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Schattentraum

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17.02.2005
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Schattentraum

„Etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung berichten von aktuellen, weitere sechs Prozent von vergangenen Alpträumen. Im Kindesalter sind sie häufiger: Nach Schätzungen könnten etwa ein Viertel aller Kinder betroffen sein. Häufigkeit und Verlauf sind sehr individuell. Manchmal wird über mehrere Alpträume pro Woche oder gar pro Nacht berichtet, manchmal treten sie nur selten auf.“​

Verletzlich sah sie aus. Verletzlich und verängstigt. Die dunklen braunen Augen waren weit aufgerissen und glichen zwei schwarzen Farbtupfern in einem bleichen Mond. Ihr zarter rosa Mund war fest zusammengepresst, die Unterlippe etwas vorgeschoben. Sie würde jeden Moment zu weinen beginnen.
„Trisha,…“ begann Kathy und versuchte zugleich beruhigend und nachsichtig zu wirken.
„Ich lasse das Licht an. Und ich sitze im Wohnzimmer.“
Das Mädchen schüttelte den Kopf. Ihre Unterlippe zitterte, und ein leises Schluchzen entrang sich ihr.
„Mommy!“ flehte sie und ihre Stimme zitterte. „Es macht das Licht aus, wenn es kommt. Und es holt mich. Es…“
„Trish, niemand macht das Licht aus. Ich sitze doch im Wohnzimmer und ich…“
„Es ist ihm egal, ob du da bist. Es macht das Licht aus. Und dann kommt es zu mir ins Bett. Mom, ich hab Angst!“
Jetzt wurde sie von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. Tränen liefen über ihr Gesicht und verursachten dunkle Flecken auf ihrem Nachthemd.
Kathy holte tief Luft und massierte ihre Schläfen. Dieses seit drei Wochen andauernde allabendliche Theater zerrte an ihren Nerven.
„Trisha, es wird nichts passieren. Winnie Puh passt auf dich auf, und ich höre dich.“
Das Mädchen stand am Treppenabsatz und krallte ihre kleinen Finger in den Stoff des Bären. Ihre Wangen waren feucht und ihr Gesicht drückte pure Verzweiflung aus.
„Und du hörst mich wirklich?“ wimmerte sie.
„Ich hör dich. Geh ins Bett Schatz.“
„Es wird wieder kommen“
„Nein, Schatz, nichts kommt.“
„Wirklich?“
„Ja.“
„Ich hab dich lieb.“
„Ich dich auch, gute Nacht.“
Langsam drehte sie sich um und schlich die Treppe hinauf. Das Nachthemd mit den fröhlichen Micky Maus Figuren reichte ihr beinahe bis über die Füße.
„Ich komm später rauf.“ Hörte sie ihre Mutter von unten rufen.
„Ist gut.“
Aber ihre Gedanken waren nicht mehr bei ihrer Mutter.
Sie musste sich auf ihren Mut konzentrieren. Mut und Kraft für den Kampf. Ein Kampf den sie nicht gewinnen konnte.
Leise öffnete sie die Tür und blickte in ihr hell erleuchtetes Zimmer. Es schien alles in Ordnung zu sein. Stofftiere und Barbiepuppen lagen verstreut auf dem Boden. Auf dem Kästchen zu ihrer linken türmten sich Bilderbücher, die beruhigende, bunte Bilder aus einer freundlichen Welt enthielten.
Aber die Welt war nicht freundlich. Etwas Böses lauerte hinter der Maske.
In der hinteren Ecke des Zimmers unter der Dachschräge wartete das Bett auf sie. Ein hölzernes Bettgestell, in das man eine Winnie Puh Bettwäsche gelegt hatte. Es schien ihr zuzuflüstern. „Leg dich hin, Trish. Wir warten.“
Sie fühlte einen kalten Klumpen in ihrem Magen, als sie ihre kleinen Füße unter die Bettdecke schob. „Es ist alles gut Winnie.“ dachte sie
„Nichts wird passieren. Schlaf ruhig ein. Ich bin bei dir.“
Sie lauschte. Aus dem unteren Stockwerk hörte man das schwache Geräusch des Fernsehers, und gelegentlich konnte man von draußen ein vorbei fahrendes Auto vernehmen. Ansonsten war alles still.
„Vielleicht kommt es heute nicht. Oder es ist ganz weg. Irgendwohin geflogen.“
Sie entspannte sich ein wenig. Vielleicht kam es nicht. Das Licht war ihm zu hell.
Sie gähnte und schlüpfte tiefer unter die Decke. „Es kommt heute nicht. Oder es ist weg.“
Ihr Atem wurde ruhiger. Vor ihren Augen entstanden Bilder einer freundlichen Barbiewelt.
„Alles in Ordnung, Puh.“

