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Schinesisch

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01.09.2005
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Schinesisch

Malte hatte sich gerade eine Zigarette angesteckt, als der Geländewagen vorfuhr. Er trat sie aus, nachdem er drei kräftige Züge eingesogen hatte. Der Fahrer hupte kurz, das bullige Auto hielt an. Die elektrische Scheibe fuhr herunter und der Mann hinter dem Steuer nickte Malte lächelnd zu.
„Hi.“
„Hallo.“
„Malte?“
Er nickte. „Heinz Gerd?“
„Jawoll.“ Betonung auf der zweiten Silbe, wie man es sich bei der Bundeswehr angewöhnt. Einen schauderhaften Moment lang sah Malte sich in die Ulmen-Kaserne einziehen, zusammen mit all den anderen Jungs, die versuchten, in vollen Hosen lässig auszusehen. Obwohl er gerade erst das zweite Semester hinter sich gebracht hatte, schien das so lange her, dass er nicht mehr sicher war, ob er seinen Wehrdienst vielleicht nur geträumt hatte.
„Berlin?“, fragte Heinz Gerd.
„Jawoll.“ Maltes Gesicht fühlte sich warm an. Es war ein Reflex gewesen, er hatte nicht die Absicht gehabt, seinen Fahrer zu veräppeln.
Heinz Gerd grinste.
„Ist das dein einzigstes Gepäck?“
Malte nickte und hob den Rucksack hoch. Heinz Gerd stieg aus und öffnete den Kofferraum, der etwa zur Hälfte mit Plastiktüten gefüllt war, aus denen die Hälse leerer Cola- und Fantaflaschen herausragten. Malte bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, als ihm der Geruch aus dem Inneren des Wagens in die Nase stieg. Nasser Hund. Er nahm die Plastikflasche mit Mineralwasser aus dem Rucksack, bevor er ihn im Kofferraum verstaute. Noch bereitete ihm jeder Gedanke an Nahrung Übelkeit, egal ob fest oder flüssig. In ein oder zwei Stunden aber würde er das Wasser brauchen, wie er es immer brauchte nach Nächten wie der vergangenen. Heinz Gerd reichte Malte die Hand.
„Jetzt erstmal ordentlich Guten Tach sagen“, erklärte er sein Angebot. Der Druck der fleischigen Pranke erhöhte sich bis zu einem Punkt, an dem Malte sicher war, er würde jeden Moment seine Knochen brechen hören.
Heinz Gerd schwieg, bis sie auf der Autobahn waren. Zweimal hatte Malte versucht, ihn anzusprechen. Beide Male hatte Heinz Gerd ihn mit einem ungeduldigen „Scht“ unterbrochen. Sie fuhren unter einem Schild hindurch, dem zufolge es 426 Kilometer bis nach Berlin waren. Heinz Gerd zeigte darauf und sah Malte an, als wolle er ihn fragen, ob er halluziniere oder ob sein Beifahrer das Schild auch sehe. Malte hob den Daumen zur Alles-okay-Geste. Heinz Gerd stellte das Navigationsgerät aus, an dessen Anweisungen er sich sklavisch gehalten hatte, trotz Maltes Angebot, ihn aus dem Innenstadt-Bereich auf die Autobahn zu lotsen: „Scht!“
„Du siehst ganz anders aus wie im Internet“, sagte Heinz Gerd. Er zog einen getrockneten Rindfleischstreifen aus der Plastikverpackung, die auf der Fläche über dem Radio lag. Malte fragte sich, wie lange es dauern mochte, bis ihm der Hundegeruch nicht mehr auffiel, und ob seine Kleidung und seine Haare bei Ankunft genauso riechen würden.
„Das ist Chuck Norris.“
„Wer ist das?“
„Das ist kein Bild von mir, sondern von Chuck Norris. Ist nur 'n Witz.“
Heinz Gerd schien zu überlegen, worin genau die Pointe bestand, sagte aber: „Ach so.“ Er zuckte die Schultern und aß noch einen Streifen getrocknetes Rindfleisch.
„Willst du?“ Heinz Gerd hielt Malte die Packung so nah vors Gesicht, dass der Geruch der Fleischstreifen einen Moment lang den des Hundes verdrängte.
„Nee, danke.“
„Wer ist Chuck Norris?“ Heinz Gerd starrte in die leere Rindfleischstreifenverpackung, als vermutete er darin die Antwort.
„Der Schauspieler“, sagte Malte. „Nie gehört?“
Das Fenster fuhr herunter. Malte schnüffelte dankbar den Abgasgeruch. Heinz Gerd warf die Packung nicht raus, er hielt sie einfach in den Wind und ließ los. Elektrisches Summen, dann trat die Luft wieder auf der Stelle.
„Wo hat der mitgespielt?“
„Vor allem so Actionkram, in den Achtzigern.“ Malte formte mit den Händen eine Maschinenpistole und verschoss eine unsichtbare Salve gegen die Frontscheibe: „Rattattattattattatta.“
Heinz Gerd kratzte sich an der Schläfe.
„Tod den Kommunisten, solche Sachen.“
Heinz Gerd winkte ab. „Sowas gucke ich ja nicht“, sagte er und schlug sich mit der Faust auf die Brust. In Anbetracht seines Körperbaus würde vermutlich in naher Zukunft ein Notarzt das Gleiche tun.
„Ich gucke lieber hier, fürs Herz“, erklärte er. „Genau wie 'ne Frau.“ Er lachte. Diemal traf seine Faust Maltes Brust. Wäre der wuchtige Klaps ein paar Zentimeter weiter unten gelandet, hätte er sich sofort übergeben.
„Genau wie 'ne Frau“, wiederholte Heinz Gerd. Es klang fragend, beinahe verzweifelt. Malte lachte zögerlich. Das Geräusch schien Heinz Gerd zu beruhigen, er konzentrierte sich wieder auf die Straße.
