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Schill lebt, doch sein Komparativ musste sterben

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12.04.2007
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Schill lebt, doch sein Komparativ musste sterben

Schill lebt, doch sein Komparativ musste sterben
dem Erfinder des Biedermaier

„Was unsterblich im Gesang soll leben,
muss im Leben untergehen.“*

In der Puppenstube ist was los.
Da muss was los sein!
Erst neun Uhr abends.
Ein Spiel läuft in der Glotze.
Aber die Kiste Bier steht verwaist und hilflos rum.

Das Bergfest wollt der Hausherr bei der „Tschämpjens Liek“ feiern. Nöt’genfalls hätt er sich das Spiel schön gesoffen. Seit Montag hatt’ er trainiert und „weil ebend ma’ mitten inne Woche“ drauf gefreut wie’n Kind, sehn wir großzügig ab vom vorsätzlichen Suff. Da hat er reiflich Erfahrung gesammelt, Kondition sich erarbeitet und eine gewisse Meisterschaft und Eleganz erlangt.

Doch das Spiel läuft und die Kiste Bier steht nutzlos rum. Allerdings: In dieser Gemeinschaft von zwanzig Freunden fehlen sechs Flaschen.
Ich weiß, was Sie jetzt denken.
Gepfiffen!, sag ich Ihnen.
Die sechs Flaschen finden sich im Kühlfach und frieren.
Legen Sie vielleicht leere Flaschen in den Kühlschrank?
Eher selten - weiß ich doch – und wenn, dann ohne Vorsatz.
Will ich doch meinen!

Die Flaschen sollten „ma’ ebend“, also kurz, „högstens für’ne halbe Stunde“ nach Feierabend auf „Temp’ratur gebracht wer’n.“ In solch einer Umgebung fühlt Branntwein sich wohl, jedoch kein Bier.
Dem friert.

Zunächst jedoch ging’s dem Hausherrn nicht gut, was daran zu erkennen war, dass in dieser geheiligten Zeit weder Kiste noch das Bier im Kühlfach beachtet wurden, gleich dem Idiotenquiz, in dem die einzige korrekte aus vier vorgegebnen Fragen zu einer zuvor gestellten Antwort gefunden werden muss.
Verstehn Sie nicht?
Versteht doch jeder Idiot, der die Nummer wählt, weil sie ihm fünftausend Euro verspricht.
Wie Schill – den’s aber heute wenig interessiert, denn dem ist „sowat von“ schlecht.

Was, bei allen guten und bösen Geistern!, geschieht in der Puppenstube?
Welch’ Blendwerk der Hölle geht dort vor?
„Sabbat!“, knurrte Schill noch. Erst wurd ihm kälter als dem Bier, dann die Birne heißer als ’nem Grog.
Von der Stirne heiß rann kalter Schweiß.
„Wat soll dat!?“, bellte Schill und klemmte die Rute zwischen die Beine. Da hülfe „nur noch’n Schnappes“, der hatte schon oft bei Zipperlein geholfen.
„Wat is’ mich schlecht …“, stöhnte Schill, nachdem er ein Wasserglas mit Branntwein in sich hineingeschüttet hatte. Der Rachen brannte lichterloh. Tango tanzt’ das Zäpfchen.
„Ich lech mich wat hin, Evchen“, krächzte er.
„Tu dat!“, rief die Frau, die er lange nicht mehr so zärtlich benannt hatte, und fragte erstaunt und zugleich bestürzt: „Wat has’de denn, mein armes Bärchen?“
„Mich is’ zum Kotzen. Der Bauch …“ und als er die schmerzende Stelle anzeigen wollte, konnt’ ers nicht.
„Wat is’ mit dei’m Bauch?“
„ … der tut so weh“, kam’s weinerlich aus dem Helden verwehter Tage.
Als Eva dann vorwurfsvoll fragte: „Warum sags’de denn nix?“, droht’ er zu explodieren: „Wat tu ich denn die janze Zeit!“, dass ihm die Brust eng wurd und nach Luft rang.
Zudem schmerzte inzwischen der Arm – der linke …
Der Ärmste! Waren das nicht Symptome, die der dicke blaue Ratgeber Gesundheit drohend benennt? Jetzt war’s an Eva, flau zu werden.
„Schnell, leg dich hin!“, dass ihm durch plötzliche Hektik erst richtig angst und bang wurd.
„Ruf’n Notarsch!“, bellt’ er noch der Liebsten zu, haute sich ins Bett, um zu sterben: elend ist das Leben und dann noch so kurz! Rasch tritt der Tod den Menschen an, ob Kind und Kegel, Weib und Mann.
Darüber schlief Schill ein.

