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- 06.02.2004
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Schönheit des Wassers
Ihr Lachen klingt wie Wasser, das über kleine Kiesel fließt, und ihre blauen Augen blitzen dabei auf wie die Sonnenstrahlen auf der Oberfläche eines tiefen Sees an einem Sommertag. Sie geht, als würde sie schwimmen, fließend und ohne Hast, ohne unnötige Bewegungen.
„Stille Wasser sind tief,“ sagen die Leute.
Sie ist wie das Wasser.
Ich kenne sie nur vom Sehen. Hin und wieder treffen wir uns beim Obsthändler an der Ecke oder an der Bushaltestelle, nicken grüßend und lächeln uns vielleicht sogar an.
Sie lächelt selten. Meistens sehen ihre Augen aus, als wären sie voller ungeweinter Tränen.
Ihr Haar wirft dunkle Wellen auf ihre Schultern, wenn sie an mir vorbeigeht, und sonst auch.
Eigentlich habe ich sie nur einmal lachen sehen.
Das war an einem verregneten Nachmittag im November. Wir standen beide völlig durchnässt in dem Bushäuschen mit dem lecken Dach und die Regentropfen rannen ihre Wangen hinab wie süße Tränen. Ich wollte etwas zu ihr sagen, etwas, das sie auf mich aufmerksam gemacht hätte.
Ich machte den Mund auf – und wieder zu. Was konnte ich ihr schon sagen?
Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich ihr Lachen hörte – das leise Geräusch hob sich kaum vom lauten und durchdringenden Prasseln des Regens ab.
„Wie ein Fisch auf dem Trockenen,“ sagte sie. Sie sagte es ohne Spott, es war nur eine Feststellung – naiv, fast kindlich hörte sich dieser Satz in meinen Ohren an.
Und doch – wie ein Fisch auf dem Trockenen.
Genau so und nicht anders fühle ich mich, wenn ich sie sehe, meine geheime Wasserschönheit, und es nicht wage, etwas zu ihr zu sagen.