Was ist neu

Schatten

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04.07.2001
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Schatten

Für
Alle, die es versuchten.

Der Attersee lag an diesem frühen Augustsonntag im Jahre 1889 in seinem Bett, als bemühte er sich seinem Maler, der eine Stafette zu seinen Füßen aufgebaut hatte, zu imponieren.
Er brach die jungen Sonnenstrahlen auf seiner blauen Haut zu warmen Lichtinseln, die zum verweilen lockten und schob den Morgennebel sanft zu den Füßen der Bäume hin, die ihn umrahmten.
Der Maler hielt seine Farbpalette in der rechten Hand und führte mit entschlossener Linken den Pinsel. Seine Blicke gingen nur selten von der Leinwand zum See hinaus, doch jedes Mal wenn er dies tat, schlossen sich seine faltigen Lider für mehrere Sekunden, als wolle er keinen Tropfen der Eindrücke zurück in den See fließen lassen, ehe er ihn nicht gänzlich ausgetrunken hatte.
Das Gesicht des Malers war geprägt von einer großen Nase und umrahmt von mattgrauem Haar, dass ihm müde bis auf die Schultern hinab fiel, und ihn älter wirken ließ, als er ohnehin war.
Kein Windhauch spielte mit den Kronen der Bäume, dem Wasser des Sees oder den Haaren des Malers. Alles lag still unter dem wolkenlosen Morgenhimmel.

Der Pinsel des Malers hielt inne, als dieser hinter sich Stimmen nahen hörte. Er senkte die Hände und richtete den Blick von seiner Leinwand weg, von seinem See hinweg, weit hinaus aus den Grenzen seines Bilderrahmens, hin auf die ewig schneebedeckten Kronen der nahen Berge. Leichter Schwindel überkam ihn, als würde er durch eine Glastür aus einem Raum hinausfallen.
Die Stimmen kamen näher und waren bald direkt hinter ihm.
»Grüß Gott!« klopfte die raue Stimme eines älteren Mannes gegen die Ohren des Malers und veranlasste den, sich auf seinem Schemel umzudrehen.
»Grüß Gott miteinander !« erwiderte der Maler, der nun einen älteren Herrn mit einer wohl weniger als halb so alten Dame auf dem ausgetretenen Weg stehen sah, der von Buchenort herunter kam. Sie hatten einen weißen Kinderwagen mit Sonnenschutz bei sich, der von der Dame geschoben wurde.
Die jüngere Dame in ihrem blauen Sonntagskleid, mit ihrem charakterlosen Gesicht und den dicht gesteckten Haaren tat einen freudigen Satz und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Staffelei des Malers.
»Schau Alois, welch wunderbare Arbeit.« lächelte sie, und kam nun, den Kinderwagen die Wiese hinunter schiebend, dem Maler entgegen.
Alois, der ältere Mann mit der kastenförmigen Kopfform, dessen mächtiger, grauer Schnauzer einen markanten Kontrast zum kurzgeschorenen Kopfhaar bot, kam mit stämmigen Schritten und hinter dem Rücken verschränkten Armen hinter ihr her.
»Ein wunderbares Bild.« freute sich die junge Frau, nachdem sie mehrere Male zwischen den beiden Seen hin und her geschaut hatte. Den Maler ärgerte es, dass sie das tat, nickte jedoch nur dankbar lächelnd.
»Es ist noch lange nicht fertig, werte Dame.« sagte er, während er dazu Pinsel und Palette mit gezückten Schultern in die Höhe hob.
»Lass den Herrn malen, Klara. Siehst Du nicht, dass Du ihn störst ! Komm.« mit diesen Worten griff er sie forsch am Ellenbogen und zog die zierliche Gestalt zum Kinderwagen zurück.
Der Maler wusste nicht recht, wie er reagieren sollte, bis er seine Werkzeuge in die warme Wiese legte und aufstand.
»Ich wollte sowieso gerade eine kleine Pause machen. Etwas Ablenkung, sie verstehen.« Die Mine des Mannes, Alois, entkrampfte sich, ohne jedoch Gelassenheit auszustrahlen. Er fühlte sich unwohl in Anwesenheit von Künstlern, Bonvivants, die niemals einen ordentlichen Beruf gelernt hatten, und zu nichts weiter taugten, als mit den Produkten ihrer Leichtlebigkeit die Gemüter der Frauen zu umwerben.
Unterdessen war der Maler zu dem Kinderwagen herangetreten und blickte hinein, während er sich an die Mutter wendete.
»Sind sie von hier ?«
»Nein, wir sind nur übers Wochenende hier. Wir kommen aus Braunau. Braunau am Inn.«
Der Maler nickte freundlich, ohne dass ihn die Antwort auf seine Frage wirklich interessiert hätte und versuchte das Baby anzuschauen, und dabei zu vermeiden mit seinen farbigen Händen den Wagen zu beschmutzen. Klara bemerkte seine Schwierigkeiten und klappte das Sonnendach nach hinten und schob die Decke etwas nach unten, so dass man das Kind besser sehen konnte.
»Er ist sogar wach.« flüsterte die Mutter, und strich dem Kleinen behutsam über die Wange, der draufhin seinen Kopf zur Seite drehte, um von der Sonne nicht geblendet zu werden.
»Ein süßer Kerl. Wie alt ist er ?«
»Fast vier Monate.«
Der Maler nickte und schaute weiter dem Baby zu, wie es die Arme unter der Decke hervornahm und die kleinen Finger den Sonnenstrahlen entgegenstreckte. Dann wendete es sein Gesicht zu dem Maler hin und schaute ihn an.

