- Beitritt
- 01.07.2006
- Beiträge
- 1.007
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 24
Schöne Monster
Natürlich sind wir eine Ausgeburt der Hölle, ein böses Wundervolk. Wir kümmern uns um die hoffnungslosen Fälle, die, bei denen ein Ungleichgewicht der Energien herrscht. Um die, die wahrhaft lieben, aber nicht wiedergeliebt werden. Niemand braucht diese Menschen mehr, wir spüren sie auf und putzen sie weg. Auf subtile Weise, Krebs, Herzinfarkt, Selbstmord, so sieht es dann aus. Aber in Wirklichkeit sind wir es, die sie töten, wir mästen uns an der brachliegenden Liebesenergie, saugen schmatzend diesen süßen Seelenstoff aus den Gehirnen, Lebern und Herzen der Menschen. Und es bleibt für sie nichts übrig, womit es sich weiterleben lässt.
Es wäre alles in schönster Ordnung geblieben, wenn nicht Tickler zu uns gestoßen wäre. Ich bin ja dafür, dass diese jungen Heißsporne ihre Arbeit nicht bei Frauen verrichten sollen, aber was hab ich schon zu sagen? Wenn unsere Psychologen ordentlich arbeiteten, hätten sie erkennen müssen, dass Tickler nicht auf Johanna hätte angesetzt werden dürfen, denn Johanna besaß die hübschesten, zierlichsten Füßchen der irdischen und aller anderen Welten.
Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr weiß ich, dass ich hässlich bin. In diesem Alter erwartet man alles vom Leben, das Herz ist ein brachliegendes Feld, auf dem jede Frucht gedeiht.
Damals verliebte ich mich in den Bruder meiner besten Freundin. Ich kannte Alex schon lange, wir waren Nachbarn, im gleichen Mietshaus aufgewachsen. Einmal gingen wir zu dritt zu einem Fußballspiel, während des Spiels sah ich ihn immer wieder von der Seite an: Für mich füllte er das ganze Stadion mit seiner Anwesenheit. Ich staunte über die Selbstverständlichkeit, mit der er seine steife Lederjacke trug und die Bierdose zum Mund führte. Beobachtete verstohlen, wie sich der kalte, scharfe Rand der Dose in seinen weichen Mund drückte, einzelne Haarsträhnen klebten an der beschlagenen Außenwand, und als er die Strähnen lässig nach hinten warf, berührten sie mich und hinterließen ein Molekül von Feuchtigkeit auf meiner Wange. Er bemerkte meinen Blick und zwinkerte mir zu. Da ging eine Tür auf in mir, und dahinter war alles purpurn.
Einige Tage später gab meine Freundin eine Party, und als Alex endlich eintraf, wurde ich vor Erwartung starr, unfähig, mich zu rühren, saß ich so lange mit unterschlagenen Beinen auf der Couch, bis meine Waden taub waren. Ich schaute in meinen Becher mit Rotwein und zu ihm und in den Becher und wieder zu ihm, die Veränderungen auf der öligen Schicht des Rotweins nahm ich mit der Genauigkeit eines Seismographen wahr. Aber sein Blick ging gleichgültig über mich hinweg, blieb nicht hängen, und als mir das zuviel wurde, stand ich mit kribbelnden Beinen auf, ging ins Badezimmer und starrte verzweifelt am Spiegel vorbei. Das Ganze vergessen und einfach gehen? Mich zu ihm stellen und ein Gespräch anfangen? Jetzt waren nicht nur die Beine taub, sondern mein ganzer Körper, und als ich mich selbst am Unterarm packte, war es, als griffe ich etwas Totes an. Einfach nur wieder zu meinem Platz schleichen, und mich dort möglichst unsichtbar machen, zu mehr war ich nicht fähig.
Durch die offene Küchentür fiel Licht auf den Gang, und mitten in dem hellen Viereck saß Alex und schaukelte auf einem Stuhl. Ich drückte mich seitlich an die Wand, ich wollte nicht, dass er mich sah. Ich wartete einfach, jemand sprach mit ihm, sein bester Freund war auch drinnen.
„Kein ordentliches Material heute hier zum Flachlegen, hm?“
Alex murmelte zustimmend.
„Was ist denn mit dieser Kleinen, der Freundin deiner Schwester?“
„Hanni ist lieb, aber da stimmt doch was nicht mit ihrem Gesicht, oder?“
„Na ja, gibt ein einfacheres Wort dafür: Sie ist schlicht und ergreifend hässlich.“ Ich konnte das Grinsen in der Stimme des Freundes hören.
