Scheiterhaufen
Langsam führ der Wagen die enge Straße entlang. Eigentlich war diese Straße die breiteste der ganzen Stadt, doch heute war sie nur so breit, dass der Wagen, der von vier prachtvollen schwarzen Pferden gezogen wurde, sich hindurchquetschen konnte. Die Menschenmassen, die den Weg säumten, lärmten nicht, wie gewöhnlich, wenn eine Hinrichtung stattfand. Still, ja beinahe andächtig verfolgten sie den Wagen mit ihren neugierigen, kleinen Augen. Die meisten von ihnen waren einfache Leute, Bauern, die die Sensation gierig in sich aufsaugten, weil sie niemals etwas Großartiges erlebten. Doch allen ging es ihnen gleich. In dem Moment, wo ihre Augen die Gestalt der wunderschönen Frau erfassten, waren sie nicht mehr im Stande, ein Wort von sich zu geben. Das lange rote Haar, das ihr bis an die Hüften fiel, ihr schönes, gleichmäßiges Gesicht rahmte, die helle, fast durchscheinende Haut noch unterstrich und die klaren, grünen Augen betonte, war ihnen fremd. Die Farbe und die Lebendigkeit, die aus dem Gefängnis, das auf den Wagen aufgebaut war, sprühte, machte sie klamm vor Angst. Sie war für den Pöbel ganz ohne Zweifel eine Hexe. Allein ihre Schönheit konnte niemals einer Sterblichen gehören. Gefahr ging von ihr aus. Die Männer fühlten eine unsagbare Begierde aufsteigen und schämten sich ihrer und die Frauen fühlten Bedrohung und übermächtige Konkurrenz.
Sie jedoch... ja, sie stand aufrecht, die Schultern gestrafft in ihrem Käfig. Ihre Gestalt hatte jedoch nichts mit der eines Raubtieres zu tun, das gefangen war. Nein, sie war stolz, wie eh und je und ein leichtes, süffisantes Lächeln umspielte die schönen, sinnlichen Lippen.
„Sieh doch ihre Gesichter.... seid ich denken kann, seh ich diesen Ausdruck in all den Gesichtern. Als ich noch klein war, plagte mich immer der Gedanke, was es wohl sei, was mich von den anderen Kindern unterschied. Ich kam so lange nicht dahinter. Mutter... ja, Mutter, sie wusste es, war sie doch auch selber eine Lichtgestalt unter all den düsteren Erscheinungen,. Die Menschen, die wir sahen, die neben uns lebten, nein, lebten ist das falsche Wort, denn ich glaube nicht, dass einer von ihnen je gelebt hat., sie hatten niemals Farben. Weder an sich noch in sich. Grau – grau war alles an ihnen, ihre Haut, ihre Haare und ihre Augen. Wann immer sie uns sahen wurden ihre Augen noch eine Spur grauer, denn sie hassten uns. Wir waren immer anders und das war nie erwünscht.“
Der Wagen führ über einen Stein und sie strauchelte ein wenig in ihrem Käfig. Sofort ging ein Raunen durch die Menge. Wie gerne hätten sie sie doch stürzen sehen. Doch sie war viel zu gewandt. Viel zu oft strich sie in den Wäldern umher. Lautlos, geschickt wie ein wildes Tier. War doch die Natur das, was sie als einziges herauszufordern vermochte. Hier war sie nichts Besonderes, konnte doch ihre Schönheit nicht mit der der Natur konkurrieren. Das Rot ihres Haares war blass im Vergleich zum Rot von Herbstblättern oder Hagebutten. Das Weiß ihrer Zähne war nichts im Vergleich zum Weiß des Schnees und das Grün ihrer Augen war nichts im Vergleich zum saftigen Grün des Sommermooses...
Der Wagen steuerte immer weiter seinem Ziel zu. Die Menschen hatten den riesigen Scheiterhaufen die ganze Nacht lang aufgebaut, kam doch der Befehl vom Prinzen persönlich. Er hatte das Urteil unterschrieben, mit dem tiefen Eindruck seines Siegelrings in das heiße rote Wachs, das auf das Pergament getropft war, auf dem mit ebenmäßiger Schrift geschrieben stand, dass sie durch die Kraft des Feuers ihr so junges Leben lassen sollte. Wie unscheinbar das Schriftstück doch wirkte und welch schreckliche Aussagekraft und Macht es doch barg.