Des Lebens Mai verblühet einmal und kömmt nie wieder … Eva sorgte sich ernsthaft.
Doch wie die Wohnung wieder aussah, was nicht so sein dürfte, erst recht nicht, wenn Besuch von Wildfremden zu erwarten wär.
Erst wirbelten Wedel und Tuch Staub auf, dass sich die Allergie mit Husten und laufender Nase bei Eva meldete. Gleichwohl wurden Deckchen und Kissen ordentlich zurechtgerückt, gezupft und symmetrisch ausgerichtet. Da gibt’s in Puppenstuben nicht wenig zu tun, wie’s auch dem Herzenskönig gerad ergehn mag und wenn er gleich stürbe.

Die Nachrichten begannen, dass Eva erst mal schau’n musste, ob die Prinzessin auf der Erbse und Königin der Herzender heiliggesprochen werde oder doch erst nur „seelisch“ wie der „ Pollack“, der nach Schills Ansicht nur Papst werden konnte, da er als einziger Pole „nich’ beim Klau’n beim Aldi“ erwischt wurde, oder die Tante Jutta aus Calcutta.
Dafür hätte der Liebste eh keinen Sinn. Ist halt Protestant … Schnell noch „Kachelmann, geh du voran!“ gesehn – als die Frau die Kiste Bier bemerkte.
Blendwerk der Hölle!
Was soll der Doktor darüber denken? Und seine Gehülfen?
Wie schnell geht sowas um im Örtchen.
Nur: wohin damit?
Auf’n Balkon!
Eva schleppte die Kiste auf den Balkon, auf den noch die abgehende Sonne knallte. Nicht, dass sie es sich einfach machte! Weder trug sie den Kasten – auch sechzehn Freunde haben ihr Gewicht! -, noch zog sie ihn: Frau Eva schob schnaubend und meckernd den Kasten vor sich her.
Gegen halb neun war’s Werk vollbracht.
War’s das?
Nee!

Die Kleidung – wie die wieder da lag im Schlafzimmer!
„Tot kanner auch noch nich’ sein, wie der ratzt!“, murmelte sie vor sich hin. Also schnell noch sortiert, geschüttelt und unter Beachtung der Bügelfalten und einer angemessenen und durchaus logischen Reihenfolge – Jacke zu unterst, Slip zu oberst – „pfui Deibel!“, wie der wieder roch, wie drei Tage benutzt und dann auf links gedreht für die nächsten Tage! Nichts für empfindliche, schon gar nicht für feine akademische Nasen.
Und wachsame Augen erkennen Bremsspuren sofort.
„Dat weckt nur Ressantemang!“
Also weg mit ihm!
Ab in die Wäschetruhe auch mit den Socken.

Inzwischen lief die Eurohymne …
„Wenn der Mozart dat gewusst hätt!“ …
Wer spielt überhaupt?
Wahrscheinlich Nackedei Kenia gegen Barfuß Jerusalem.
Wie die wieder aussehn!
Nur fremde Namen!
Spielt denn da kein Deutscher mehr mit?
Müsst’ sie Schill mal fragen.
Der schläft jedoch immer noch.
Immerhin hat das Sägewerk Ruhepause.

„Ach Gott!“
Plötzlich kommt der Schiss.
Da war doch noch was!
Warum die ganze Aufregung?
Da fällt’s ihr ein!
Wie war die Nummer noch?
Gleich haben wir sie.

Rasch die drei Ziffern gewählt. Es quäkte heraus „Der Anschluss unter dieser Nummer …“ Eva fährt zusammen: Gott-oh-Gott!, Schill stirbt und der Notarzt hat die Telefonrechnung nicht bezahlt!
Schnell eine andere Nummer gewählt, von der ihr entgegensäuselt „Wer denkt wie ein Seifensieder, der fahre zur Hölle und soll in Seife kochen!“, dass sie verschrocken auflegt.
Zu allem Übel geht nun auch noch das Telefon und behauptet „Hier ist das Beerdigungsinstitut Himmelreich, ziehen Sie ihr Nachthemd an, wir kommen gleich!“