„Gibst du mir mal bitte?“ Heinz Gerd zeigte auf das Handschuhfach, Malte öffnete es. Er wollte gerade nachfragen, als ihm die Packungen mit Rindfleischstreifen entgegenknisterten. Das Fach war so überfüllt, dass einige davon in den Fußraum fielen.
„Lass liegen, sind ja eingepackt“, sagte Heinz Gerd und riss seinem Fahrgast gierig eine Dosis aus der Hand. Malte ignorierte die Anweisung und verstaute das Trockenfleisch wieder.
Heinz Gerd bearbeite das Plastik abwechselnd mit Zähnen und Fingernägeln. Eine Sekunde lang fuhr er freihändig, einhundertundvierzig auf der mittleren Spur.
„Soll ich aufmachen?“, fragte Malte. Heinz Gerd hatte das Plastik wieder zwischen den Zähnen. Es knisterte, als er den Kopf schüttelte wie ein Hund, der einen Hasen am Genick gepackt hatte. Maltes rechte Hand krallte sich in den Sitz. Seine Muskeln entspannten sich erst wieder, als Heinz Gerd zufrieden kaute.
Der Fahrer stellte das Radio an. Nachrichen. Jede Meldung kommentierte er mit einem spöttischen Auspusten: „Pf.“ Drei Tote im Irak. „Pf.“ FDP: Reiche Leute, Leistungsträger. „Pf.“ Die Linke: Reiche Leute, alle Hitler. „Pf.“ Theaterstar tot, Sängerin schwanger, BVB, FC, zweinull. „Pf.“
Heinz Gerd summte den anschließenden Schlager zwei Strophen und einen Durchgang des Refrains lang mit. Dann stellte er das Radio wieder aus. Malte atmete durch den Mund. Seine Geruchsrezeptoren hatten gerade erst begonnen, die belastete Atmosphäre zu ignorieren, da schwängerte ein gemeines Rindfleischstreifengas die Luft. Heinz Gerd räusperte sich und ging in ein falsches Husten über, wohl um den Gestank zu übertönen. Als das nicht funktionierte, drehte er die Lüftung auf.
„Meine ist ja weg“, sagte er.
Malte versuchte, inhaltliche Bezüge zwischen Gesehenem, Geschehenem und Gesagtem herzustellen. Erfolglos. Heinz Gerd hielt die Hand in die Höhe. Ein Streifen Haut am Ringfinger war gebleicht.
„26 Jahre verheiratet gewesen“, sagte er. „Ist vorbei, von jetzt auf gleich. Darfst du nicht drüber nachdenken. Den Hund hat sie auch.“ Er fügte ein „Pf“ an, so als hätten sie das mit dem Hund im Radio durchgegeben. Heinz Gerd schnaufte, einen Augenblick lang fürchtete Malte, er würde anfangen zu weinen. Der Tacho zeigte einhundertundsechzig Stundenkilometer, die man kaum bemerkte. Heinz Gerds Geländewagen stank, war aber luxuriös ausgestattet und fuhr unter dem mächtigen Stern von Stuttgart, dem Insignium derer, die es zu etwas gebracht hatten. Gut getarnte Geschwindigkeit und trübe Gedanken. Gefahr. Die Frau musste raus aus den Köpfen.
„Vorgestern Schalke gesehen?“
Heinz Gerd schüttelte den Kopf.
„Hätte ich nicht gedacht, dass sie sich zum Ende der Saison nochmal so zusammenraufen würden. Der Start war okay, aber ich glaube, der Wendepunkt war dann die Nummer gegen Köln. Danach war's ja echt nur noch peinlich.“
Kein Widerspruch. Heinz Gerd zuckte die Schultern und starrte auf die Straße, die er nicht zu sehen schien.
„Unser Lüttscher hat Fußball gespielt“, sagte er. „Als er noch lüttsch war, der ist jetzt älter wie du. Meine Frau hat ihn immer zum Training gefahren.“
Um nicht zu schreien, sagte Malte: „Älter als ich. Und was macht der so?“
„Irgendwas mit Computern, glaube ich. Sowas hat er mal studiert, mit Computern irgendwas.“
„Du weißt nicht, was dein Sohn studiert hat?“
„Kannst du eigentlich mal zwei Minuten die Schnauze halten?“
Dass er sich nicht verhört hatte, begriff Malte erst, als Heinz Gerds flache Hand auf das Armaturenbrett schlug. Er sah, wie sich die Finger um das Lenkrad krallten, bis die Knöchel weiß wurden. Mehr als hundert Euro hätte die Fahrt mit der Bahn gekostet, scheiß Privatisierung.
Heinz Gerd streichelte seine Koteletten, die am Kinn in einen unkontrollierten Vollbart übergingen. Er entschuldigte sich. „Ich bin nicht so, also manchmal bin ich so, das meine ich aber nicht so.“
Malte nickte. „Ich werde mich 'ne Runde aufs Ohr hauen, war spät gestern.“ Da war Hoffnung. Vielleicht öffnete er später die Augen und war auf dem Sofa im Gemeinschaftsraum der Ulmen-Kaserne eingedöst, und das alles, Heinz Gerd und der verlorene Hund, das war der Traum.
Die meiste Zeit blieb Malte wach. Jedenfalls glaubte er das. Einiges, das er hörte, hätte sich in einem Traum wohl gefühlt, hätte dahin gehört. Heinz Gerd schmatzte, Schlagersänger schmachteten. Einmal kamen sie zum Stehen und Malte hörte hupen. Heinz Gerd beteiligte sich erst grimmig nuschelnd und dann schimpfend an dem Konzert. Schließlich fuhr die elektrische Scheibe herunter. Heinz Gerd bot jemandem an, auszusteigen und rüberzukommen, das sei auch möglich, er sage es nur, du blöder Kackvogel. Der Konflikt ansich überraschte Malte nicht, wohl aber, dass die Antwort-Stimme, die zitternd mit der Polizei drohte, die einer alten Frau war.
Malte wachte auf und blickte verwirrt umher, ließ die Augen einen Moment fragend auf Heinz Gerd ruhen.
„Moin“, schmetterte der und verteilte einen Begrüßungsschlag auf die Brust. Malte bechloss, ihn zu bitten, das nicht mehr zu tun, sobald er sich fit genug fühlte.