Dessen Kopf schnellte zurück, als bedrohte ihn eine Flamme. Die ruckartige Bewegung brachte ihn ins Stolpern und ließ ihn einige Schritte nach hinten tun, dabei stieß er gegen seinen Schemel, der die Stafette umriss. Das Bild fiel zu Boden, die frische Farbe des Sees floss über die Ufer und überschwemmte Wiese und Bäume. Eine große blaugrüne Welle riss gar den fernen Wanderer mit sich. Der Maler hörte ihn schreien. Er hört hunderte Schreie, tausende. Menschen die schrien. Die Augen des Babys schauten ihn von überall her an, blaue, durchdringende Augen. Schauten ihm durch die Nasenwurzel mitten ins Gehirn. Er torkelte, hielt sich die Ohren zu um die Schreie nicht länger ertragen zu müssen. Die Babyaugen durchbohrten ihn. Er sah Menschen darinnen. Männer, Frauen, Kinder. Sie streckten ihm die Hände entgegen, flehten. Der Maler schloß die Augen, doch die Bilder wurden nur deutlicher. Er sah Blut und Feuer, hörte Sirenen heulen. Menschen lagen am Boden und zupften an seiner Hose. Die Hände hilfesuchend emporgestreckt.
Der Maler sackte in die Knie.
Er öffnete wieder die Augen und suchte sein Bild, wollte sich in dessen Rahmen flüchten. Er fand es, griff danach und hielt es wie ein schützendes Schild vor sich. Doch was er drauf sah, ließ es ihn wieder von sich werfen, wie ein bedrohliches Insekt.
Das Wasser war aus dem See gelaufen. In der entstandenen Lehmwanne standen Menschen, hunderte gesichtsloser Menschen mit Schaufeln in den Händen, die Löcher aushoben. Einen Meter tief, zwei Meter lang. Diejenigen die fertig waren, legten die Schaufel beiseite und fielen vorwärts in ihr Loch. Ihr eigenes Grab.
Die Bäume am Ufer waren verschwunden. Dort standen, knieten und lagen Männer mit Gewehren, größer als zuvor die Bäume waren, und schossen auf die Männer am anderen Ufer des wasserlosen Sees. Der Himmel war rußschwarz und pfeifende Sternschnuppen, die mit lautem Donnern irgendwo einschlugen, durchkreuzten die Nacht. Tränen vergossen sie alle, die Menschen mit den Schaufeln sowie jene mit den Gewehren. Und jeder schluckte das Salz hinunter.
Unter die Salven der Gewehre, das Schmettern der Sternschnuppen und das stetige Geräusch von schaufelnden und dumpf fallenden Menschen mischten sich zwei Stimmen. Die Mutter und der ältere Mann ? Er spürte wie ihn ein kräftiger Arm packte und aufhelfen wollte, doch er riss sich los.
»Nein !«
Er stand alleine auf. Unsicher Beine trugen seine Last. Er kämpfte mit sich, um nicht nach vorne in seine ureigene Grube zu fallen und dabei dieses dumpfe Geräusch eines gestoßenen Sandsackes zu verursachen. Das Baby lächelte ihn an und quiekte.