„Wie ich doch den Duft des Sommers mag. Wenn ich die Bienen summen höre und all die Früchte riechen kann, die an den Bäumen heranwachsen. All das großartige Leben, das in jeder Ecke steckt. Nur nicht in ihren Gesichtern. Diese werden wohl immer so grau und tot bleiben.“
Jetzt konnte sie den fulminanten Berg aus Holz und Ästen sehen. Sie hatte keine Angst. Niemals zuvor hatte sie Angst verspürt und auch jetzt, in einer Situation, wo all die anderen, die diesen Weg schon vor ihr mit dem Wagen fuhren, bereits um Gnade winselten, laut schreiten, um sich schlugen, ihre Unschuld beteuerten, sie fühlte keine Furcht, nur Neugierde.
Der Moment, als sie ihn zum ersten Mal sah, war so ähnlich. Oft schon hatte sie gehört, wie grausam er doch war. Welch eiserne Hand das Schwert führte, mit welchem er Kriege gewann. Alle hatten unsagbare Angst, in sein Antlitz zu blicken, als er, nach 3-jähriger Abwesenheit in die Stadt zurückkam. Alle verneigten sich tief vor ihm, weniger aus Ehrfurcht denn aus Angst, mit Augenkontakt seinen Zorn heraufbeschwören zu können und durch diese Einfältigkeit sein Leben zu verlieren. Alle – nur sie nicht. Sie blieb, wie gewohnt, sehr aufrecht stehen und suchte seinen Blick. Die Geschichten, die ihm vorausgeeilt waren faszinierten sie. Sie wollte alles wissen, hätte ihn am liebsten gefragt, doch war er zu weit weg, abgeschottet von der Leibgarde. Er jedoch wandte sich um. Sie war diese Reaktion gewohnt, schon oft hatte sie gehört, dass man ihre Blicke fühlen kann. Er sah in ihre Augen und verlor in eben diesem Moment seine Farbe, konnte sie doch dieselbe Gier und Lust an ihm erkennen, wie sie es in den Augen all der Männer lesen konnte, die sie ansahen. Sie senkte angewidert den Blick.
Der Wagen war nun angekommen. Der Pöbel scharrte sich um den Wagen, den riesigen Scheiterhaufen... um SIE. Jeder wollte einen Blick auf sie erhaschen. Vielleicht ein wenig mehr von ihr sehen, als sie zu sehen gewohnt waren. War sie tatsächlich eine Hexe? Natürlich war sie das! Der Prinz hatte ihren Tod befohlen, zur allgemeinen Sicherheit und der Prinz wusste so was! Der Henker kam nach hinten und öffnete das Käfiggitter. Er reichte ihr die Hand, um ihr zu helfen, so wie er es immer machte, jedoch hielt er diesmal das Haupt gesenkt. Um nichts in der Welt wollte er dieses Lichtwesen ansehen, war er sich doch sicher, seine Seele zu verlieren, würde er dieses Risiko eingehen.
Am Tage nach ihrer ersten Begegnung schickte der Prinz nach ihr. Sie kam auf das Schloss, staunte, ob der wunderschönen Dinge, die die Menschen trugen und der noch schöneren Speisen, die die Tische zum Übergehen brachten. Doch dann erblickte sie ihn... er konnte seine Gier kaum zügeln. Widerwillig folgte sie seinem Zeichen sich zu nähern. Er zog sie mit den Augen aus, strich über ihren Körper, folgte jeder Rundung ihrer Weiblichkeit und erzeugte Übelkeit in ihr. In dem Moment, als sie den Kopf hob und ihm in die Augen blickte – spöttisch, überlegen und angewidert – wusste er, dass sie ihm niemals gehörte würde.
„Ich weiß, was der Grund meines Kommens ist, doch lasst euch gesagt sein, Herr“ richtete sie das Wort an ihn, „ihr seid der Prinz in diesem Land, ihr könnt euch alles nehmen, was ihr begehrt, einschließlich meinen Körper“ ein Lächeln flammte in ihm hoch bei ihren Worten, das ebenso schnell wieder erlosch, als sie fortfuhr: „jedoch MICH werdet ihr nie besitzen. Ihr werdet mich niemals klagen hören oder jammern, doch werdet ihr auch niemals auch nur ein kleines Stück meiner selbst erhaschen“
Sei lächelte bei der Erinnerung. Sie sonnte sich in dem Ausdruck der Hilflosigkeit, die sein Gesicht in eben diesem Moment widerspiegelte und genoss die Erinnerung.