„Jetzt Frühstück?“ Das Odeur von Trockenfleisch zog in Maltes Nase. Er schüttelte den Kopf und schob Heinz Gerds Angebot sanft von sich. Bis Heinz Gerd die Muskeln anspannte und der Arm sich nicht mehr bewegte, so als drücke Malte gegen den einer Statue, die fest auf einem Sockel zementiert stand. Plötzlich lockerte sich der Arm wieder, es setzte eine neuerliche Faust auf Maltes Brust.
„Nur Spass“, versicherte Heinz Gerd.
Malte sagte nichts, weil es sich anfühlte, als könnte er bei dem Versuch zu sprechen Haut von seiner Zunge reißen, so fest klebte sie am Gaumen. Er bückte sich nach der Mineralwasserflasche, die zwischen seinen Füßen lag. Er schraubte sie auf und setze an, sah das Gesicht im Rückspiegel und prustete erschrocken aus. Heinz Gerd lachte auf, wurde aber schnell wieder ernst, als er das Wasser auf den Armaturen bemerkte.
„Pass mal 'n bisschen auf, Junge“, schimpfte er und begann, die Tropfen mit einem zerknüllten Taschentuch wegzuwischen.
Das Gesicht im Spiegel war das einer Asiatin, was zunächst Maltes Eindruck bestärkte, statt in der Ulmen-Kaserne in einem dieser Nippon-Gruselschocker aufgewacht zu sein, in denen Frauen aus Fernsehern krochen und in Badewannen ertränkt wurden. Er atmete erleichtert aus, als er sich umdrehte und das Mädchen aus dem Spiegel tatsächlich in Fleisch und Blut dasaß und ihn unsicher anlächelte. Er reichte ihr die Hand und stellte sich vor.
„Yuko“, sagte sie.
„Das ist Yuko“, sagte Heinz Gerd. „Ist vor einer halben Stunde zugestiegen. Schinesin.“
„Yuko klingt eher japanisch.“
Heinz Gerd zuckte die Schultern. „Grönland, Venedig. Spricht kaum deutsch, hellsehen kann ich nicht. Und sie sieht ja nun mal wie 'ne Schinesin aus.“
„Inglisch?“, fragte Malte und Yuko nickte heftig. Er suchte ein paar Fetzen Schulenglisch zusammen, oh look, it is Peter. Yuko konnte sagen „Hier haben die Regierungen in Bund und Ländern versagt“, auch wenn es bei ihr ganz anders klang und sie nur ungefähr wusste, was es bedeutete. Sie hatte es im Spiegel gelesen und auswendig gelernt.
„Fährst du auch nach Berlin?“
Malte bejahte, Freunde besuchen. Viele Freunde in Berlin.
Yuko seufzte. Alle Freunde in Japan. Jedenfalls die, auf die es ankam.
„Und was machst du in Berlin?“, fragte Malte.
Vorspielen, für ein Stipendium.
„Vorspielen?“
Yukos Geste sah aus, als würde sie ihre Finger ausschütteln, vielleicht wegen eines Krampfes.
„Piano.“
Malte entfuhr ein anerkennendes Pfeifen.
„Du bist ziemlich gut?“, fragte er. Draußen wurde es langsam dunkel, aber trotzdem erkannte Malte, dass Yukos Wangen sich rot färbten.
„Viel geübt“, sagte sie. Nicht viel Zeit für Freunde, noch nie, immer … Sie schüttelte ihre Finger aus und seufzte.
„Und du? Studieren?“
„Ich glaube“, sagte Malte und Yuko lachte, obwohl das gar kein Witz gewesen war. Er sagte, er studiere Jura, weil er Menschen helfen wolle. Er könne sich sogar vorstellen, einmal eine Kanzlei zu gründen, die vorrangig Oddachlose vertritt. Das hatte er mal in einem John-Grisham-Roman gelesen, aber diese Information behielt er für sich. Yuko nickte beeindruckt.
Malte zerdrückte die Plastikflasche in seiner Hand. Um mit Yuko reden zu können, hatte er Zunge und Gaumen schmieren müssen.
„Kannst du bitte demnächst mal irgendwo anhalten?“
„Was? Schon wieder? Die Schinesin ist gerade erst eingestiegen.“
„Ich muss echt mal auf die Toilette.“
Heinz Gerd schnaubte und machte das Radio an. Matthias Reim. Ich liebe dich, verdammt. Gerade, als Malte sicher war, dass seine Blase platzen und der eigene warme Urin sich beißend in seinem Unterbauch verteilen würde, sah er ein Schild. Rasthof, mit Schlafmöglichkeiten, Messer und Gabel, Parplatz und WC. Fünf Kilometer.
„Halt da mal bitte an“, flehte Malte. Heinz Gerd sagte nichts. Sie fuhren einhundertundvierzig.
WC, drei Kilometer, einhundertundvierzig. Yuko aß etwas keksartiges, es roch jetzt, als stünde ein Teller mit frischem Gebäck in einem schlecht gepflegten Hundezwinger. „Nicht so 'n Krümelkram in meinem Auto“, sagte Heinz Gerd und zeigte auf Yukos Reflektion im Rückspiegel. „Wie bitte?“, fragte sie. In dieser täglich wohl hundertfach von ihr benutzten Frageformel schwang all die Frustration des Fremdseins mit: Sprechen Sie langsam, ich bin nicht von hier. Sprechen Sie so, als wäre ich doof.
„Du nix essen im Auto“, sagte Heinz Gerd. Er machte eine „mangiare“-Geste und schüttelte dabei den Kopf. „Jedenfalls nichts was so krümelt.“
WC, ein Kilometer, einhundertundvierzig. „Vergiss es bitte nicht, Heinz Gerd, es ist echt dringend.“
Fünfhundert Meter, einhundertvierzig.
„Wir müssen mal rüber auf die rechte Spur.“
Vierhundert Meter, einhundertvierzig.
„Heinz Gerd.“
Zweihundert, einhundert.
„Heinz Gerd!“
Einhundertvierzig.
Stille. Schmerzen. Malte schlug die Beine übereinander.
„Ich hab vor fünf Kilometern gesagt, dass ich auf Toilette muss!“, wimmerte er. „Vor fünf Kilometern!“
Heinz Gerd machte das Radio lauter.