„Ja, sie hat eine Ähnlichkeit mit Miss Piggy, aber mal schaun, vielleicht kann sie ja richtig schweinisch blasen, aber vorher brauch ich noch ein Bier.“
Sie lachten.
Irgendwie schaffte ich es wieder in meine Couchecke, ohne dass sie mich sahen. Dort kringelte ich mich ein und sprach mit niemandem mehr ein Wort. Es fiel nicht weiter auf, denn alle anderen waren laut und betrunken und unbeschwert. Dort saß ich ein paar Stunden, mein Körper pulsierte, mein Bauch verkrampfte sich und wurde schwer. Ich dachte viel und rasend schnell, strich die Federn meiner Eitelkeit glatt, ordnete mein Inneres. Die Lähmung von vorhin war weg, alles floss schneller durch meine Körperbahnen als sonst, endlich stand ich auf und huschte zum Ausgang. Alex stellte sich mir in den Weg, er schwankte, seine Lider waren halb geschlossen.
„Na, Kleine, gehst schon?“
„Ja.“
„Du haust ab, ohne mich zu küssen?“
Dabei näherte er sich meinem Gesicht, noch durch den Bierdunst, den er verbreitete, konnte ich seinen süßen Duft wahrnehmen. Ich zögerte.
„Vielleicht magst mich ja lieber da küssen.“ Er fing an, seinen Gürtel zu öffnen. Die halbreife Frucht, die er mir jetzt zwischen Reißverschlusszähnen zeigte, wollte ich nicht ernten. Ich stieß ihn weg, er rutschte kichernd an der Wand entlang zu Boden. Dann war ich endlich draußen und atmete tief durch.
Im Vorzimmer fibberte Tickler nervös neben mir herum, machte seinen Hals lang, spannte seine Schultermuskulatur und warf immer wieder einen langen Blick in den Spiegel. Sein erster Einsatz. Die Spitzen seiner blauschwarzen Haare zuckten auf seinem breiten Rücken wie Schlangenköpfe.
Ich kann Eitelkeit nicht leiden, das Bestreben eines einzelnen, der Beste und Tollste zu sein, stört den gemeinsamen Rausch, der uns bei der Jagd erfasst. Ich will mich zusammen mit den anderen ganz in der sausenden Wildheit vergessen, mit dem wir unser Opfer in die Enge treiben, damit der Liebesschmerz eine möglichst hohe Intensität erreicht.
Tickler wirbelte herum, nur um sich der Geschmeidigkeit seines Körpers zu versichern. Dabei stieß er eine Tonfigur vom niedrigen Vorzimmerschrank, fing sie ebenso geschickt wie affektiert mit dem Fuß auf, warf sie damit in die Luft, wo sie sich zweimal um die eigene Achse drehte, ließ sie sich in die Hand fallen und stellte sie flink und geräuschlos wieder an ihren Platz.
„Gib eine Ruh, sonst bemerkt er uns zu früh, und dann können wir es vergessen!“, zischte ich ihn an. Wenn man das Opfer vorzeitig aufschreckt, nimmt es die Umwelt wieder wahr und der essentielle Gehalt der Liebesenergie fällt ins Bodenlose.
„Du kannst mir gar nichts, alter Mann!“ Tickler versuchte, möglichst tief zu sprechen, aber er giekste nur. Ich packte ihn von hinten am Hals und drückte sein Gesicht an die Wand, das hilft immer bei frechen Halbstarken, unsere Schnauzen sind sehr empfindlich. Die beiden anderen, in der Jagd erfahren wie ich, grinsten.
„Mgrmmgrrr …“, geiferte er in die Mauer und wand sich unter meinem Griff.
Da, die Ohren von Urgur und Ölter legten sich an, ihre Nüstern weiteten sich. Der richtige Augenblick war gekommen, unser Opfer begann den typischen Geruch des Liebeskranken auszuströmen. Tickler hörte zu zappeln auf, hob witternd den Kopf. In seinem Nacken bildete sich eine tiefe Falte, der Körper spannte sich wie ein Bogen und seine Lefzen zogen sich nach oben, legten das schwarzblaue Zahnfleisch frei. Unterdrücktes Knurren ließ die Haarspitzen auf seinem Rücken vibrieren.