Dann rannte er los. Mit aller Kraft die sein Körper aufbringen konnte stürmte er los, und riss das Baby aus dem Kinderwagen. Er klemmte es sich unter den Arm wie einen Ball und lief, ohne sie umzudrehen. Zu dem Schießen, Plumpsen und Schreien kamen ferne Fluche hinzu, welche ihm galten, Hilferufe, welche irgend jemandem galten, von dem wohl niemand recht wusste, wer es sein sollte. Er lief so schnell es ihn trug, spürte die Wärme des kleinen Menschen unter seinem Arm, dessen Mund offen stand und zu schreien schien. Doch solche Schreie waren überall.
Die Füße des Malers strauchelten, als er durch den Wald lief. Kleine Äste peitschten seinen Körper und den des Kindes Kindes in seinem Arm. Er spürte, wie Blut seine Hand hinuntertropfte; doch es war nicht das seine. Dornengestrüpp wollte ihn festhalten. Hörte es etwa die Hilferufe ? War es gar der Adressat ?
Der Maler lief. Die Schüsse wurden leiser. Die Schreie ferner. Goethe hinter den pochenden Augäpfeln.

Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt.
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan!-


Als er die Tür der kleinen Holzkate inmitten des Waldes hinter sich zurammte und den Riegel herunterklappte, war es alleine nich sein eigener scharfer Atemzug und das Schreien des Babys, was zu hören war.
Er legte das Kind auf den Boden und kniete sich darüber.
»Hör auf zu schreien. Hör auf ! Hörst Du ! Hör auf !«
Über den Hinterkopf des Babys klafften Peitschenstriemen der Äste, aus denen das Blut rann. Der Maler griff in seine Hosentasche und zog ein Taschentuch heraus, in dem er stets seine Pinsel nach dem Säubern trocknete. Es war noch feucht und roch nach Pinselreiniger.
Das müsste wohl genügen, dachte er sich, als er es dem Säugling ins Gesicht drückte, dessen Schreie auch unmittelbar darauf erstarben.

Dann stand er auf und schaute sich in der Kate um. Lichtstrahlen, die ihren Weg durch die Baumkronen und die Ritzen der Bretterhütte fanden, erhellten den kleinen Raum. Eine Feuerstelle mit Abzug, eine harte Schlafpritsche und ein kleiner Tisch in der Ecke mit einem einzelnen dreibeinigen Schemel davor bildeten die gesamte Einrichtung. Der Maler fühlte sich wie in einem Bild von Carl Spitzweg.
Nein, Richter. Bei Spitzweg würde ich mich wohler fühlen.
Seine Blicke, die wieder auf das Baby am Boden fielen rissen ihn aus den Gedanken.
Er ging zu dem Kleinen hinüber und nahm ihn vom Boden auf, um ihn auf die Schlafpritsche zu legen. Das Baby war still, betäubt durch den Pinselreiniger lag es da in einem ruhigen und bleiernen Schlaf. Der Maler zog sich den Schemel heran und setzte sich darauf. Er stemmte seine Ellenbogen auf die Oberschenkel und vergrub seinen Kopf in den Händen. Der Geruch vom morschen Holz der Hütte und frischen Pilzen, die er in dem Kessel über der Feuerstelle vermutete, stiegen ihm ihn die Nase.

