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Schalter 3 (feat. Underground)
Renate Kackmann betrat das Bürgerbüro mit weichen Knien. An Platz 3 winkte ein dürrer, strenger Mann die dickliche Frau zu sich heran. "Wie kann ich Ihnen helfen, Frau ...?"
"Kackmann! Renate Kackmann", antwortete sie mit bedeckter Stimme und setzte sich auf den ausgeleierten Stuhl.
"Was kann ich für Sie tun, Frau ... Kackmann?"
"Ich möchte meinen Namen ändern lassen."
"Aber warum denn das?" Stille. "Ah. ... Okay. Wie möchten Sie denn in Zukunft heißen?"
"Detlef Kackmann."
Der strenge Herr schob mit dem Zeigefinger seine Brille den Nasenrücken hinauf. "Detlef Kackmann?", fragte er ungläubig.
"Ja, das wünsche ich mir schon seit vielen Jahren."
Der Beamte beugte sich ein Stück vor und schaute an Renate herab. "Haben Sie denn einen Penis?", frage er. In seiner Stimme lag neben der gewohnten Strenge nun auch etwas lüsterne Neugierde.
"Noch nicht."
Frau Kackmanns kühler Blick konnte es locker mit dem heißen, lüsternen Blick des Bürohengstes aufnehmen. Schweigend boten sie sich einige Sekunden lang ein Todesblickduell, bis der Mann an Schalter 3 sich räusperte, auf seine Unterlagen hinabsah und sie ordnete.
"Renate ...", begann er.
"Sagen Sie ruhig Detlef zu mir", fiel Renate ihm ins Wort.
"Frau Kackmann ... sicher wissen Sie, dass es nicht ganz leicht ist, seinen Namen zu ändern. Es müssen viele Paragraphen erfüllt, Faktoren geprüft und Bedingungen erfüllt werden, wissen Sie?"
"Erfüllt war doppelt", sagte Renate und lehnte sich mit einem gewinnenden Lächeln zurück.
Der Mann, dessen Namensschild auf dem Schreibtisch ihn als einen gewissen D. Mackensy auswies, zuckte unwillkürlich zusammen. Was sich bis jetzt nur unscharf am Horizont abgezeichnet hatte, wurde für ihn schnell zum bitteren Erkenntnismeteroiten: Hier handelte es sich nicht um die durchschnittliche Tante Trude, die ihren Namen ändern lassen wollte, weil ihr Neffe geheiratet hatte und die sich mit der Paragraphenkeule in die Flucht schlagen ließ. Detlef ... RENATE, rief er sich selbst zur Ordnung, Kackmann würde mit an Sicherheit grenzender Wahrschheinlichkeit den härtesten Fall seiner Karriere, ja vielleicht sogar aller Karrieren der Bürgerbürobeamten darstellen.
Er stand langsam auf, auf eine Art, die James Bond alt hätte aussehen lassen, hätte er beispielsweise am Tisch neben D. Mackensy gearbeitet. Er stand also auf und ging langsam um den Schreibtisch herum. Er klatschte zweimal in die Hände und im gesamten Büro verlosch das Licht.
"Oh, ein Clapper?", fragte Renate abgebrüht.
"Ja, Renate. Ein Kack-Clapper!", bestätigte Mack. Als er hinter ihr stand, stampfte er zwei Mal mit dem rechten Fuß auf und ein Spot tauchte ihn und die dicke Frau auf dem Stuhl in ein unwirkliches Licht. "Und ein Stamper, Renate! Und ein Stamper!"
"Hören Sie, guter Mann. Niemand hier will Ärger haben. Ich möchte einfach nur meinen Namen ändern lassen, eine Aktion, die in diesem unseren Land doch möglich sein sollte. Ich weiß nicht, wieso Sie jetzt eine solche Zirkusnummer daraus machen müssen - aber glauben Sie mir: Mir ist es vollkommen egal, ob Ihre Mutter Sie geliebt hat. Wichtig ist jetzt einzig und allein, dass Sie mir die nötigen Formulare zukommen lassen. Und was Ihren lächerlichen Auftritt angeht, können Sie froh sein, dass beispielsweise James Bond gerade nicht hier am Nebentisch arbeitet, der hätte Sie nur alt aussehen lassen."