Ich gab Ölter das Zeichen. Geräuschlos glitt er durch die halboffene Tür ins Wohnzimmer. Wir folgten ihm, und verteilten uns im Raum. Jetzt begann der heikelste Teil unserer Jagd.
Leider neigen unsere Leute zu unkontrollierbaren Lachanfällen, wenn sie menschliche Männer leiden sehen, sie halten sie für Memmen mit zu klein geratenen Geschlechtsteilen, ja, sie glauben, dass Liebeskummer die Ursache für die Kümmerlichkeit ihrer Schweife ist. Besonders wenn jene aus Verzweiflung onanieren, können sie kaum an sich halten vor Lachen. Diese Anfälle reißen Lücken in unser Jagdschema, durch das die Opfer leicht entkommen können.
Bei menschlichen Frauen … na ja, da gibt es Zwischenfälle anderer Art, aber irdische Gerichtsbarkeit kann uns nicht erreichen.
Dieser hier zeigte uns sein lächerliches Ding glücklicherweise nicht, vielmehr lag er ganz still auf der Couch, ein junger Mann, der seinen Kopf in die rechte Armbeuge gekuschelt hatte, man sah nur wirres Blondhaar, das in alle Richtungen abstand. In Ticklers Gesicht zuckte es, ich warf ihm einen drohenden Blick zu. Auf dem Boden lag ein aufgeklapptes Mobiltelefon, daneben stand ein übervoller Aschenbecher und ein Teller mit einem vertrockneten Nudelgericht, von dem augenscheinlich nichts fehlte. Er hatte jetzt eine Woche lang auf ihren Anruf gewartet, seit zwei Tagen war er nicht mehr außer Haus gewesen. Vor 24 Stunden hatte er ihr eine letzte SMS geschickt, aber keine Antwort darauf erhalten, wie auch auf alle zwanzig vorhergehenden nicht. Das waren die Fakten. Die Luft im Raum war Besorgnis erregend.
Ölter lag bereits seit einigen Minuten auf dem Jungen, die Schnauze tief zwischen das blonde Haar gebettet. Der Liebeskranke begann die schwere Last zu spüren, richtete sich auf und erhob sich schließlich mühsam. Ölter hatte während des Aufstehens die Arme um dessen Hals geschlungen und blieb nun wie eine riesige, dunkle Frucht auf seinem Rücken hängen, zog ihn fast zu Boden. Der Mann war kaum noch fähig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er seufzte tief auf.
Unser Mann war gefühlvoll und las gerne romantische Gedichte. Ich sprach zu ihm:
„Ach, wie so schön ist dieses Mädchen, ihr Haar wie reifer Weizen, über den der Sommerwind geht, ihr Mund eine gespaltene Frucht, auf der Honigtropfen glänzen, die Haut ihres Halses zart und weich wie erlesene Seide.“ Wieder seufzte er, Ölter umklammerte fest seinen Hals.
Jetzt kam Urgurs Part:
„Dieses eine Mal im Cafe, immer wieder fiel ihr eine blonde Strähne ins erhitzte Gesicht, ihr scheeler, zweifelnder Blick, so von unten zu dir, ihre schlanken Finger, die mit der winzigen Moccatasse spielten, einmal berührten sich eure Knie unterm Tisch und du spürtest es wie einen elektrischen Schlag. Und da war Aufforderung und Keckheit in ihren Augen! Hast du dich wirklich so getäuscht?“
Und jetzt Tickler:
„Jeder deiner Freunde wollte sie auch! Und dann kam dieser Johnny-Depp-Verschnitt mit den Schokoladeaugen … du hast sie einmal zusammen in eurem Cafe gesehen, das dann nicht mehr eures war … noch nie vorher war sie dir so schön erschienen, sie hielt Johnnys Hand fest umklammert und drückte einen Kuss darauf ... da bist du wie ein Feigling weggelaufen und musstest auf der Straße weinen, du kleiner Wichser, kein Wunder bei diesem mickrigen Di…“ Ich presste Tickler rasch die Hand auf die Schnauze, er war auf dem besten Weg, über das Ziel hinauszuschießen.
Der blonde Junge schleppte sich mit seiner schweren Last am Rücken ins Vorzimmer und starrte in den Spiegel. Wir stellten uns hinter ihm auf, Tickler schnitt seinem Spiegelbild Gesichter und machte obszöne Gesten.