„Super. Heinz Gerd, das ist kein Witz. Ich mache mir in die Hose.“
Heinz Gerd schmiss eine halbvolle Packung Rindfleischstreifen gegen die Windschutzscheibe, von der sie abprallte und Malte im Gesicht traf. Yuko schrie. Es klang wie das Quieken einer Maus.
„Verdammtnochmal!“ Heinz Gerd verlieh der zweiten Silbe mehr Druck, indem er aufs Armaturenbrett schlug. „Wann willst du in Berlin ankommen, nächste Woche?“
Im Radio verprachen sie einen sonnigen Samstag. Heinz Gerd: „Pf.“
Malte presste die Beine aufeinander.
„Mitfahren de eh“, nuschelte Heinz Gerd. „Ich dachte komm, fährste' nich' so alleine. Wer steigt ein? Die eine spricht kein deutsch, der andere kann's Wasser nicht halten.“ Er griff nach dem Handschuhfach. Offenbar verbot sein Stolz, Malte um Hilfe zu bitten. Er schloss es wieder, ohne etwas herausgenommen zu haben und sagte: „Scheiß drauf.“ Heinz Gerd zog die letzte verbogene Zigarette aus einem zerknitterten Päckchen Camel in seiner Hemdtasche. Yuko protestierte in einem Gemisch aus Deutsch, Englisch und ihrer Muttersprache. Sie wurde lauter, als Heinz Gerd den glühenden Anzünder zur Zigarette geführt hatte und der Rauch des ersten Zuges aus seinem Mund stieg. Heinz Gerd betrachtete sie nachdenklich im Rückspiegel.
„Tut mir leid, Mädchen, ich kann kein schinesisch.“
Malte veschränkte die Arme vor der Brust und starrte geradeaus.
„Sie sagt, du hast Nichtraucherauto angegeben. Mich stört's nicht, aber sie hat Recht.“
„Ich mach Fenster auf.“
Das elektrische Surren. Die Heftigkeit von Yukos Einspruch bremste es nicht. Als sie Heinz Gerd gegen die Schulter schlug, warf er die Zigarette aus dem Fenster. „Jetzt reicht's“, sagte er. „Auf dem nächsten Parkplatz kannst du pissen, und die Schinesin fliegt raus.“
„Was?“
„Ich hab gesagt, die Schinesin fliegt raus. Geld kann sie behalten. Ich hab auch meinen Stolz.“
„Heinz Gerd, wie sind am Arsch der Welt. Du kannst Yuko nicht einfach an irgendeinem Parkplatz aussetzen.“
Yuko horchte auf, als ihr Name fiel.
„Wie bitte?“
Ein weißes „P“ auf blauem Hintergrund, in tausend Metern. Diesmal drosselte Heinz Gerd artig die Geschwindigkeit.
„Heinz Gerd, mach keinen Ouatsch.“
„Musst du pissen oder nicht?“
Der Rastplatz bestand aus drei Picknicktischen mit jeweils zwei Sitzbänken, einem quadratischen Toilettenhäuschen und drei überfüllten Mülleimern. Was nicht mehr in die Eimer gepasst hatte, hatten die Besucher einfach davor und daneben gestellt. Eine Ratte, die sich über die Hinterlassenchaften hergemacht hatte, floh panisch aus dem Schweinwerferlicht des Geländewagens.
„Mach bitte echt keinen Scheiß“, sagte Malte und lief zu dem Würfel. Darin roch es, als hätten die Leute ihr Geschäft überall erledigt, nur nicht in die Schüsseln hinein. Das Pinkelbecken, in das Malte sich entleerte, zierte ein brauner Kotstreifen. Eine Verwechslung, versehentlich oder vorsätzlich, vielleicht ein besoffener Scherzkeks. Als es zu tröpfeln begann und dann mit dem Druck eines Feuerwehrschlauches aus ihm heraussprudelte, fühlte es sich an, als würde ein glühender Dolch aus seinem Unterleib gezogen. Malte stöhnte auf.
Die Erleichterung währte nur bis zu seiner Rückkehr. Er hörte Yuko bereits von Weitem protestieren, in ihrem Japano-Denglisch.
Heinz Gerd: „Mädchen, packst du mich noch einmal an, ist was los, ich sach es das letzte Mal!“
„Wie bitte?“
Der Kofferraum des Geländewagens stand offen, ein Rollkoffer lag zwischen ihr und Heinz Gerd. Aufkleber zierten das Gepäckstück, New York, Paris, Sankt Petersburg. Endstation Irgendwo. Malte fragte sich, ob sie schon im Osten waren. Eine einsame Schinesin. Überall Nazis.
„Heinz Gerd, bitte hör auf mit dem Scheiß.“
Heinz Gerd schlug den Kofferraum zu. Yuko sah hilfesuchend zu Malte.
„Wie bitte?“
„Steig ein oder bleib hier“, sagte Heinz Gerd zu Malte. Als er bei der Fahrertür war, machte Yuko den Kofferraum auf und stellte ihren Rollkoffer wieder hinein.
„Jetzt ist Zapfenstreich, Mädchen!“
In zwei Schritten war Heinz Gerd bei ihr und schleuderte den Koffer in Richtung der übervollen Mülleimer.
„Heinz Gerd, jetzt bleib doch locker, Mann!“, rief Malte. Heinz Gerd schmetterte den Kofferraum zu. Ein Schrei, der Kofferraum schloss nicht richtig. Yuko weinte, sie ging in die Knie und hielt mit der linken ihre rechte Hand, so als sei die kein Teil ihres Körpers. Heinz Gerd glotzte sie mit offenem Mund an.
„Ich hab Erste Hilfe“, stammelte er und verschwand mit dem Oberkörper im Kofferraum. Tüten mit leeren Flaschen flogen auf den Parkplatz, wie der Dreck zwischen den Beinen eines Hundes, der ein Loch gräbt.
Malte kniete sich zu Yuko und streichelte über ihren Rücken. „Ist bestimmt nicht so schlimm“, sagte er. Er pustete, auch wenn die hervorstehenden Knochen davon nicht zusammen wuchsen, ihm fiel keine andere Lösung ein.
„Ich hab Erste Hilfe“, rief Heinz Gerd aus dem Kofferraum, in dem er inzwischen ganz verschwunden war.
„Irgendwo hier, oder hat die blöde Sau den auch mitgenommen?“

