicht fassen. Jetzt lügt er sie auch noch an. Wie dreist will er denn noch werden? Doch dann antwortet sie unfreundlich: „Ich hab euch vorhin gesehen und ihr habt euch geküsst.“
Karl setzt sich auf einen Stuhl und bittet Sarah, sich auch zu setzen. Jetzt weiß er, was sie meint. Doch es ist alles anders, als sie denkt. Und das möchte er ihr auch erklären.
Sarah will zuerst nicht. Doch dann setzt sie sich doch. Wenigstens möchte sie wissen, wie er es erklärt. Gehen kann er danach immer noch.
Karl sucht nach den richtigen Worten. Nach einigen Augenblicken sieht er seine Frau an und beginnt: „Sie ist nicht meine Geliebte. Ich habe dir doch früher von meiner Schwester erzählt, die heute in Amerika wohnt. Heute kam sie zu Besuch. Ich wollte dich überraschen.“
Sarah sieht das ganze jetzt mit anderen Augen. Es stimmt: Er hat von seiner Schwester erzählt und wenn sie sich jetzt die beiden genau betrachtet, kann sie erkennen, dass sie sich sehr ähnlich sehen.
Sarah lässt den Kopf sinken. Wie konnte sie nur so blöd sein und glauben, dass Karl sie betrügt? Sie muss sich fragen, ob sie nach dreizehn Jahren wirklich so wenig Vertrauen zu ihm hat. Leise sagt sie: „Es tut mir leid. Das wusste ich nicht.“
Doch Karl ist ihr nicht böse. Er steht auf, kniet zu ihr nieder und nimmt sie in den Arm. „Es tut mir auch leid. Ich hätte dir Bescheid sagen müssen. Dann wäre es gar nicht erst so weit gekommen.“ Dann nimmt er ihre Hand und sieht ihr tief in die Augen. „Egal, was passiert, ich werde zu dir halten. Und ich liebe keine andere Frau außer dich. Das musst du mir glauben. Ich würde dich niemals mit einer anderen betrügen. Dazu liebe ich dich zu sehr.“
Sarah sieht ihn mit feuchten Augen an und nickt. Sie kann nichts mehr sagen. Sie ist nur überglücklich, dass sie sich geirrt hat. Und sie wird auch nie wieder so etwas über ihn denken. In Zukunft, wenn sie wieder etwas denkt, wird sie zuerst mit ihm sprechen. Niemals wird sie wieder etwas im Voraus vermuten.