Von alledem kriegt Schill nix mit, schwebt auf Wolke sieben, jubilieret, frohlocket und singet mit glockenhellem Stimmchen Hosianna. So eng die Welt, so weit das ’hirn.
Wie leicht die Engelein all bekleidet sind, was Genesung und Wiederauferstehung Schills beflügeln wird. Irgendwo läuft die Eurohymne und Schill träumt, ihm wär der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, und wähnt sich auf der Insel der Glückseligen. Wer ein holdes Weib errungen, stimmet in den Jubel ein, drehe sich aber noch mal auf die andre Seite, um die Engelchen besser zu sehn. Aber warum sind die alle in kurzer Hose, haben stramme Waden und was für Oberschenkel …? Freude sprudelt in Pokalen, als Schill aufschreckt mit „Tschämpjens Liek – dat Spiel is’ dran. –
Warum wecks’de mich nich’?!“, mault Schill eine vor Schreck erstarrte Sache an.
„Wat tus’de da?“
Kurz war ihr Schmerz, sein Phlegma ist gestiegen.
„Warum stehs’de nich’ auf?! –
Has’de wieder Kolportage?“

Festen Muts in schwerem Leiden ruft Schill: „Eva, dat kanns’de doch nich’ machen!“
Und wer's nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund!

*“Kein Mensch war difficiler
Als seinerzeit der Schiller.

Darum, ob es sich verböthe:
Gepriesen sei der Göthe!“​

Rudolf Rodt, eigentl.
Ludwig Eichrodt,
Erfinder des Gottlieb Biedermaier​

 

Hallo Friedel

Obwohl ich gar kein Fussballfan bin, die WM ging vollauf links von mir dahin, stolperte ich heute wie einer aus Seldwyla, im Nachgang in dieses Trauerfestspiel, und nahm in kritischer Manier dieses Amüsement als äusserst köstlich wahr.

Ein genüssliches Nachspiel der nahen Gegenwart, in sprachlicher Form, dass selbst noch manche verblichenen Literaten, würde es ihnen zu Grabe getragen, sich daran zu weiden vermöchten.

Nach meiner wohl nur bescheidenen Meinung ist Dir da ein wahrlich schöner Wurf gelungen, ein Sittenbild in Biedermeier gewandet, doch hochaktuell in dieser Zeit.

Sehr gern gelesen.

Gruss

Anakreon

 

Also weisste, Friedel,

hier kommt die Gegenkritik zu Anakreon:
Das Evchen in ihrem Ordnungstaumel ist ja noch recht hübsch beschrieben. Dein Schill kommt bei mir aber so als dümmlicher Fussballfan an, den die eingestreuten Schillerzitate noch dümmlicher erscheinen lassen. Verzeih mir, aber dieser Text ist für mich zu geschwätzig, zu bierselig, zu Mainstream-fussballerisch, zu vollgestopft mit Blättidüdschen: Die links gewendete Unterhose z.B. war doch schon in unserer Jugendzeit ein uralter Hut …

Was hasdedir denn dabei bloss jedacht? Willste all deinen klugen Kommentaren hier selbst Gegenwind geben?

Sonst fall ich ja immer um und ins Schweigen vor Erstaunen über dein Hintergrundwissen und deine Technik, mit der du Hunderstel mit Tausendsteln zu mischen verstehst. Aber hier verschlägts mir den Atem und ich frage mich: He, he, was ist mit Friedel los?

Schill:„Eva, dat
ein Abständchen wär gut

Eineweg und nix für ungut:
Man muss ja auch mal meckern dürfen können … :D

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Von der Stirne heiß rann kalter Schweiß.
Ja, Friedel,
so gehts mir auch beim Lesen! Der geniale selbstverliebte Horst Janssen sprach einmal: "Ich trinke mich auf euer Niveau herab!" So ähnlich ist wohl Dein Versuch zu werten, nur daß Du in die Tasten kloppst statt zu trinken. Nur leere Flaschen im Kühlschrank? Wahrscheinlich reibst Du Dir die Fäuste bei dem Gedanken, wieviele Flaschen jetzt vor den Bildschirmen an Deinem Text herumrätseln.
Ein hübsches Kleinod, diese Studie zum Thema "Det is mein Milljöh!!" Und genau so wie in diesem Milljöh passiert auch in der Geschichte eigentlich nix. Und in mir beim Lesen auch nicht.