»Was sitzt Du hier untätig rum, Maler ?« Der Maler schaute nicht auf, als er diese Frage hörte. Er erkannte die Stimme und hatte damit gerechnet sie bald zu hören.
»Was sollte ich sonst tun ?«
»Das, was Du vorhattest.«
»Es waren nur Hirngespinste. Was kann das Kind dafür?«
»Etwa nichts ?«
Der Maler antwortete nicht, sondern atmete nur scharf ein. Ein leichtes Rasseln seiner Lunge begleitete diesen Vorgang. Er schloß die Augen und ließ eine unbestimmte Weile verstreichen, in der er versuchte darüber nachzudenke, was er nun weiterhin tun sollte.
Als er losgelaufen und das Grün des Waldes um ihn herum zu einer einzigen braunen Masse zerfloß war, die an ihm vorbeizueilen schien, während er darin bewegungslos mit dem Päckchen unter dem Arm verharrte, hatte er genau gewusste, was er suchen musste. Er würde so lange laufen, bis er zu einem Brunnen kommen würde. Einen Brunnen, von dessen dunklem Grund man das brackige, abgestandene Wasser riechen würde, - dessen Eimer zerbrochen, dessen Strick zerrissen sein würde. Einen Brunnen, den man nicht für nötig gehalten hatte zu decken, weil er dort stand, wo sich niemand mehr hinverirrte.
Die runde Mauer des überirdischen Teiles lag gewaltsam auseinandergebrochen und weit verstreut um das Loch herum, so dass die Steine wie kleine mahnende Grabmale aufragten. Vom Brunnen vorbei an den Grabsteinen, bis in die Undurchdringlichkeit des Dickichtes hinein, zog sich die Spur eines einzelnen Wolfes.
Er würde zu diesem vergessenen Brunnen laufen und dort das Paket ertränken, auf dass es verstummen würde, und mit ihm die Schüsse, die Schreie und das dumpfe Plumpsen der Hautsäcke, deren Inhalt einzig klappernde Knochen waren.

»Maler !«
»Maler !!«
»Hör auf mich ständig Maler zu nennen ! Was ist denn ??«
»Das Kind wird langsam wieder wach.«
Der Maler stand auf und ging zu dem Bett hinüber.

Der Brustkorb des Babys hob und senkte sich schneller. Er griff in seine Hosentasche, um erneut das Taschentuch herauszunehmen und es dem Kind in das Gesicht zu drücken. Nun sah er auch die Wunden auf dem kleinen Kopf wieder, aus denen immer noch Blut sickerte. Mit einem frischen Taschentuch aus der anderen Hosentasche wischte er es sorgsam ab.
»Du solltest Dir nicht zu viel Zeit lassen. Sein Eltern suchen Euch.«
Der Maler steckte seine beiden Tücher wieder ein und ging zu der Vorderwand der Hütte, um durch eine Ritze zwischen den Brettern nach draußen zu schauen.