D. Mackensy war perplex. Woher hatte sie das mit seiner Mutter gewusst? "Meine Mutter hieß Renate", sagte er hölzern, ja in fast kinski-esker Verrücktheit. Er schlich zu seinem Stuhl zurück und ließ sich darauf nieder. Er stampfte zweimal, der Spot verlosch. Dann schlug er seinen Kopf zweimal auf den Schreibtisch, eine Tischlampe glomm hell auf und schien Renate hell ins Gesicht. "Woher wissen Sie so viel über mich, Renate Kackmann? Und was wollen Sie wirklich mit den Formularen zur Namensänderung? Gestehen Sie!"
Ein dunkler Schatten fiel auf Frau Kackmanns Gesicht. Mackensy entschuldigte sich und nahm seine Hand wieder von der Glühbirne weg.
"EINMAL, EINMAL möchte ich mit echten Profis zusammenarbeiten!", zerriss die Stimme des Regisseurs die unheilschwangere Stille. Mackensy und Kackmann lösten ihren Blick voneinander und wandten ihre Gesichter dem Schreihals zu, der mit ihrer Leistung anscheinend nicht zufrieden war.
Doch noch bevor einer der beiden reagieren konnte, wurde der Raum auch schon von schwerbewaffneten Männern in Schutzwesten gestürmt. "Haben wir Sie also endlich, Dr. Ronald E. Gießer!", brüllte einer von ihnen, offensichtlich der Anführer der Truppe (zumindest stand das auf seinem Wimpel).
Er steckte sich zufrieden eine Zigarette an, als seine Männer den armen Irren abführten. "Wissen Sie", sprach er lässig zu Mackensy und Co., "wir jagen diesen Typen schon seit 30 Jahren. Er tauchte immer an den unmöglichsten Stellen auf und gab irgendwelche Regieanweisungen. Gerüchten zufolge soll er Titanic zu den 11 Oscars verholfen haben; dass der Film die letzten 3 nicht bekommen hat, lag wohl nur daran, dass wir ihm zu nahe rückten. Verrückter kleiner Kerl, hat aber eine Menge Gutes bewirkt."
"Verstehe", sagte D. Mackensy und verstand doch gar nichts.
"Sagen Sie", hielt der Truppenführer inne, gerade als er mit seiner Truppe das Bürgerbüro verlassen wollte. "Kann ich bei Ihnen eigentlich auch meinen Namen ändern?"
"Ja", sagte Mack. Er wollte zu seiner Mutter.
"Bleiben Sie locker, mein Bester. War nur'n Witz", sprach der Anführer lässig, stieß Mackensy kumpelhaft den Ellenbogen in die Rippen und blies ihm Zigarettenrauch ins Gesicht. "In einem Job wie meinem kommt man ohne Humor nicht weit. Wir sagen uns immer: 'Sie müssen nicht hier arbeiten um verrückt zu sein, aber es hilft!' Glauben Sie mir, mit Sprüchen wie diesen bin ich der Star auf jeder Betriebsfeier. Könnte Ihnen auch nicht schaden, wenn ich sehe wie Sie hier so angespannt dastehen."
Mack lockerte sich unwillkürlich. Er rutschte dabei ungelenk aus und schlug mit dem Kopf auf die Tischplatte. Die Schreibtischlampe verlosch und als der Beamte sich wieder berappelt und in die Hände geklatscht hatte, war der Truppenführer verschwunden. Er atmete einmal tief durch und wollte sich gerade an Renate wenden, als ... "Wissen Sie, Humor ist einfach extrem wichtig", sagte eine Stimme direkt hinter ihm. Mack wirbelte herum und starrte dem Truppenführer entgeistert ins Gesicht. "Ich bin Breddock, Atze Breddock." Er reichte Mackensy die Hand, die allerdings nicht dieser, sondern Renate hinter ihm ergriff, die sich über den Schreibtisch beugte. "Detlef Kackmann, angenehm!"
Breddock zog lässig an seiner Zigarette und grinste. Lässig.
"Eine Frau namens Detlef. Gefällt mir!", sagte er und drückte Detlefs Hand.
"SIE HEISST NICHT DETLEF, VERDAMMT! Nicht so lange ich hier regiere! Äh ich meine natürlich, so lange ich hier die Anträge bearbeite." Mackensy sah sich gehetzt um, seine Augen bewegten sich schnell von links nach rechts und umgekehrt.
Renates kühler Blick füllte sich mit Emotionen. Sie war sehr angetan von Breddocks lässiger Art und außerdem mochte sie Raucher. Schon als Kind hatte sie etwas für lässige Raucher übrig gehabt. Sie kam langsam um den Schreibtisch herum gelaufen und näherte sich dem Truppenführer mit träumerischem Blick.