 

Hallo Proof,

da kann ich mich ja gleich revanchieren.

Gierig sog er drei kräftige Züge ein und trat sie dann aus.
Bin ich drüber gestolpert, weil das "sie" sich für mich auf die drei Züge bezieht und nicht auf die Zigarette vorher.

Heinz Gerd

Heinz-Gerd

Müsstest du dich entscheiden.

„Du sieht ganz anders wie im Internet“, sagte Heinz Gerd.
Okay, der Typ redet komisch, aber er sagt bestimmt trotzdem "siehst".

er hielt sie einfach in den Wind und lies los.
ließ

und fuhr unter dem mächtigen Stern von Stuttgart, dem Insignum derer, die es zu etwas gebracht hatten.
Insignium

Einmal kamen sie zum Stehen und Malte hörte hupen.
"Hupen", glaub ich.

Der Konflikt ansich überraschte Malte nicht,
an sich

„Nur Spass“, versicherte Heinz Gerd.
Spaß

der eigene warme Urin sich beißend in seinem Unterbach verteilen würde, sah er ein Schild.
Unterbauch

Sie fuhren eindurtundvierzig.
einhundertundvierzig

Das Pinkelbecken, in das Malte sich entlerrte, zierte
entleerte

Das Ganze ist solide und in seiner Art gut gemacht, aber diese Art ist nicht so meins. Ich fand's nicht so locker zu lesen, ich habe oft Sachen doppelt gelesen, um sie zu verstehen, also ich hatte manchmal den Eindruck, dass du zuviel kürzt und einem dann so kleine Sachen fehlen. Ist aber nur mein persönliches Empfinden, vielleicht bin ich solchen Stil nur nicht so gewohnt.
Zum Plot: Fand ich im Prinzip gut. Da treffen mitfahrgelegenheitsmäßig verschiedene Charaktere aufeinander. Hat schon Spaß gemacht zu lesen. Ich weiß nur nicht so recht, ob du damit jetzt was Größeres aussagen willst. Das Ende fand ich sehr abrupt und eigentlich mittendrin.

Soweit meine Eindrücke, hoffe, du kannst damit was anfangen.

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hallo Proof,

mir hat die Story sehr gut gefallen, danke für's Reinstellen!
Scheint mir durchaus ein realer Erlebnisbericht zu sein, wenn nicht, dann hast Du es wirklich ausnehmend gut getroffen! Alle drei Charaktere sind wunderbar und erschöpfend gezeichnet, sowas kann ich persönlich meist nur, wenn ich die Typen auch mal wirklich getroffen habe.

es gab einige wirklich sehr nette Formulierungen:

Heinz Gerd zeigte darauf und sah Malte an, als wolle er ihn fragen, ob er halluziniere oder ob sein Beifahrer das Schild auch sehe.
Den Blick von Heinz-Gerd hab ich quasi vor'm inneren dabei Auge live gesehen, gut geschmunzelt. :)

Heinz Gerd winkte ab. „Sowas gucke ich ja nicht“, sagte er und schlug sich mit der Faust auf die Brust. In Anbetracht seines Körperbaus würde vermutlich in naher Zukunft ein Notarzt das Gleiche tun.
Finde ich sehr gut! Der Leser muss selber den Rückschluss zum "mit der Faust auf die Brust hauen" ziehen. So etwas macht gute Witze aus! Mein lautester Lacher im Text.

Heinz Gerd bot jemandem an, auszusteigen und rüberzukommen, das sei auch möglich, er sage es nur, du blöder Kackvogel.
Find ich super! Dieser Umsprung in das Du und in die direkte Rede ohne Anführungszeichen ist klasse! Wieder gelacht.