Ich beugte mich zum Ohr unseres Opfers:
„Schau dich doch an! Was für eine erbärmliche Figur du abgibst! Was hat sie bloß aus dir gemacht? Ein Mann muss hart und stark sein, aber du bist doch nur noch ein Jammerlappen, der sich am liebsten weinend an Mamas Busen werfen würde. Und mach mehr Sport, deine Arme sehen ja aus wie Zahnstocher!“
Er zog den kurzen Ärmel seines T-Shirts ganz hoch und betrachtete seinen rechten Oberarm prüfend im Spiegel. Schweißgeruch wehte heran, unsere Nackenhaare stellten sich auf, wir rückten näher an ihn heran. Tickler hatte ebenfalls den Bizeps seines rechten Armes angespannt und betrachtete das Ergebnis selbstverliebt im Spiegel. Ich stieß ihn an und fuhr fort:
„Aber sie, sie könnte dich retten! Mit ihr wärst du stark! Jeder würde merken, was eigentlich in dir steckt, mit ihr an deiner Seite, könntest du Alles! Sie würde das Beste aus dir herausholen, sie, sie, sie ist so schön, so anmutig, so klug! Jedes einzelne Bild, das dein Auge von ihr macht, brennt sich direkt in dein Herz! Du spürst ihr Bild körperlich! Das muss doch etwas bedeuten! Du bist der, der sie wirklich liebt, irgendwann wird sie es begreifen und dir gehören!“ Tickler presste sich die Faust ins Maul.
Wir zogen einen immer engeren Kreis um unser Opfer, hetzten es tiefer und tiefer in einen Wirbel aus Gedanken, Erinnerungen, Eifersucht, Selbsterniedrigung, und ja, Hoffnung, schubsten ihn hin und her. Ließen ihn nicht mehr aus unserem Kreis hinaus. Berauschten uns an seinem Jaulen und Stöhnen, löschten ihn ganz aus, bis er nur noch aus dem Bild der Angebeteten und der Sehnsucht nach ihr bestand, er nur noch eine Rettung für sich sah: Wenn sie ihn nun doch liebte, diese Schönste, dann … Aber sie hatte sich doch nicht gemeldet …
Schließlich ließ er sich auf den Boden fallen. Der Moment der Durchlässigkeit war gekommen, unsere Nahrung war nun frei zugänglich. Bei dem Jungen residierte sie vor allem im Kopf. Ölter sprang von seinem Rücken, hob ihn hoch, wirbelte ihn einmal in der Luft herum und warf ihn endlich Tickler zu, der ihm kurzerhand den Kopf abriss und fast erstaunt hineinsah. Wir begannen um ihn herumzuwieseln, der Geruch der Liebe machte uns halb wahnsinnig vor Gier, kobaltblauer Geifer spritzte überall hin, als wir uns den Kopf gegenseitig aus dem Maul rissen. Unsere Zungen schlangen sich um den Kopf, bohrten sich in jede Ganglie, um auch noch den letzten Rest auszulecken.
Die leere Hülle, die wir zurückließen, würde sich selbst entsorgen. Beim Einsaugen der Fluidums war zuviel Seelenmaterial mitgegangen, in ein paar Stunden würde der Junge aus dem Fenster springen.
Endlich richtet sich Tickler als Erster auf. Sein Kopf, Brust und Geschlecht leuchten von Gold, er streckt den mächtigen Körper, wirft seine Mähne nach hinten, der Spiegel klirrt. Er ist schön, er ist jetzt einer von uns.
Er beginnt brüllend zu singen, wir fallen ein:
Schenk uns deine Liebe!
Sie ist uns so teuer
für unsere Triebe!
Wir sind
Padam, padam, padam,
die schönen Ungeheuer!
*
Gefühle hinterlassen Spuren auf den Dingen. Jedes Mal, wenn Alex an mir vorbeigeht oder stehen bleibt, um mir etwas zu sagen, beginne ich mit dem linken Daumennagel an der Unterseite der Schreibtisches zu reiben. An dieser Stelle ist das ansonsten raue, unbehandelte Holz ganz glatt poliert, oft, wenn ich in Gedanken bin, taste ich danach.