Er schaute mehrere Sekunden angestrengt in den Wald hinaus, doch konnte er nichts erkennen, was Grund zur Beunruhigung gegeben hätte. Als eine ungewohnte Wärme sich sein linkes Bein von der Hüfte hinab zu den Füßen schlich wendete er seine Aufmerksamkeit von der Ungewissheit des Waldes ab und dreht sich wieder in den Raum hinein. Die Helligkeit der Sonnenstrahlen, die ihm bei dem Blick zwischen den Brettern hindurch die Pupillen verengt hatte, erlaubte es ihm nun in den ersten Sekunden nicht zu sehen, was seine Haut schon fühlte. Er griff hastig an seine linke Hüfte, von wo sich die ungewöhnliche Wärme ausbreitete. Er spürte keinen Schmerz, und dennoch fühlte es sich an, als würden Unmengen von Blut sich aus einer Wunde in seiner Leiste ergießen und seine Hose damit tränken. Er meinte sogar den eisernen Geruch des roten Saftes zu riechen und auf den Lippen zu schmecken. Seine Hand griff in die Hosentasche und riss mit zitternden Fingern heraus, auf was sie darin gestoßen war. Noch immer konnte er nicht genau sehen, was er da auf den Boden schleuderte, doch hatte es sich in seiner Hand wie ein Organ angefühlt, welches noch warm war und noch Leben in sich trug. Er torkelte einen Schritt zurück und prallte mit dem Rücken gegen die Bretterwand der Hütte, ehe er seine linke Hand prüfend vor seine Augen erhob, und sie mit einem Blick betrachtete, als wäre es nicht seine eigene. Sie war tatsächlich in Blut getränkt, und schwere Tropfen rannen an ihr hinab, um platschend auf den Boden zu träufeln. Er spürte wie zuerst seine Hand unkontrolliert zu zittern anfing, ehe sein ganzer Körper es ihr gleichtat.
Als er vor sich auf den Boden blickte, wo er das Organ hingeschmettert hatte, - Oh mein Gott, lass es keines von meinen sein! – sah er dort nur das Taschentuch liegen, mit dem er dem Baby das Blut von dem kahlen Kopf gewaschen hatte. Es lag da, leicht zusammengeknüllt in einem dunklen Bereich zwischen den Lichtstreifen, die sich im Abstand der Wandritzen über den Boden zogen. Der Maler kniete sich nieder, teils weil seine Beine erneut den Dienst versagten und teils, weil er sich das Taschentuch aus der Nähe anschauen wollte. Er kroch wie ein Tier auf allen vieren zu der Stelle hin, wo das Tuch lag und beugte sich darüber. Das Tuch war trocken und nur kleine Blutflecken von den Wunden des Babykopfes waren darauf zu sehen, die aussahen, als hätte jemand seine blutende Nase gestillt. Der Maler kniete sich auf und griff an sein Hosenbein, dass noch immer mit Blut getränkt war.
»Was um Himmels Willen geht hier vor sich ?«
Als er seinen Mut zusammennahm und mit der rechten Hand in seine Hose zur linken Leiste griff, spürte er, wie der Schmetterling der Bewußtlosigkeit langsam seine Flügel aufschlug. Er fiel hart zu Boden und schlug mit dem Kopf neben dem Taschentuch auf, welches nun wieder ein pulsierender Teil seines Innertsen war.
Es blitzte, als würde man direkt in die Magnesiumexplosion eines Fotografen schauen, dann lag der Maler im Dunkeln.