Grönland, Venedig. Spricht kaum deutsch, hellsehen kann ich nicht. Und sie sieht ja nun mal wie 'ne Schinesin aus.
Sinngemäß: "Grönland, Venedig, halt irgendwo in Schina"... ein echter Knaller! Ich glaube, sowas kann sich fast nicht ausdenken, sowas muss man mal gehört haben ;)

Eine kleine Kritik:
Die Story ist doch relativ lang, wenn auch sehr gut. Bei der Länge erwartet man jedoch meist, mit einer starken Pointe belohnt zu werden. Das Ende ist irgendwie recht abrupt, man hat das Gefühl, dass es gleich weitergehen müsste, oder eben gleich eine starke Pointe folgt.
Ich tippe mal: Du hättest auch noch 20 Seiten weiter schreiben können und wusstest einfach nicht, wie und wo Du jetzt am Besten die Story beendest.

Alles in Allem: Sehr schön, hat mir gut gefallen!

 

Hallo Proof!

Hat mir gefallen, deine Geschichte; lässt sich gut lesen und ist sehr realistisch.

Anfangs ein gegenseitiges Abtasten, ziemlich normal, dann merkt man bald, dass in Heinz-Gerd etwas brodelt, seine zerbrochene Ehe und die Entfremdung von seinem Sohn.
Ich habe allerdings den Eindruck, H.G. sieht beides mehr als schmähliche Niederlage, weniger als einen Verlust.
Die Stimmung kippt, als Malte darauf eingeht. („Kannst du eigentlich mal zwei Minuten die Schnauze halten?“)
Zum Schluss wird es spannend, als H.G. Yuko auf einem einsamen Parkplatz rausschmeißen will. Spätestens da merkt man, wie egal H.G. andere Menschen sind.
Das ändert sich, als er in seiner Wut Yuko verletzt. Da ist sie zu H.Gs menschlichen Kern durchgedrungen.
Ich meine, so betrachtet ist die Geschichte tatsächlich am richtigen Punkt zu Ende.

Na ja, kann sein, dass ich jetzt wieder etwas in einen Text hineinfantasiert habe, was der Autor gar nicht sagen wollte. Das passiert mir manchmal bei Geschichten, von denen ich keine Prämisse ableiten kann. Auch das Motiv ist mir hier nicht klar.
Aber dennoch, gern gelesen.


Lieben Gruß

Asterix

 
Zuletzt bearbeitet:

哈罗

Mauser:

Erstmal danke für die Frimelarbeit. Allerdings meinte ich tatsächlich "Spass" mit kurzem Vokal, wörtliche Rede, so klingt es mehr nach Heinz Gerd.

Ich weiß nur nicht so recht, ob du damit jetzt was Größeres aussagen willst.

So 1,80 Meter wollte ich. Nee, nur Spass. Kleine Geschichten erzählen, die machen das Leben aus. Wenn da durch einen Unfall "was Größeres" hinein interpretiert werden kann, schön, aber auch ganz schön wumpe. Mich interessieren Menschen, wie und warum sie so handeln, wie sie es tun. Mit Vorsatz "was Größeres" aussagen wollen geht glaube ich meistens in die Hose. Außer bei den besten Männern dieser Welt, aber die sind halt auch klüger wie wir alle.

Das Ende fand ich sehr abrupt und eigentlich mittendrin.

Das ursprüngliche Ende war sehr dick, sehr pathetisch, und zu deinem Kürzungsverdacht: Yukos Background hat anfangs ein Viertel der Story ausgemacht. Das hat mir beim Überarbeiten nicht mehr gefallen. Ich mag es so, wie es jetzt ist. Es ist alles gesagt.

Levian:

Scheint mir durchaus ein realer Erlebnisbericht zu sein, wenn nicht, dann hast Du es wirklich ausnehmend gut getroffen!

Liebstes Lob, das ich je eingesteckt habe. Plot, Charaktere und Dialoge sind tatsächlich komplett bei mir aus'n Gehirn rausgekommen. Dieses allzu stark Autobiographische gewöhnt man sich irgendwann ab. Was soll das auch, da kann ich ja gleich Tagebuch schreiben. Bevor mir jetzt die Pappbecher an den Kopf fliegen: Für wen es das ist, für den ist es das eben. Aber für mich halt nicht.

Inspiration war ein Zeitungsartikel über eine Gerichtsverhandlung wegen Körperverletzung, der stichpunktartig diese Geschichte zugrunde lag: Zum Teilen der Benzinkosten verabredet, Fahrer erweist sich im Laufe der stundenlangen Reise als fieser Choleriker, an einem Rastplatz eskaliert die Situation und es gibt was auf die Nase. Das hat in meiner Fantasie gezündet wie eine Silvesterrakete.

Bei der Länge erwartet man jedoch meist, mit einer starken Pointe belohnt zu werden.

Hatte ich nicht am Start, und mühselig was konstruieren ist doof. Es gibt ja eine Pointe, eine leise: Was bedeutet wohl eine kaputte Hand für Yuko?

Asterix:

Da ist sie zu H.Gs menschlichen Kern durchgedrungen.

Schön, dass das rüberkommt. Hatte schon befürchtet, Heinz Gerd wäre mir etwas zu arschig geraten.

Auch das Motiv ist mir hier nicht klar.

Ich wollte was erzählen. :)

Vielen Dank für Eure Kritiken!

问候

JC

 

Hi Proof,
ich weiß, ich bin Dein Fan und voreingenommen. Aber ich fand es großartig. Die Geschichte ist nicht zu lang, finde ich, bzw. wenn, dann auf gute Weise, sie könnte eigentlich gleich in einen Roman übergehen. Erst habe ich gedacht, der Alte hat die Leiche seiner Frau oder seines Hundes hinten im Kofferraum oder er futtert sie als Trockenfleisch, aber die Geschichte steht ja in Alltag. :) Obwohl sie ja auch ohne Leiche gern in Horror stehen könnte. Kann mir jedenfalls nichts Schlimmeres vorstellen, als diesen schrecklichen Typen von der Art, wie sie in Hundertschaften durch ganz Deutschland trampeln. Dann der Hundemief, das eklige Rindfleischzeug, wie er den armen Kerl nicht aufs Klo lässt und dann noch der Klavierspielerin die Finger zerhaut – immer wenn man dachte Gott, wie furchtbar, da kam noch eins hinterher ... Nee, Du machst das schon Klasse so!!