Kathy kam die Treppe herunter. Sie wirkte erschöpft und müde, aber trotzdem froh. Tom drehte seinen Kopf vom Fernsehschirm weg und sah sie mitfühlend an.
„Schläft sie?“ fragte er
„Ja, fragt sich nur, wie lange wieder.“
Er streckte sich. „Vielleicht schläft sie jetzt durch.“
Kathy ließ sich auf die Couch fallen und legte den Kopf in seinen Schoß.
„Wenn ich nur wüsste, was sie hat.“ stöhnte sie.
Er strich ihr sanft über die Haare. „Was hat den der Arzt gesagt?“
„Ach, die sagen doch alle das gleiche. Es ist ganz normal, es geht wieder vorüber. Ich glaube die haben alle keine Kinder.“
Er streichelte ihre Schultern.
„Sie schafft es schon. Was ist den mit dem Schlafmittel, das sie ihr verschrieben haben?“
„Das gebe ich ihr nicht. Ich sehe nicht ein, warum ich meine Tochter mit solchem Medikamenten-Dreck voll stopfen soll.“
„Hmmm.“
Sie schloss die Augen. „Wie lange willst du noch fernsehen?“ fragte sie.
Er lehnte sich zurück. „Ach es kommt sowieso nichts.“
Er fuhr mit dem Zeigefinger über ihre Wangen und Lippen.
„Vielleicht hast du ein wenig Entspannung nötig, hmm?“
Sie grinste. „Du bist furchtbar.“ sagte sie.
„Ich weiß.“ Er stand auf und schaltete den Fernseher aus.

Sie fuhr ruckartig in die Höhe. Alles in ihr wollte aufschreien, aber sie konnte keinen Laut hervorbringen. Zitternd blickte sie sich im Zimmer um. Das Licht war aus. Es war mitten in der Nacht. Sie war eingeschlafen. Oh, wie hatte das passieren können! Es kam immer wenn sie schlief.
Ihre kleinen Hände umklammerten krampfhaft die Bettdecke. Sie hielt den Atem an.
Der Mond schien durch ihr Fenster und warf einen fahlen Schein auf den Boden. Die Barbiepuppen wirkten nun nicht mehr wie harmlose Spielzeuge.
Sie waren bleiche Gebeine, ermordet, verdreht und liegen gelassen. Ihren Augen waren tot und leer, ihre Münder nicht lächelnd, sondern verzerrt vom Schrei.
Winnie Puh lag auf dem Boden neben dem Bett. Er war kein niedlicher Stoffbär mehr, sondern ein Grizzly. Ausgehungert, wahnsinnig und vom Blutdurst getrieben. Seine Augen schienen jede Bewegung wahrzunehmen, bereit sich auf ein sein wehrloses Opfer zu stürzen.
Trisha schluckte. Sie wollte weinen, aber es ging nicht. Sie musste leise sein. Denn es war hier.
Sie konnte es noch nicht hören, aber sie spürte es. Es saß in der Ecke gegenüber ihrem Bett. Es beobachtete sie. Und es war gefährlich. Es wollte sie nicht aus Hunger holen, wie Puh der Grizzly, sondern aus purer Bösartigkeit.
Jetzt hörte sie es. Es atmete.
Es klang anders als jedes Atmen, das sie je gehört hatte. Nicht wie das leise Schnarchen ihres Vaters. Auch nicht wie das Schnauben eines Tigers im Zoo.
Es klang alt. So alt, als wäre es bereits seit Anbeginn aller Zeiten vorhanden. Und es klang körperlos. Ähnlich wie das Rascheln von Herbstlaub, nur böser.
Sie blieb regungslos sitzen. Sie war unfähig sich zu bewegen, oder einen Laut von sich zu geben.
Es kam aus der Ecke hervor. Sie schluchzte und wich zurück, bis sie an die Bettkante stieß.
Zitternd zog sie ihre Füße an den Körper und legte den Kopf auf die Knie.
Es kam aus der Ecke. Zuerst wirkte es nur so, als würden sich die Schatten verlängern. Vage nahm es die Form einer Hand an, die sich die Wand hinauf tastete. Die Finger verlängerten sich und gebarten ihrerseits wieder neue Finger, bis die gesamte Wand bedeckt war.
Jetzt wirkte es wie eine riesige Schattenspinne, die an der Wand saß und atmete.
Behände kroch sie einige Zentimeter nach oben.
Trisha wollte schreien. Sie wollte ihre ganze Furcht hinausschreien. Mom und Dad sollten kommen. Sie sollten das Licht einschalten, und das fürchterliche Ding vertreiben, das sie von der gegenüberliegenden Wand anstarrte.
Aber sie konnte nicht. Aus ihrer Kehle kam nur ein jämmerliches Krächzen.
Die Spinne veränderte abermals die Gestalt. Die Finger flossen zusammen, bildeten einen einzigen großen Schattenfinger, bis er aussah wie eine Schlange. Der Herbstlaubatem klang nun auch wie ein Zischen.
Jetzt weinte Trisha. Aber auch das geschah lautlos. Ihr Hals war wie zugeschnürt und ihre Tränen rollten heiß über die Wangen.
Das Ding schlängelte sich an die Decke, blieb dort kurz stehen, und veränderte sich wieder.
Links und rechts wuchsen Flügel aus der Schlange, breite schwarze Schwingen, die sich über die gesamte Breite der Decke erstreckten. Der Kopf der Schlange verbreiterte sich und nahm eine dreieckige Form an. Das Wesen das nun an der Decke hing, hatte Ähnlichkeit mit einer Fledermaus. Es war jedoch mehr als das. Ein dunkles Schattenwesen, das seit Jahrmillionen existierte und dessen einziges Ziel es war, Seelen zu rauben. Die Seelen von Kindern.
Trisha schloss die Augen. „Es wird weggehen. Ganz bestimmt geht es weg!“
Das Herbstlaubatmen wurde lauter. Trisha riss die Augen auf. Das Wesen bewegte sich leicht.
Das Atmen wurde immer lauter und höher. Es steigerte sich zu einem infernalischen Rauschen.
„Mommy, Daddy, wo seit ihr?“
Jetzt war es kein Rauschen mehr. Es war ein Gekreisch wie von tausend gemarterten Seelen.
Trisha blickte nach oben. Und die Fledermaus fiel. Sie fiel auf das Bett und bedeckte Mund, Augen und Nase mit undurchdringlicher stinkender Schwärze.