Sie nahm die Hilfe des Henkers nicht an. Skurril erschien ihr diese Geste. Er, der ihr Leben nehmen sollte, wollte ihr Hilfe schenken, damit sie sich nicht beim Aussteigen verletzen sollte? Beinah musste sie lauf auflachen, was blieb war der süffisante touch, der ihre schönen, roten Lippen zierte.
Er nahm sie mit Gewalt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er nicht in der Lage sein würde, ihren Willen zu brechen. Er hatte schon so oft vergewaltigt, war es doch ein Teil seiner grausamen Kriegsführung. Kein Ton kam über ihre Lippen, sie ertrug die Schmach ohne mit der Wimper zu zucken. Er versuchte sehr lange und eingehend, sie zu brechen. Er nahm sie auf eine Art, wie es sonst nur Liebende tun, so wie sich diesen Akt auch immer vorgestellt hatte. Er küsste sie und war trotz der gewaltsamen Tat zärtlich, er strich ihr das Haar aus dem Gesicht, liebkoste ihren Hals, ihr Dekolletee, strich sanft, mit zärtlichen Fingern über ihre festen, schönen Brüste, genoss mit jeder Faser seines Seins ihren wunderschönen Körper. Sie jedoch lag da, mit offenen Augen und zeigte nicht den Funken einer Gefühlsregung. Keine Angst, kein Hass und noch weniger Liebe. Er zerriss ihr Gewand nicht, nein, er entkleidete sie sorgfältig, beinah voller Ehrfurcht. Er ließ keinen Millimeter ihrer schimmernden Haut zu küssen aus. Sie hatte das Gefühl, nicht in ihrem Körper zu sein, sondern das ganze Unterfangen wie eine Unbeteiligte zu beobachten. Selbst der Moment, als er in sie eindrang, ihr ihre Unschuld nahm, sie beschmutze mit seinem Hecheln, seinen ruckartigen, animalischen Bewegungen, als der Schmerz in ihre Glieder fuhr, selbst dieser Moment veränderte ihre Züge nicht. Sie blieb gleichgültig und reglos. Als er fertig war, blieb er schwer atmend auf ihr liegen und weinte wie ein kleines Kind. Mit diesen Tränen war ihr Todesurteil besiegelt.
Langsam stieg sie den Scheiterhaufen hinauf, bis zu dem Pfahl, der aus ihm ragte, wie ein erigiertes Glied – SEIN erigiertes Glied, ebenso widerlich erschien er ihr, doch niemand konnte den Ekel aus ihren Zügen lesen.
Langsam wurden die ersten Rufe laut. „Hexe“ konnte sie wie durch einen Filter hören. Es waren Stimmen von Männern, obwohl sonst immer die Weiber mit dem Schreien begannen, die, die ihre Männer an eine Hure verloren hatten, die den Männern die Sinne raubte, weil sie die Freuden der körperlichen Lust nicht als etwas Verwerfliches sahen, sondern sie genossen. Doch diesmal waren es eben diese Männer, die, die verschmäht geblieben waren, die sich in unendlichen Nächten herumwälzten, die Hand an sich selbst anlegten, um das Begehren zu lindern, es aber immer schlimmer machten, die, die ihr Gesicht nicht aus ihren Hirnen bringen konnten, niemals wieder... Eben diese wollten sie jetzt brennen sehen, ihre Schreie hören.
Der Henker fesselte sie an den Phallus. Kurz konnte er ihr Haar auf seiner Haut fühlen und die Begierde fuhr wie Feuer durch seine Glieder. Er machte den Fehler, ihr in die Augen zu blicken. Sie war kalt, er konnte ihre Seele durch die kalten, grünen Augen sehen und er schien ihm, als würde alles in ihm erfrieren. Verwirrt blickte er zu der Loge, wo der Prinz saß. Er, der dieses Spektakel befohlen hatte und nun nur darauf wartete, dass es endlich beginnen sollte.