Die Dunkelheit, die ihn umfing, wurde hervorgerufen durch die schwarzen Rußwolken des Geschützfeuers und den Erdenstaub, der durch jede Detonation aufgeworfen wurde. Es war hellichter Tag, doch das Sonnenlicht konnte kaum durch diesen dunklen Brei hindurch dringen, sondern machte ihn nur noch diffuser.
Er lag auf der Seite, die Beine angezogen. Neben ihm kauerte ein anderer Mann, der auf dem Rücken lag. Ein lautes Pfeifen erfüllte den Himmel, und noch ehe der Maler sich fragen konnte was dieses übernatürliche Geräusch verursachen mochte, donnerte es einige dutzend Meter neben ihm so laut, dass er zusammenzuckte und dabei seine angezogenen Knie in die Flanken des Mannes neben ihm rammte. Dessen Kopf fiel durch den heftigen Schlag zur Seite, so dass der Maler das Gesicht sehen konnte. Aus der blutüberströmten Stirn des Mannes schauten ihn zwei starrende Augen an – die Augen des Babys.
»Oh mein Gott, der Mann ist gefallen.«, war der Gedanke des Malers, ehe die Erde, welche der Einschlag aufgeworfen hatte, sich wie dichter Schnee über sie deckte.

Seine nackten Füße standen auf felsigem Boden, scharfe Steine drückten sich in seine Sohlen und spärliches Höhengras schneidend zwischen seinen Zehen hindurch. Der Blick in die Landschaft war gewaltig. Fern unter ihm erstreckte sich ein weites Tal, daß sich wie ein grüner, welliger Fluß zwischen den Bergmassiven schlängelte. Die senkrecht glühende Sonne erlaubt es keinem Schatten sich über den Boden zu schleichen und zwang die Menschen, die man von hier oben kaum noch als solche erkennen konnte, breitkremplige Strohhüte zu tragen.
Der Maler sah sich in seiner näheren Umgebung um und wurde einen Moment von einem leichten Ärger ergriffen, der jedoch alsbald wieder verflog als er merkte, dass er garnichts dafür konnte seine Malutensilien nicht dabei zu haben. Hier oben war nichts außer ihm und einem Adlerhorst, der sein Erbauer an einen großen Felsvorsprung angeschmiegt hatte, und von dem aus er nun den Maler still und steinern anschaute. Aus einem unbestimmten Grund heraus fühlte sich der Maler durch den stoischen Blick des Tieres dermaßen angezogen, dass er am liebsten zu ihm hingegangen wäre um die Hand zu heben und ihn zu berühren. Doch er blieb stehen wo er war, ohne jedoch die Augen von dem majestätischen Anblick zu wenden. Minuten mochten wohl vergangen sein, in denen nichts weiter geschah, als dass sich die beiden Lebewesen hoch über dem Tal gegenseitig anschauten. Ab und an kam eine sanfte Windböe und zerwühlte mit ihren Fingern Federn und Haare. Dann mit einem Mal öffnete sich der Hakenschnabel des Adlers und ein markerschütternder Schrei durchschnitt die dünne Höhenluft. Während der Raubvogel seine Schwingen öffnete, deren Spannweite größer war als der Maler selbst, echote von überall das Kreischen wider und erfüllte die Welt mit seiner Omnipräsenz. Der Adler stieß sich mit mächtigen Schlägen in die Höhe und flog so beängstigend auf den Maler zu, dass dieser sich auf den Boden warf und schützend die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Er spürte, wie ihn der Schatten des Vogels zudeckte und in frostige Kälte hüllte. Während er noch auf den scharfen Schmerz schneidener Hornkrallen wartete, war der Adler bereits über tief in das Tal hinabgestoßen und glitt mit starren Schwingen über den grüne Streifen hinweg. Als der Maler sich aufkniete, um den Flug des Adlers zu verfolgen, sah er etwas, was ihm das Blut in den Adern kühlte. Dem Adler nach folgte ein breites Schattenband, das wie eine Flutwelle über das ganze Tal hinweg floß und es in tiefe Nacht hüllte. Der Maler sah die kleinen Punkte, Menschen und Tiere gleichsam, vor der Schattenwelle flüchten. Sie liefen und strauchelten, schaute sich fürchtend um, verloren ihre Strohhüte und Hufe. Doch niemand konnte entrinnen. Alles wurde von dem Schatten eingeholt und schrie. Der Maler kniete weit über dem Tal auf nacktem Felsen und schaute zitternd herab. Er hörte die Schreie, wie sie wieder anschwollen, hörte erneut jenes Plumpsen der Körper, wenn sie der Schatten umstieß und unter sich begrub. Chamisso hämmerte in seinem Kopf:

Und was ist denn der Schatten? möchte ich fragen,
Wie man so oft mich selber schon gefragt,
So überschwenglich hoch es anzuschlagen,
Wie sich die arge Welt es nicht versagt ?
Das gibt sich schon nach neunzehntausend Tagen,
Die, Weisheit bringend, über uns getagt;
Die wir dem Schatten Wesen sonst verliehen,
Sehn Wesen jetzt als Schatten sich verziehen.


Der Maler griff sich an die Schläfen und trommelte mit den Fingerkuppen dagegen.
» Neunzehntausend Tage,
zweiundfünfzig Jahre.
er, Chamisso schriebs in
Achtzehnvierundreißig.
Zweiundfünfzig mehr und
Achtzehnsechsundachzig
bliebe ausgerechnet.
Satans Sechse auf den
Kopfe nun gedreht noch.
Achtzehnneunundachzig
-heurig Jahr ergebet. «

Die Schreie erstarkten unaufhörlich und dutzende Male wiederholte er murmelnd, wie eine Zauberformel, seine Verse. Der Adler schwang sich nun weit entfernt über den letzten sichtbaren Teil des abbiegenden Tales, und hüllte auch diesen in Schatten.

»Heurig Jahr ergebet.
Heurig Jahr ergebet.«
»Maler!«
» Satans Sechse auf den
Kopfe nun gedreht noch.«
»MALER!«
»Achtzehnneunundachzig
Achtzehnneunundachzig.«
»MALER !!!!«