Aus den Sacramento Daily News:

Fünfjähriges Mädchen erstickt

Aus bisher ungeklärter Ursache erstickte in der Nacht auf Freitag die fünfjährige Trisha L. Der Vater hatte gegen 04:30 die Rettungskräfte alarmiert, als er das Kind leblos in ihrem Bett vorfand. Ärzte vermuten einen epileptischen Anfall.

 

Hi Chris!

Nettes Geschichtchen, das ich zu meinem kurzen Feedback mal in zwei Aspekte teilen möchte:

Erstens: Der Plot. Das Thema „Monster im Kinderzimmer“ ist nun mal mittlerweile schon mehr als ausgelutscht. Demzufolge hat mich die Story auch leider eher gelangweilt. Sorry!

Zweitens: Der Stil. Im Gegensatz dazu hat mir aber dein Stil insgesamt (v.a. aber die Beschreibungen des dunklen Kinderzimmers) doch recht gut gefallen. So kann’s weitergehen. :)

Zwei Sachen noch, die mir aufgefallen sind:

„Was hat den der Arzt gesagt?“

denn

„Mommy, Daddy, wo seit ihr?“

seid


MfG
Travis

 

Hallo Chris!

Ich muss Travis Recht geben, Dein Stil ist gut und schön zu lesen.

Aber etwas mißfiel mir: Da der Großteil der Geschichte aus der Sicht des Kndes beschrieben wird, erscheinen mir Formulierungen wie "Es klang alt. So alt, als wäre es bereits seit Anbeginn aller Zeiten vorhanden." und "Ein dunkles Schattenwesen, das seit Jahrmillionen existierte und dessen einziges Ziel es war, Seelen zu rauben." nicht passend, denn ich denke, dass ein kleines Kind von derartigen Wesen noch keine Vorstellung haben kann. Da würde ich vielleicht etwas abändern.

Ach ja, eines noch:
Die Finger verlängerten sich und gebarten ihrerseits wieder neue Finger ...

gebaren

Aber unabhängig von der Thematik, die nicht neu ist: Wirklich flüssig und gut zu lesen!

Aragorn

 

Hallo,

danke für die schnelle Rezi. Und freut mich wirklich total, dass euch der Stil gefällt. Der war in den ersten Geschichten von mir nämlich immer meine Schwäche.

Tja, jetzt muss ich dann wohl meine Plot-Entwicklung verbessern. Habt ihr vielleicht irgendwelche Tipps, wie man sich was gutes einfallen lässt? (Keine Angst, ich will keine Ideen klauen:shy: )

Sobald ich Zeit hab, werd ich übrigens auch mal ein paar eurer Geschichten lesen. Will ja hier kein Schmarotzer sein ;)

 

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