Schönsinn des Lebens
Man sitzt nebeneinander. Gedrückte Stille nach außen. Innerlich spielen die Gedanken Amok. Wörter versagen bei der Gewalt der aufsteigenden Gefühle. Ein einziges Wort würde die Kulisse zusammenbrechen lassen. Betäubte Gestik weist auf Orientierungslosigkeit hin. Nur nicht auffallen. Die Gefühle klopfen mit progressiver Kraft gegen den Verstand. Die Existenz der eigenen Sprache wird in Frage gestellt. Stille durchbricht alle Schallwellen. Jede Veränderung wird als monumentales Ereignis interpretiert. Eine Bewegung. Ein Durchatmen. Ein Augenaufschlag. Konzentration endet im Gedankenchaos.
Man sucht nach Handlung. Vier dürstende Augen blicken nach vorne. Unfähig eine Form, eine Gestalt zu identifizieren. Alles schlägt im Takt der Erwartung. Hände zum Greifen nahe, suchen nach Halt. Dann eine Berührung. Zart und unsicher streift ein Daumen über einen Zeigefinger. Die Gefühle schwirren wie Atommolekulare. Das Herz schlägt zum Takt des Lebens. Gier bedeutet den jetzigen Moment zu verlieren. Hände nähern sich zaghaft zueinander und ertasten unendlich viele Feinheiten. Gewonnene Sicherheit heizt den Mut an. Bereit für die Konfrontation der Seelen. Der Hals pulsiert. Die Hände vereint. Schüchterne Augen, die auf ihren Einsatz warten. Köpfe bewegen sich zueinander. Spannung steigt ins Unmeßbare.
Man schaut sich an. Vier Augen sprechen mit Worten, die nur sie kennen. Alles stirbt um sie herum. Erschaffen ist eine neue Welt mit zwei Bewohnern. Blicke kennen keinen Raum. Nähe kennt keine Grenzen. Man atmet Begierde aus, und Erwartungen ein. Beide vermischen sich zu einer warmen, homogenen Luft. Instinkte übernehmen die Verantwortung des richtigen Zeitpunktes.
Man nähert sich der Verschmelzung. Augen werden ausgeschaltet. Glaubende brauchen nicht zu sehen. Weiche Lippen treffen auf widerstandslose Gleichgesinnte. Der Atem versucht sich in Stille. Ein hauchzartes Streifen der Münder eröffnet den gemeinsamen Tanz. Die Musik pulsiert durch alle Adern. Durstige Seelen finden ihre Quelle. Benetzte Münder schmecken nach Lebenselixier. Die Zungenspitze versucht sich als Maler und zeichnet die Konturen der Lippen ab.
Man lässt sich fallen. Längst sind zwei Seelen verschmolzen. Zwei Träume gestillt. Zwei Ängste besiegt.
Wir verlassen den Raum der Sehnsüchte, in der gerade der Schönsinn des Lebens geschmeckt wurde.
[ 04.06.2002, 15:01: Beitrag editiert von: AZAD ]