Was mache ich eigentlich noch hier? Worauf hoffe ich? Er mag mich, ich habe ihm ja auch sehr geholfen beim Aufbau seiner Computerfirma. Aber irgendwie bin ich in letzter Zeit immer mehr zu einer gewöhnlichen Sekretärin geworden, obwohl mir ein Drittel der Firma gehört. Und jetzt hat er mir diese Barbie ins Büro gesetzt. Du brauchst Hilfe, hat Alex gesagt. Neben ihr fühle ich mich wie eine unförmige, fette Kröte mit zu dünnen Beinchen. Die ganze Zeit stelzt sie wie ein Star durchs Büro, wie kann man nur so eine perfekte Figur haben? Ihre Brüste sind wie zwei feste Melonen, ihre Hintern schmal, aber sanft gerundet, ihr Bauch flach. Und als ob das nicht genug wäre, hat sie auch noch prächtige Haare, eine blonde Flut, die, hoch am Hinterkopf gebunden, schwer auf ihren Rücken fällt, bei jeder Bewegung wippt der Haarstrang keck hin und her. Ja, alles an Evelyn wippt aufreizend, wipp, wipp, wipp, schon wieder geht sie vorbei … Ihr Geschmack ist allerdings letztklassig, ihr Teint sieht von dem ganzen Rosa, Lila und Weiß fahl aus, sie kleidet sich wie eine Zehnjährige, verschiedenfarbige Spangen im Haar, mein Gott!
Ich sinke in mich zusammen, taste das Holz ab, zuerst über die unbehandelte Fläche, bis mein Finger beruhigt an der glatten Stelle innehält. Seit Evelyn bei uns arbeitet, kommt Alex öfter aus seinem Büro heraus, schlendert hier durch und schaut mal da hin, mal dort hin. Das ist eine Tatsache! Das sollte jeden Abend vor dem Einschlafen mein Gebet sein, bis ich endlich von ihm geheilt bin. Ich reibe fester, bald wird hier eine richtige Kuhle sein. Ich muss nachdenken, nachdenken! Nein, was hilft es, ich kann es drehen und wenden, wie ich will, Alex ist nicht scharf auf mich. Ich denke es, aber mein Körper denkt das nicht mit. Nein, was weiß ich, welcher Teil von mir das nicht akzeptiert. Manchmal sieht er mich so an …
Und jetzt, jetzt ruft er sie doch tatsächlich in sein Zimmer, Evelyn ist doch eigentlich meine Angestellte, nicht seine! Wipp, wipp, wipp, drin ist sie. Was will er bloß? Was machen die da? Ich höre nichts. Aufstehen und näher zur Tür gehen will ich nicht, lieber bleib ich hier sitzen, das kleine Krötenmäuschen mit der zurückhaltenden Noblesse und dem erlesenen Geschmack, den aber niemand bemerkt, so erlesen ist der! Mach deine Arbeit, Hanni, schalt das weg! Schalt es einfach weg! Ich löse meinen Finger von der glatten Stelle und reibe absichtlich besonders fest über die scharfen Holzfasern rundherum, bis es weh tut. Wach endlich auf!
Da, sie kommen wieder raus, ihr Herzchengesicht scheint nicht mehr ganz so blass zu sein, und seine Haare hängen ihm ins Gesicht. Wipp, wipp, wipp, das Schimmern der blonden Seide auf ihrem Rücken macht mich wahnsinnig.
Was sagt Alex da zu mir? Was? Er geht jetzt? Wohin? Mit ihr? Braucht sie als Begleiterin für ein Geschäftsessen … hat er doch noch nie gebraucht! Und er fasst sie auch noch an, vor meinen Augen, ganz schnell und leicht hat er ihren Hintern berührt, ich hab es deutlich gesehen, und jetzt legt er seinen Arm um ihre Taille. Wipp, tätschel, wipp … während sie rausgehen, er dreht sich noch mal um, du, Hanni, du machst das schon allein, auf dich ist Verlass, du kennst dich ja aus, bist doch mein besseres Drittel, und er zwinkert mir zu.