Der Maler schrak auf, weil zwei Schreie ihn riefen. Der eine polterte seine Namen, der zweite kreischte aus der Kehle eines Säuglings hervor.
Sein Kopf lag neben dem Taschentuch auf dem Holzboden und sein Haar klebte in langen Strähnen an seinen schweißnassen Wangen.
»Was ? Wer ?«
»Ich, Maler. Ich. Bring die Sache zu Ende.«
Der Maler half sich mit wackligen Gliedern auf die Beine und schaffte sich zu dem Baby hinüber, das noch immer auf der harten Holzpritsche lag. Es schrie aus Leibeskräften einen Schrei, den man mit Sicherheit sehr weit durch den stillen Wald hören konnte. Wahrscheinlich zu weit.
Der Maler dachte einen Moment an den Brunnen zurück, doch wusste er nur zu gut, das er solch einen nicht finden würde. Er ging einige schnelle Schritte in der Kate umher und suchte nach etwas, von dem er selbst nicht wusste, was es sein sollte, als ihm wieder der Geruch von Pilzen in die Nase stieg. Er ging zu dem übergroßen Kessel über der erloschenen Feuerstelle hinüber und schaute über dessen Rand hinein. Wie er vermutet hatte schwammen dort etliche Pilze in einer unfertigen Suppe, die wohl nicht mehr als gesalzenes Wasser war, wenn es denn überhaupt jemals mehr werden sollte.
»Beeile Dich, Maler. Es kommt jemand. Hörst Du das Bellen des Hundes ? Handele !«
Der Maler lauschte einen Moment, doch konnte er nichts anderes hören, als das Schreien des Kindes. Dennoch beeilte er sich wieder zu der Pritsche hinüber und achtete dabei darauf, dem Kind nicht in die Augen zu blicken. Auch wenn es schreiend die Lider zusammengepresst hatte und dicke Tränen das einzige waren, was diese Schranke passieren konnte, so wollte er trotz allem kein Risko mehr eingehen. Er griff das Kind mit ausgestrecktem Arm an den beiden Knöcheln und trug es wie ein nacktes Huhn vor sich her zu dem Kessel hin.

Als die Tür aufging bot sich dem eintretenden Mann ein Bild, das ihn kurz erschrecken ließ. Sein Hund spürte das Entsetzen seines Herrchen und drückte sich an ihm vorbei, um mit drohender Gebärde den Mann mit den fettigen grauen Haaren zu stellen, der in der Kate stand und in den Kessel schaute.
Kaum als der Jäger sich gefasst hatte nahm er sein Gewehr von der Schulter und lehnte es an die Wand neben der Tür.

»Terri, aus. Aus, guter Junge ! « Der rauhaarige Jagdteckel wimmerte noch einige Laute und dackelte dann sofort zu seinem Strohlager in der Ecke der Hütte hinüber, wo er sich erschöpft hinlegte.
»Mein Gott, Maler. Was treibt Dich denn hierher ? Und warum schaust Du so grausam aus ?« brummte der Jäger, während er seine Jacke ausstreifte und an einen in die Wand eingeschlagenen Nagel hängte. Der Maler antwortete nicht, sondern schaute nur unaufhörlich in den Kessel hinein.
»Wieso bist Du nicht zu mir nach Hause gekommen ? Woher wusstest Du denn von dieser Jagdhütte hier ?« sagte er, während er zu dem Freund hinüberging, die Hand auf dessen Schulter legte und dabei einen flüchtigen Blick in den Kessel warf.
»Oh mein Gott ! Was ist das !!! Was...« Ohne weitere Gedanken zu fassen, riss der Jäger den Kessel von der Kette an der er hing, und kippte ihn auf die Seite. Die Pilze wurden mit dem Wasser über den ganzen Boden der Hütte geschwemmt, und mit einem erschrockenen Bellen sprang der Hund in einem gewaltigen Satz von seinem Lager auf die Holzpritsche. Der Maler wollte mit schwacher Hand eingreifen, doch wusste er nicht, was er tun konnte. Der Jäger warf sich auf die Knie und zog das Baby aus dem Kessel heraus, um sofort damit zu beginnen es wieder zu Bewußtsein zu bringen. Der Maler stand wie gelähmt daneben und schaute der Szenerie zu, während er keinen Weg fand um einzugreifen. Dann fiel sein Blick auf das Gewehr neben der Tür.

