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Schattenspiele (Grau und Weiß)
Graue Wände mit abgeschlagenem Putz. In der Decke klaffen Löcher, alles Zeugnisse einer langen Geschichte, die genauso wie das Gebäude, in dem diese leben, stirbt.
Auf einer kleinen Bank, an einer der grauen Wände, unter einem verblassten Gemälde, sitzt eine Frau, fast noch ein Mädchen, benahe ein Kind. Die Arme um ihre Beine geschlungen, die sie nah an ihren Körper gezogen hatte.
Die Schule, das Gebäude in dem sie sich befindet liegt stumm und leblos zu ihren Füßen und genauso wie der Himmel, über ihr. Keines der Kinder, die sonst herumstreifen befindet sich hier. Doch vor den Augen der jungen Frau ist ein anderes Bild zu sehen.
Sie sieht spielende Kinder, weiße Wände, strahlende Gemälde und lächelnde Lehrer. Dann fällt ihr Blick auf ein kleines Mädchen, ungefähr zehn, das vor Glück und Freude strahlt und einem anderen Kind hinterher rennt. Fast bildet sich die Frau ein, sie sei das Mädchen und das, was sie sieht eine ihrer, von sich selbst losgelösten Erinnerungen. Doch dem ist nicht so. Sie selbst ist, wie es in allen Erinnerungen der Fall ist eine Beobachterin.
Ich hätte vieles anderes gemacht, denkt sie und schüttelt über ihre eigene Dummheit den Kopf. Wäre sie wieder ein kleines Mädchen, wäre sie wieder hier, als ein Kind unter Kindern, so würde sie genauso handeln.
Als die Kinder nach dem klingeln der Schulglocke aus ihren Klassen strömen reißt sie der Moment der Realität aus ihrer Fantasie. Dasselbe Bild: Viele Kinder am Spielen und Lachen.
Aber an diesen bleibt ihr Blick nicht lange genug hängen, um sie im Gedächtnis zu behalten, um eine Erinnerung zurück zu lassen, die mehr ist als ein Déjà vu. Erst ein kleiner Junge zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich. Er ist genauso wie sie es einst war. Einsam. Das kann sie sehen, spüren, ohne sagen zu können warum. Eine Bemerkung von einem ihrer früheren Lehrer schießt ihr durch den Kopf: Gleich und Gleich gesellt sich gern.
Vielleicht können sich gleiche Menschen sogar spüren, überlegt sie, während sie dem Jungen mit den Augen folgt. An einer der nunmehr grauen Wände, lässt sich das Kind zu Boden sinken und schlingt ähnlich, wie seine Beobachterin es getan hatte seine Arme schützend um seine Beine.
Irgendwann, die Frau hat längst jegliches Zeitgefühl verloren, blickt der Junge von seinem Szenario Leben auf und schaut seiner Beobachterin in die Augen. Sie sieht den Mann vor sich, zu dem der kleine Mensch werden wird und der Junge sieht seinerseits das Mädchen, das sie gewesen war.
Die Klingel ertönt und der Junge erhebt sich, blickt ihr, bis er um die Ecke verschwindet in die Augen, hinterlässt so viel mehr als die anderen Kinder, eine Erinnerung, greifbar und so nah wie die Realität. Die Frau hätte ihm gerne gesagt, was sie heute weiß, ist sich aber darüber im Klaren, dass er es früher oder später, wie sie es getan hatte auch herausfinden würde.
Ein einsames Lächeln streift über ihre Lippen, in einer Welt, in der sie nun nicht mehr leben kann. Und für einen Moment, als sie aufsteht sind die Wände wieder weiß und sie blickt auf sich selbst herab, mit dem Wissen, dass sie dieses Ich abgelegt hat und es in ihrer Erinnerung gut aufgehoben ist.