Sammamish

 

Hey Proof,

War echt gut zu lesen. Hat Spaß gemacht!

„Heinz Gerd, wie sind am Arsch der Welt
Was stimmt wir nicht? :D

Du siehst ganz anders wie im Internet
“, Du siehst ganz anders aus wie im Internet. Oder ist das absichtlich?

Heinz Gerd winkte ab. „Sowas gucke ich ja nicht“, sagte er und schlug sich mit der Faust auf die Brust. In Anbetracht seines Körperbaus würde vermutlich in naher Zukunft ein Notarzt das Gleiche tun
. Halte ich für eine erfrischende Art, ertwas über das Aussehen von Heinz Gerd zu sagen.

Ein Streifen Haut am Ringfinger war gebleicht.
„26 Jahre verheiratet gewesen“, sagte er. „Ist vorbei, von jetzt auf gleich. Darfst du nicht drüber nachdenken. Den Hund hat sie auch.“ Er fügte ein „Pf“ an, so als hätten sie das mit dem Hund im Radio durchgegeben.
schönes Beispiel für "show dont tell". Und jetzt frisst der Kerl das Hundefutter??

Heinz Gerds Geländewagen stank, war aber luxuriös ausgestattet und fuhr unter dem mächtigen Stern von Stuttgart, dem Insignium derer, die es zu etwas gebracht hatten. Gut getarnte Geschwindigkeit und trübe Gedanken. Gefahr. Die Frau musste raus aus den Köpfen.
„Vorgestern Schalke gesehen?“
Spitze!

„Du bist ziemlich gut?“,
Kann ich mir schwer als Frage vorstellen. Ich meine, von der Betonung.
„Lass liegen, sind ja eingepackt“, sagte Heinz Gerd und riss seinem Fahrgast gierig eine Dosis aus der Hand
Dosis ist für mich nicht das beste Wort für diese Stelle.

Der Fahrer stellte das Radio an. Nachrichen. Jede Meldung kommentierte er mit einem spöttischen Auspusten: „Pf.“ Drei Tote im Irak. „Pf.“ FDP: Reiche Leute, Leistungsträger. „Pf.“ Die Linke: Reiche Leute, alle Hitler. „Pf.“ Theaterstar tot, Sängerin schwanger, BVB, FC, zweinull. „Pf.“
find ich geil, weil sowas von echt!

Heinz Gerd räusperte sich und ging in einen falschen Husten über
Ist wahrscheinlich nciht falsch, aber ich denke dabei an den Husten als Symptom und nicht an die "Tätigkeit". Vielleicht in ein falsches Husten...

„Halt da mal bitte an“, flehte Malte. Heinz Gerd sagte nichts. Sie fuhren einhundertundvierzig.
WC, drei Kilometer, einhundertundvierzig. Yuko aß etwas keksartiges, es roch jetzt, als stünde ein Teller mit frischem Gebäck in einem schlecht gepflegten Hundezwinger. „Nicht so 'n Krümelkram in meinem Auto“, sagte Heinz Gerd und zeigte auf Yukos Reflektion im Rückspiegel. „Wie bitte?“, fragte sie. In dieser täglich wohl hundertfach von ihr benutzten Frageformel schwang all die Frustration des Fremdseins mit: Sprechen Sie langsam, ich bin nicht von hier. Sprechen Sie so, als wäre ich doof.
„Du nix essen im Auto“, sagte Heinz Gerd. Er machte eine „mangiare“-Geste und schüttelte dabei den Kopf. „Jedenfalls nichts was so krümelt.“
WC, ein Kilometer, einhundertundvierzig. „Vergiss es bitte nicht, Heinz Gerd, es ist echt dringend.“
Fünfhundert Meter, einhundertvierzig.
„Wir müssen mal rüber auf die rechte Spur.“
Vierhundert Meter, einhundertvierzig.
„Heinz Gerd.“
Zweihundert, einhundert.
„Heinz Gerd!“
Einhundertvierzig.
Stille. Schmerzen. Malte schlug die Beine übereinander.
„Ich hab vor fünf Kilometern gesagt, dass ich auf Toilette muss!“, wimmerte er. „Vor fünf Kilometern!“
Heinz Gerd machte das Radio lauter.
Da fühlt wohl jeder mit. Und man wird echt böse auf den Rindfleischmann

Tolle Geschichte mit super Charakteren. Ich mag auch Heinz Gerd.

Die arme Frau wird ihre Karriere wohl an den Nagel hängen müssen. Da übt man Jahrzehnte lang, verschwendet seine Kindheit und bumms zerbricht alles unter der Kofferraumklappe eines rindfleischfressenden Stinkbocks, der nicht alleine sein will, aber keine Gesellschaft aushält.

Finde es gut, dass das Ende so offen ist. Da geht der Film im Kopf weiter..