Kaum hatte der Maler das Gewehr ergriffen, schon Schlug der Hund mit wütendem Bellen Alarm. Doch war er nicht so unklug loszustürmen, denn was ein Gewehr anrichten konnte, das hatte er schon hunderte Male miterlebt. Er stellte sich alleine schützend vor den knienden Jäger und lehnte sich mit gefletschten Zähnen auf seine Vorderbeine.
»Lass ab von dem Jungen, du begehst damit einen großen Fehler !« sagte der Maler in gleichmütigem Ton. Der Jäger hob nun langsam seine Hände und atmete tief ein und aus.
»Maler, was ist in Dich gefahren ? Was ist hier los? «
»Der Junge muß sterben. Er bringt Schreie und Schatten.«
»Hör zu, das muss alles ein großer Irrtum sein. Leg die Waffe nieder, bitte.«
»Der einzige Irrtum ist es, diesen Jungen zu retten!« Doch die schnellen Bemühungen des Jägers hatten genügt, um das Wasser aus den Lungen des Kindes zu drücken, und so erstarb nun das Gebelle des Hundes und das Gespräch der beiden Männer, als ein lauter Babyschrei die Luft durchschnitt. Der Maler schreckte einen Moment zusammen und griff dann fester um den Vorderschaft des Gewehr in seinen Händen, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Er suchte auf das Baby zu zielen, dass jedoch größtenteils in der Deckung des Jägers und seines Hundes lag. Sein Blick ging scharf an Kimme und Korn vorbei, der linke Daumen spannte den Hammer und sein Zeigefinger legte sich auf den Abzug. Er spannte sich an zum gezielten Schuss.
Das Baby schien die drohende Gefahr zu spüren und ließ seine Schreie in dem Moment verstummen, als der Maler den kleinen Kopf im Visier hatte. Als es seine Augen öffnete und den Maler anschaute senkte er sein Gewehr.
Er senkte den Lauf zu Boden und gab sich den Schreien hin, die nun wieder aufkamen und von überall auf die Hütte einzudringen schienen. Dann stellte er das Gewehres mit der Schäftung vor seine Füße auf den trockenen Holzboden und blickte nur wenige Sekunden noch zu dem langsam aufstehenden Jäger hin, ehe er mit seinem Mund die Mündung umschloß, und mit dem plumpsenden Geräusch eines umfallenden Sackes zu Boden fiel.

Der Schuß knallte und hallerte durch den Wald, dass er noch hunderte Meter weit zu hören war.
Die beiden Eltern eilten mit sorgender Seele der Quelle des Schalls entgegen und kamen bald zu einer einsamen Kate inmitten des dichten Waldes, vor der ein Jäger stand und den lebslosen Körper eines Mannes in seinen zitternden Armen hielt. Er wiegte ihn wie ein schlafendes Baby und weinte Tränen, die sich mit dem fließenden Blut vermischten.
Aus der Hütte heraus drang der lebendige Schrei eines Säuglinges, dass nach seinen Eltern rief. Die Mutter stürmte hinein und fand ihr Kind auf dem Boden liegend inmitten von Pilzen, die in dem dunklen Blut des Malers schwammen. Sie nahm es in ihre Arme und drückte es fest an ihre Brust.
»Dem Himmel sei dank. Adolf, da bist Du ja !«

 

Whow !!! :eek: Hard stuff, und guter Plot.
Ich bin echt beeindruckt.

Hier nun die Kritik.

1.Mehr Absätze wären weniger mühsam beim lesen, das ermüdet einen ziemlich schnell.

2.Du meintest sicher "Staffelei" statt Staffette.

3.Erst sollte der Schuß knallen, bevor der Maler wie ein Sack zu Boden fallen kann.

Bin auf Deine nächsten Schreibwerke gespannt.

Es grüßt

Der Lord :)

 

HALLO LORD !

Danke für Deine positive Kritik !
S´taffelei-natürlich. Hab ich ja zu Anfang der Geschichte auch geschrieben-keine Ahnung warum mir beim zweiten Mal Stafette unterlief...muß ich ändern.

Das mit dem Schuß ... hast Recht. Wäre wohl anders besser-mal sehen wie ich das änder!

Wenn Du gerne noch was von mir lesen willst schau doch mal nach
Neujahrstraum (Rubrik Seltsam).

Bis dann !

 

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