Ich spüre meinen erstarrten Gesichtsausdruck, meine Wabbelbäckchen und mein Doppelkinn spüre ich, spüre meine Hände hölzern werden, meine Handgelenke kribbeln. Von außen, nur von außen noch. Nicht mehr aus noch ein. So viel Zeit, so viele Gedanken, so viel Süße, weg … ich will mich nicht mehr. Lege mein Gesicht auf die Tastatur … hgjsgvhsnhjngbeztu … mein nobler Abschiedsbrief … hahahahaha … du machst das schon allein … es wispert was im Vorzimmer, kommen sie zurück? Blaue Schatten fallen über mich … mein Körper wird schwer, so schwer … reiß dich zusammen … steh auf, mach dich gerade, atme, atme, atme, meine Wirbelsäule drückt auf mein Herz, so hart, so schwer, so schwer, wipp, wipp, wipp macht mein Herz, soll es mir doch aus dem Mund springen, mir doch egal, sein Haar an der Bierdose, seine Lippen und sein Schwanz gleich purpurn, seine Umarmung, als ich ihm Geld lieh, lange Abende, an denen wir arbeiteten und stritten und lachten, seine Augen … ich rutsche von der Sitzfläche auf die Knie, so schwer ist mein Körper, kann mich nicht mehr aufrecht halten … etwas streicht leicht über meine Fußflächen, kitzelt mich, ich will nur mehr das spüren, dieses Streicheln, nichts mehr von mir. Ich kichere sogar, lege mich flach auf den Rücken und erblicke zum ersten Mal die glatte Stelle an der Unterseite des Schreibtisches, sie sieht speckig aus und schwarz.
Ich brauche eine Zeitlang, bis ich es kapiere, aber da leckt ein blaues Tier mit goldener Mähne an meinen Füßen.
Sie hat wirklich verdammt hübsche Füße, so fleischig und weich und griffig werden die bei unseren Frauen nie, auch wenn sie noch so lüstern sind. Und ihre Nägel glänzen wie feinstes Perlmutt, jetzt kichert sie sogar, ich bin der Beste, ich wusste schon immer, dass meine Kitzeltechnik wirklich gut ist, ein wenig will ich noch an ihren vollendeten Zehen lutschen, bevor ich sie mit meinem starken Glied zerreiße und mit kostbarem Goldsaft fülle, dann kann ich noch immer ihr Innerstes nach außen kehren, ihr Herz suchen und mit den anderen das Festmahl halten. Ich werde hungrig sein.
Es erschreckt mich gar nicht richtig, das Tier leckt meine Füße so behutsam, es will mir sicher nichts Böses. Es ist sehr angenehm, mir wird warm, bin in einem blauen Zwischenreich gelandet, in dem alles möglich ist. Ich kichere wieder, das Kitzeln beschert mir einen wohligen Krampf am ganzen Körper, und je mehr ich mich winde, desto leichter wird es mir im Inneren, das Tier reizt mich mit der Zunge, an den Fußsohlen und zwischen den Zehen, mein Körper reagiert von selbst, wie einfach alles ist, ich vergesse, falle, beginne zu schweben.
„Was bist du denn für eins, hm?“, und ich schnurre die Worte mehr, als dass ich sie sage. Oh, jetzt zuckt es zusammen, es richtet sich auf, ein schönes männliches Tier.
Warum sieht sie mich auf einmal? Sie darf mich nicht sehen! Verdammt! Ich muss sie töten … aber wie reizend sie aussieht, wie anmutig sie ihre Zehen spreizt, ihre Fersen sind so rund und rosig, ein bisschen will ich noch von ihr kosten, bevor ich ihr zeige, dass ich ein richtiger Mann bin, bevor ich sie vernichte, ich bin doch kein Schmusekätzchen, bevor ich ihr das Fluidum stehle, es schmeckt sicher ebenso rosig und frisch … davor werde ich noch ein wenig von ihr kosten, will auch noch meinen Goldstab zwischen ihren Füßchen reiben, ganz kurz nur, will nur wissen, wie sich das anfühlt, und ein letztes Mal an ihrem großen Zeh saugen.
Die Schnüre um mein Herz lockern sich endlich, das darin aufgestaute Blut fließt zu meinen Füßen, ja, mein blauer Freund scheint es dorthin zu saugen, er macht mich wieder lebendig, und es erscheint mir nun gar nicht falsch, dass ich seinen prachtvollen Schwanz ganz leicht mit dem rechten Fuß berühre. Da sieht er mich an, seine Augen sind feurig und sie erinnern mich … an wen bloß, und plötzlich schießt es wieder brennend in mein Herz, seine Augen sind doch die von … seine goldenen Haare färben sich auf einmal schwarz, er wird Alex immer ähnlicher … was passiert hier eigentlich? Er packt meine beiden Füße, oh Gott, er sabbert sie mit Geifer voll, um seine Schnauze steht blauer Schaum, ich beginne zu treten, treffe endlich seine Nüstern, er heult auf. Ein Tier ist es, bloß ein Tier!