"RENATE! SIE HEISST RENATE!", brüllte Mack.
"Renate? So hieß doch Ihre Mutter, Mackensy!" Erneut blies der lässige Atze ihm Rauch ins Gesicht.
"Meine ... aber woher ..." Der Beamte stammelte wirre Worte, während Breddock und Kackmann sich immer näher kamen.
"Ich mag dich, D. Aber du bist zu verkrampft, Kumpel." Breddock zog an seiner Zigarette und war damit beschäftigt, lässig in der Gegend zu stehen.
Mackensy trat der blanke Schweiß auf die Stirn. 'Die Wände kommen auf mich zu!', dachte er gehetzt und kam deshalb gar nicht dazu, sich darüber zu wundern, wie lang Breddock an einer einzigen Zigarette ziehen konnte, ohne dass diese nennenswert zur Neige ging. Oder darüber, dass die Sitzordnung von ihm und Renate bezüglich des Schreibtisches überhaupt nicht stimmen konnte. 'Du bist der Boss, D., alter Junge. Das ist DEIN Büro, du bist hier der Obermotz. Sie alle sind nur deine willigen Sklaven, du bist der Erschaffer deiner Realität, lass die Puppen tanzen!'
"Tanzt, ihr Fantasiegestalten, tanzt!", schrie er Breddock und Kackmann mit einem irren Lachen in die Gesichter. Dann begann er zu springen und zu applaudieren, woraufhin das Licht im Büro verrückt spielte. "Und hier gibts noch Musiiiik für euren Tanz!" Er trat vor einen Aktenschrank und ein hektischer Technobeat donnerte ihnen um die Ohren. Renate hielt Breddock die Hand hin und Breddock drückte darin lässig seine Zigarette aus. Renate stöhnte lustvoll auf und beide ergaben sich in einen sinnlichen Tanz durch das Bürgerbüro.
Breddock steckte sich lässig eine neue Zigarette in den Mundwinkel und zündete sie an.
"Weißt du, D. -"
Doch bevor D. erfuhr, was Breddock ihm beibringen wollte, ging die Welt unter.
Die Truppe von vorhin hatte das Büro erneut gestürmt und Blendgranaten wie Konfettis bei einem Karnevalsumzug umhergeworfen. Sie stürzten sich auf den lässigen Breddock, überwältigten ihn, drückten ihn zum Boden und legten ihm Handschellen an. Die Zigarette glomm unschuldig in seinem Mundwinkel weiter.
Als sich die Augen der Anwesenden wieder an die Umgebung gewöhnten, ging die Tür auf und mysteriöser Nebel waberte herein. Ein Husten war zu hören.
Was vermutlich als cooler Auftritt geplant war, wurde zu einem tollpatschigen Getorkel. Dr. Ronald Gießer betrat die Szene, geplagt von weiterem Husten. "Okay Jungs, wer zur Hölle hat die Rauchgranate hier gezündet? ... Sei es drum. Breddock, ich verhafte Sie wegen Verbrechen gegen die Menschheit und weil Sie mir meine Zigaretten gestohlen haben." Dann wandte er sich an Mackensy: "Danke, dass Sie ihn lange genug aufgehalten haben. Fragen Sie sich am besten gar nicht erst, was hier alles abgelaufen ist, sonst müsste ich Sie töten. Kleiner Scherz", fügte er todernst hinzu. "Das müssen wir immer hinzufügen. Schönen Tag noch."
Was sein Auftritt an Coolness vermissen ließ, machte er mit seinem Abgang wieder wett.
Breddock wurde abgeführt. Kurz bevor auch er die Szenerie verließ, wandte er sich noch einmal lässig an Mackensy: "Hey Mack. Hätte nicht gedacht, dass du mich so eiskalt aufs Glatteis führst und mich überführst", sprach er redundanterweise, jedoch nichtsdestoweniger lässig. "Du bist echt ein feiner Kerl. Schade, dass deine Mutter das nie mitbekommen wird. Grüß sie doch einmal lieb von mir, sei so nett." Die Zigarette fiel ihm aus dem Mundwinkel und segelte sanft und lässig zu Boden.
Ein verzweifelter Mackensy und eine schmachtende Kackmann blieben zurück.
Sie fing sich schneller als er.
"Um auf meine Namensänderung zurückzukom-"
"RAUS!"