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Scherben und Fragezeichen

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22.11.2011
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Scherben und Fragezeichen

Retrospektiv hätte ich niemals gedacht, dass die Scherben meines zerstörten Lebens so messerscharf und zahlreich sein würden. Scharf wie ein Messer – so glitt auch dieser alles verändernde Tag durch das, was ich neunzehn Jahre lang MEIN Leben genannt hatte. Ein lächerliches Possessivpronomen aus vier Buchstaben, das doch so viel Bedeutung in sich trägt. Neunzehn Jahre lang bedeutete es etwas. Dann hatte es aufgehört. Doch warum? Weil jemand, den ich liebte und von dem ich glaubte, wiedergeliebt zu werden, beschlossen hatte, diese Bedeutung zusammen mit seinem Gepäck mitzunehmen, als er mich für immer verließ.
Man sagt doch: Was dich nicht umbringt, macht dich nur härter. Leider hat diese vermeintliche Weisheit in Bezug auf mich ihre volle Wirkung entfaltet. Doch wurde ich überhaupt gefragt? Wollte ich, dass dieses Sprichwort Sinnbild für mein Leben wird? Rhetorische Fragen verlangen keine Antworten.
Wie konnte es eigentlich so weit kommen? Diesmal keine rhetorische Frage. Vielmehr eine Frage, auf die wohl nie jemand eine Antwort finden wird.
Nachts, wenn ich nicht einschlafen kann, zähle ich nicht Schafe, sondern Fragezeichen. Es sind viele. Zu viele. Dann Stille, Endlosigkeit, Ausweglosigkeit, Bedeutungslosigkeit. Denn das Antonym Letzterer ist ja in Berlin. Dort, wohin ER sie mitgenommen hat, zusammen mit seinem Gepäck.
Die Scherben klirren. Ein Klang, der schlimmer ist als abgebrochene Kreide an der Tafel. Sie scheinen mich zu verhöhnen. Welch Ironie. Ich beginne, sie zu zählen. Sie erinnern mich unwillkürlich an die Fragezeichen aus meinen schlaflosen Nächten. Meine Synapsen arbeiten. Eine Erkenntnis ist unterwegs. Die Scherben und die Fragezeichen: ihre Menge ist identisch.
Zerstörtes Leben, Scherben. Ich könnte ihn wegen Sachbeschädigung zur Verantwortung ziehen. Wieder Konjunktiv. Der Modus der Feiglinge. Demnach muss er permanent davon Gebrauch machen. Oder wie sollte man ihn nach allem, was geschehen ist, sonst nennen? Wieder rhetorisch.
Ich war noch nie in Berlin. Vielleicht sollte ich endlich dorthin fahren und mir meine Bedeutung zurückholen, mein Possessivpronomen – aber ohne sein Gepäck.

 

Liebe(r) Alin,

herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Auf den ersten, und leider auch zweiten und dritten Blick erscheint mir der Text wie aus einem Tagebuch. Vielleicht etwas ausgeschmückt, um ihn prosaisch erscheinen zu lassen, und der Anrede "Liebes Tagebuch" entledigt ;).

Ganz wie ein Text, die man im Tagebuch belassen sollte. Ein paar Jahre später kann man darüber seufzen und sich denken, "ja, ja, die Liebe ..." Das ist immer besser als sich zu denken: "Ist ja ganz nett, aber musste ich damit wirklich ein Publikum belästigen?"

Ein lächerliches Possessivpronomen aus vier Buchstaben, das doch so viel Bedeutung in sich trägt.
Das gibt mir zu denken. Was ist die Bedeutung von "mein" für mich? Mein ist ein begleitendes Pronomen, ohne ein Bezugswort ist es vollkommen sinnlos.

Weil jemand, den ich liebte und von dem ich glaubte, wiedergeliebt zu werden, beschlossen hatte, diese Bedeutung zusammen mit seinem Gepäck mitzunehmen, als er mich für immer verließ.
Tja, traurig. So traurig wie gegen eine Mauer zu rennen, auf der ein Tor zum Paradies mit Graffiti gesprüht ist (von Anfang an nicht erwiderte Verliebtheit).

Leider hat diese vermeintliche Weisheit in Bezug auf mich ihre volle Wirkung entfaltet.
Inwiefern das? Die Gedanken der Erzählerin, die mir in dem Fall identisch mit der Autorin scheint, deuten eher auf einen schwachen, weichen Charakter, jemand, dem neu ist, dass das Leben auch mal weh tut, jemand, den ich gern trösten würde mit "dem Leben wächst mit der Zeit und etwas Geduld eine Hornhaut", aber das wäre anmaßend.

Viele Grüße,
-- floritiv

P.S.: Das ist leider kein objektives Urteil, kann nur mit subjektiven Urteilen dienen.

 

Eine traurige Geschichte... :(

Ich wünsch dir von Herzen, dass du eines Tages genug Kraft findest, um dir dein Possessivpronomen wieder zurück zu holen - immerhin gehört es dir ganz allein!


P.S.: Scherben lassen sich oft auch wieder kitten - aber es ist mühsam und braucht seine Zeit.

P.P.S.: So viele Fachbegriffe und dieser Stil - hast du womöglich was mit Sprache studiert...? ;)

 

Liebe(r) floritiv,

tut mir leid, wenn ich mit meiner Kurzgeschichte jemanden belästige. Das war nun wirklich nicht meine Absicht.
Außerdem sieht man an Deiner Meinung genau das, was ich mir gedacht hatte. Man denkt sofort an eine Liebesgeschichte. An ein Mädchen, das von seinem Freund verlassen wurde. Ich muss Dich enttäuschen: So ist es ganz und gar nicht. Eigentlich sollte zwar jeder das aus der Geschichte herauslesen, was er oder sie möchte. Dennoch möchte ich Dir sagen, was meine Intention war. Die Geschichte handelt von einem Mädchen, das von seinem eigenen Vater verlassen wurde, und zwar auf eine sehr unschöne Art und Weise.
Trotzdem vielen Dank für diese, wie ich finde, konstruktive Kritik!

P.S.: Selbstverständlich, eine Meinung ist und bleibt wohl immer subjektiv. Mea culpa...

Liebe Grüße

 

Mich belästigst du nicht damit, keine Bange. In dem Fall hättest du nichts oder einen viel kürzeren, umso saureren Kommentar von mir gelesen.

Ich muss Dich enttäuschen: So ist es ganz und gar nicht.
Wieso sollte es mich das enttäuschen, wenn dein Text nicht deine Intention rüberbringt? ;) Oder sollte er den Leser in die Irre leiten?

Dennoch möchte ich Dir sagen, was meine Intention war. Die Geschichte handelt von einem Mädchen, das von seinem eigenen Vater verlassen wurde, und zwar auf eine sehr unschöne Art und Weise.
Da steh ich nun, ich armer Tor ... und frage mich, wie ich das aus der Geschichte hätte herauslesen können. Alors, je passe.
Nicht, dass ich das Wort Vater irgendwo im Text vermissen würde. Was könntest du einflechten, das eine Tochter-Vater-Beziehung gegenüber einer Liebesbeziehung näherlegen würde? Wenn es nicht schon eine gibt und nur ich sie nicht als solche gedeutet habe.


Viele Grüße,
-- floritiv.

 

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