Ich schreie: „Geh weg, geh weg! Du bist nicht Alex, du bist es nicht, du bist es nicht!“
„Ja, ich bin nicht Alex, ich bin Tickler, ich bin der Beste, mich sollst du lieben!“ Ich bedecke ihren Körper mit meinem.
Zu spät! Wir haben viel zu spät reagiert! Das Fluidum ihres Liebesschmerzes war bereits in Ticklers Blutbahn und schließlich in sein Herz gelangt, hatte ihn infiziert. Dass er wie dieser Alex auszusehen begann, machte es nur zu offensichtlich!
Ich hatte ihn doch gewarnt! Aber ich hätte es besser wissen müssen, so wie Tickler mich drängte. Er wollte endlich auch einen Einsatz bei einer Frau mitmachen.
„Die Füße der Menschenfrauen sieht man immer?“ Er sah mich treuherzig an.
„Vergiss es, du musst professionell bleiben! Dass man die bei denen immer sieht, hat nichts zu bedeuten, die sind deswegen nicht scharf!“
„Anfassen darf man die auch nicht?“
„Es ist gefährlich, wenn du dabei dein Herz öffnest, kann das Fluidum hineingelangen und dann bist du geliefert!“
Tickler lachte. „Ich doch nicht, seh ich aus wie ein verdammter Softie? Ich will doch nur ein bisschen Spaß haben mit ihr, falls sie hübsche Füßchen hat, so eine kleine Menschentussi kann mir doch nicht gefährlich werden!“
Er schnippte verächtlich mit den Fingern. „Mein Herz ist hart und stark wie Stahl!“ Und dann schlug er mit der Faust so fest gegen die Wand, dass sie erzitterte.
Zu spät, viel zu spät zerrte Ölter ihn von Johanna weg, Urgur machte kurzen Prozess und zertrat mit einem Schritt Johannas Kopf.
Tickler fiel wimmernd zu Boden, kein Gold war mehr an ihm, er roch intensiv nach Menschenliebe, wir konnten unsere Gier kaum unterdrücken. Urgur wieselte bereits um ihn herum, beschnupperte Tickler, knurrte. Ich stieß ihn weg. Die Infektion konnte durchaus auch auf Urgur übergreifen, die Schwelle zwischen den Arten war überschritten worden.
„Wir müssen ihn so schnell wie möglich ins Quarantänehaus schaffen!“ Wir hoben ihn hoch, er war federleicht. Ich hatte so große Hoffnungen in ihn gesetzt, er wäre sicher einer unserer besten Kämpfer geworden und nun musste ich ihn an diesen schrecklichen Ort bringen.
Die massive Stahltür schwang auf, wir wollten unseren traurigen Auftrag so schnell wie möglich hinter uns bringen. Aus dem dunklen Raum drang Gewisper und Gekeife zu uns. Die Süchtigen rochen bereits, dass der Neuankömmling voll mit frischem, süßem Stoff war. Ich schaltete das Deckenlicht ein, ein paar zerlumpte Gestalten verschwanden wie Kellerasseln in den Spalten an der Wand.
„Du hast nur eine Chance, wenn du an Johanna keinen einzigen Gedanken mehr verschwendest!“ Mit diesen Worten stieß ich Tickler in den Raum. Eilig trat ich durch die Tür hinaus und verriegelte sie sorgfältig. Ich warf einen letzten Blick durch das Gitterfenster, was sich da abspielte, werde ich nie mehr vergessen:
Dort, wo Tickler gerade noch gestanden hatte, erblickte ich eine Säule aus aberwitzig sich windenden Körpern, sie glich einem Gewächs, das sich selbst fraß, einer geil aufschießenden Pflanze, die rasch wieder in sich zusammenfiel, Strähnen von Ticklers langem Haar wirbelten durch den Raum, das war alles, was von ihm übrig blieb.
Ich klappe den Bericht zu und starre nachdenklich auf die gegenüberliegende Wand. Mein Blick gleitet über das Foto des Präsidenten, die Lichtreflexe auf seinen Hörnern sind offensichtlich retuschiert. Schon greife ich nach den Unterlagen zu unserem nächsten Fall, da halte ich inne und atme tief durch.
Ich stehe auf und gehe hinaus auf den Gang, um mir vom Automaten einen Kaffee zu holen.