Sie sah sich über die Wiese laufen, damals, als sie noch klein war und das Lachen noch nicht ganz verlernt hatte. Sie konnte die feinen, weichen Grashalme an ihren Zehen fühlen und sie lächelte in dieser Erinnerung.
Er jedoch sah dies als noch größeren Hohn und befahl dem Henker inne zu halten, als sich dieser dem Haufen mit der Fackel näherte. Er wollte es selbst tun. Seine Seele freikaufen durch ihren Tod. Er eilte von seinem Thron, der in der Loge aufgestellt war, das Raunen, das sein Aufschrei hervorgerufen hatte ignorierend und entriss dem Henker das große Stück Holz, mit der lodernden Flamme. Er sah gen Himmel, ihre Augen zu blicken vermeidend und steckte die Flamme tief in das aufgestapelte Holz. Immer und immer wieder, als würde er einen Feind erdolchen.
Ein tiefes Gefühl der Befriedigung kam über ihn, als er das Knistern des sich ausbreitenden Feuers bewusst hörte, ein Gefühl, ähnlich einer sexuellen Befriedigung, das er immer empfand, wenn er tötete. Mit dieser Siegessicherheit wagte er einen Blick in ihre Augen.
Sie lächelte ihn an. Süß, wunderbar, ehrlich. Er warf die Fackel in das Feuer, lief an die andere Seite des Scheiterhaufens, da, wo die Flammen noch nicht aus dem Unterholz züngelten und suchte wieder ihren Blick. Ihn zu suchen wäre nicht nötig gewesen, denn der ihre hatte ihn verfolgt. Sie hörte nicht auf zu lächeln. Es war ihm, als könnte er ihre Stimme hören, wie sie ein komm formulierten.
Sie sagte es immer wieder, im Geiste komm, komm, kooooooooooomm... und sie lächelte. Das Feuer kam immer näher, sie konnte die Hitze bereits spüren, sie fühlte, wie die feinen Härchen an ihren Beinen versengt wurden. Jedoch war da kein Schmerz. Da waren nur seine Augen, die sie fixierte und immer wieder komm in ihrem Geist formulieren ließen.
Plötzlich tat er etwas, das einen Aufschrei in der Menge provozierte. Er begann, den Haufen hinauf zu klettern. Als die Garde sein Vorhaben bemerkte, war es bereits zu spät und er nicht mehr zurück zu halten. Die Rufe des mittlerweile schon grölenden Pöbels drangen nicht bis an sein Ohr, konnte er doch nur ihr komm hören.
Ihr Kleid hatte bereits Feuer gefangen und stand lichterloh in Flammen, als er sie erreichte. Er war nicht verwundert, dass sie immer noch lächelte und nicht laut vor Schmerz schrie. Sie fühlte keinen Schmerz, sie lächelte, als sie ihn auf sich zukommen sah. Der Blick ihrer beiden Augen waren so sehr ineinander verfangen, dass sie nichts anderes mehr wahrnehmen konnten. Erst, als er ganz nah bei ihr war, ihr durch die hochpeitschenden Flammen, die ihrer beider Gewänder erfasst hatten und ihr Fleisch die Luft mit süßlichem Geruch schwängern ließ, zurief, dass er sie so sehr liebe, für immer und für alle Zeiten, sagte sie ein einziges Wort, das erste, das sie seit seinem Vergehen an ihn gerichtet hatte.
STIRB
Als dieses Wort sein versengtes Ohr erreichte und durch dieses in sein Hirn vordrang, konnte er den Schmerz des Feuers mit einer Wucht und Intensität von einer Sekunde auf die andere fühlen, dass sein Schrei vielen in der Menge den Verstand raubte.
Sie jedoch senkte den Blick und starb so leise wie sie gelebt hatte. Sie war noch schön, als ihr Haar brannte und ihre Haut zu verkohlen begann. Als der Tod sie küsste, hob sie ein letztes Mal ihren Kopf und trotz der furchtbaren Art, wie sie zu Tode kam, war sie auch in diesem Moment unsagbar schön, das dies der erste und einzige Kuss in ihrem Leben war, den sie genoss, ein Kuss, der aus Liebe, Barmherzigkeit und Ewigkeit geschah.