Gruß Set

 

Moin Friedrichard,
größtenteils hab ich die Geschichte gern gelesen. Amüsante Mundart mit dem zeitlosen Thema biedermeierischer Lebenspolitik vermischt. Aktuell Cocooning genannt, was in einen unsrer hiesigen Plauderfäden passen würde.

Zwischendurch fühlte ich mich an Arno Schmidt erinnert, das war angenehm: Da hättest du noch ein paar Schippen rauflegen können! Etwas mehr Handlung, Dynamik, vllt mehr der würzigen Dialoge ständen dem kurzen Text gut.

Etwas ratlos macht mich der Titel und das aufgegriffene Lied, ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was Schiller und Freude schöner Götterfunken in den Gedanken Schills verloren haben, bzw im Kontext bedeuten wollen. Das passt mir nicht zusammen. Vllt bemüht sich jemand um Aufklärung?

Grüße

 

Hi,
ich fands schön. Schill, Schiller, am Schillsten, oder so.
Genau die Portion Albernheit, mit der man teppichfransenausrichtende Evchens- Sterbe, wer da wölle, erst wird geputzt- grad noch ab kann.:D
Solche Figuren kenn' ich. ;)
Hat mir sehr viel Spaß gemacht.
LG Ingrid

 

Hallo Leute und Freunde des mehr oder weniger gepflegten Wortes,

wann hätt's dies schon mal bei mir gegeben, dass binnen zweier Tage fünf Kommentare vorzufinden wären ... und das bei einer Geschichte, die eine ältere einfach nur fortsetzt und zu einem Kammerspiel verkürzt, aber noch eins draufsetzt, als wäre ich tatsächlich damals die Treppe runtergefallen ...

Vorweg dank ich Euch fürs Lesen & vor allem für Eure Meinungsäußerung!

Im einzelnen, beginnend - ganz der Kavalier, der ich nun mal bin - bei den Damen ...

>Man muss ja auch mal meckern dürfen können …<, klaro,
>also weisste, Friedel<, und der "weißet",

liebe Gisanne,

das ist alles alt, alte Verse (gelegenlich verballhornt) und die Fortschreibung der Glocken-Parodie 2008, diesmal aber als Potpourri von Zitaten & Lebensweisheiten, die inzwischen Binsenwahrheiten (deshalb durchaus nicht unwahr/-richtig) sind mit noch älteren Hüten.
Wat hab ich mich dabei jedacht?
Ich will's Dir entgegen meiner sonstigen Haltung verraten. Erst ma' so recht nix, einige Zeit liegen lassen, und dann - schreck lass nach - in nullkomma nix fertiggestellt, wobei der Vorläufer in einer halben Stunde in der ursprünglichen Fassung fertig war - ich hatte ja auch den besten Mitautor, den man sich wünschen kann. (Was wir unter uns behalten wollen.)
Und zugegeben: so klug bin ich auch nicht. Ich tu immer nur so. Aber Albert (E.) hat auch gern rumge-albert.
Aber Gegenwind tut immer gut.
Abstand wird gewahrt werden ...

Hallo Ingrid,

's freut mich, dass der kleine Erguss Spaß bereitet.
>Solche Figuren kenn' ich.< Sie liefern auch Themen genug, dass man eigentlich die Augen & Ohren nur öffnen bräuchte - und schon stünde der nächste Text. Aber ich bin ein fauler Hund - immer schon gewesen.

Hallo Kubus,

dat is' keine Mundart, dat is'n Soziolekt, von denen es im Ruhrpott mehrere Varianten gibt: (Nieder-)Rheinisch (nich' Kölsch!), Westfälisch, wenn's so was gäbe Lippisch, Polnisch, Italienisch, Iberisch, Jiddisch etc. und alles miteinander kombiniert. Vielleicht schreib ich aber ma' wat im Dialekt.

>Etwas ratlos macht mich der Titel und das aufgegriffene Lied, ...< könnte durch den Vorläufer geklärt werden ... Ganz kurz daher nur: Schiller hat auch verdammt viel kleinbürgerliche Ideologie in seinen Werken verbreitet. Schau mal vor allem in seine Balladen ...

Hallo Set,

nach Arno S. Horst J., und - auch das bleibt unter uns - ich klopp nich' nur in die Tasten ... Und leere Flaschen nähmen an der genannten Stelle nur unnötig Platz weg. Aber dass hier was zu rätseln wäre ...

Hallo Anakreon,

's freut mich, dass der Text Dir gefällt.

Gruß & Dank vom

Friedel

 

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