Gruß

Herrlollek

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo proof,

hat mir sehr gut gefallen. Die Geschichte macht das, was sie machen möchte, fehlerfrei, ist rund und sehr clever, ohne es raushängen zu lassen, das hat mir besonders gut gefallen, dass sie es dem Leser überlässt, das zu sehen, was dort passiert, und selbst der Erzähler vermutet es ja nur dumpf.
Hier ist jemand, dessen Leben außer Kontrolle geraten ist, und der nur Herr über diesen kleinen Raum ist, seine Fahrerkabine, und da ist er aber auch der Chef und duldet keine Widerworte.
Das Beifahrersein ist eine der wenigen Situationen, in der man eine Autorität einfach akzeptieren muss, auch wenn derjenige dafür völlig ungeeignet ist ... genau wie bei bei der Bundeswehr.
Allein daraus, dass Malte diesem Typen, dem er normalerweise aus dem Weg gehen würde, so ausgeliefert ist, gewinnt die Geschichte ihre Kraft. Ich finde das hast du fein ausgelotet, man sieht die "Macht" des Fahrers hier in so vielen Details, dass er das Radio bestimmt, dass er bestimmt, ob geredet wird oder nicht, dass er bestimmt, wer aussteigt und wann der andere pinkeln darf. Und aus dieser Autorität entsteht der Witz und die ganze Spannung dieser Geschichte.

Ich finde die Geschichte ist dir wirklich ausgezeichnet gelungen, ist wie jede wirklich lustige Geschichte im Kern sehr traurig
Kompliment
Quinn

P.S.: Mein Lieblingssatz ist der mit dem Spiegelzitat. Der ist derbe gut.

 

Hallo Proof,

Wirklich fein beobachtet und herrlich in Szene gesetzt. Das hat Spaß gemacht, dem Gespann auf der Autofahrt beizuwohnen. Als "Geist" beizuwohnen, denn dieses bedrohliche kommt sehr schön raus. Da will man auf keinen Fall wirklich an Bord sein, dem durchgeknallten Fahrer ausgeliefert sein. So lese ich das Stück auch, ein Text über das Ausgeliefertsein. Plötzlih, aus dem Nichts in den Fängen eines Deppen. Auch noch selbst verschuldet- aber wer hätte das denn ahnen... So wird die Geschichte vom Prot. Bestimmt später erzählt.
Hat mich entfernt an meine eigene mitfahrerfahrung erinnert. Ganz so krass war es nicht, aber ich wollte auch nur noch die Augen zumachn, um mich aus der Affäre zu schummeln.
Rund finde ich den Text allerdings nicht. Vielleicht ist das der Kniff für dich, dass hier eben keiner irgendwo ankommt, so wie das bi Fahrten eigentlich der Fall ist, ich empfand das als einen kleinen Betrug. Bzw fand ich das ein bisschen zu einfach vom Autor, den Leser jetzt hier rauszuwerfen. Da ist mir ZU viel offen, um entsprechende Freude an der eigenen Kopffahrt zu haben.
Schade, denn geschrieben ist die kg wunderbar, aber dieses abrupte Ende bremst das bissl aus.

Grüßlichst
Weltenläufer

 

Harlo,

sammamish:

Erst habe ich gedacht, der Alte hat die Leiche seiner Frau oder seines Hundes hinten im Kofferraum oder er futtert sie als Trockenfleisch

:idee:

Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

herrlollek:

Du siehst ganz anders aus wie im Internet. Oder ist das absichtlich?

Nee, ganz so eigen redet HG auch wieder nicht.

Kann ich mir schwer als Frage vorstellen. Ich meine, von der Betonung.

Die Konversation wird ja in nicht so hundertprozentigem Englisch geführt. Das ist vielleicht ein bisschen 1-zu-1-übersetzt gedacht, aber kann man mit der entsprechenden Intonation nicht alles als Frage formulieren?

Danke für den Tipp mit dem Husten. Röchel.

Quinn:

Das Beifahrersein ist eine der wenigen Situationen, in der man eine Autorität einfach akzeptieren muss, auch wenn derjenige dafür völlig ungeeignet ist ... genau wie bei bei der Bundeswehr.

Coole Interpretation, auch wenn ich beim Schreiben definitiv nicht so weit gedacht habe. Oder zumindest nicht bewusst.

ist wie jede wirklich lustige Geschichte im Kern sehr traurig

Ja, so mag ich's am liebsten.

weltenläufer:

Da ist mir ZU viel offen

Sorry, aber es gilt ja leider, wie man's macht, es ist falsch. Wo's für den einen genau richtig ist, fühlt der andere sich schon bevormundet und dem nächsten wird viel zu wenig erklärt. Wenigstens konntest du der Schreibe was abgewinnen.

Vielen Dank denn für alles, ihr vier mit dem Kontrabass!

Grüße
JC

 

Hey Proof,

die zweite Geschichte, die ich von Dir lese und sie gefällt mir wieder! Sehr, sehr gut geschrieben, ich schätze es immer mehr, wenn sich ein Text so flüssig liest.
Als altes MFZ-Opfer finde ich die Idee natürlich hervorragend. Es ist unfassbar, auf was für Freaks man da so trifft. Oder Langweiler. Oder manchmal, selten, wahnsinnig tolle Menschen.

Hab mich kaputt gelacht, alles super, und dann plötzlich das abrupte, üble Ende. Da bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Nehme an, das war beabsichtigt.

Ist das dein einzigstes Gepäck?“
einzigstes gibt es nicht, aber denke du hast das absichtlich drin, um die einfachere Gestricktheit des Fahrers zu zeigen

„Ich werde mich ich 'ne Runde aufs Ohr hauen, war spät gestern.“

zweites ich raus

Der Konflikt ansich

an sich


Hat mir Spaß gemacht! Und dann noch ein wenig traurig gemacht..
– T.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Proof,

eine wirklich sehr gelungene Geschichte, besonders was die Charakterisierung deiner Hauptfigur betrifft. Auch die leicht bedrohliche Grundstimmung und der trocken-humorvolle Stil harmonieren ausgezeichnet miteinander.

Der abrupte Schluss ist Geschmacksache. In der Regel erwartet man am Ende einer Geschichte einen erkennbaren Abschluss. Ich aber bin bei manchen Stories auch ein Freund von einem "Open End", wenn meiner Fantasie genügend "Buntstifte" hinterlassen werden, mir selbst noch ein paar Schlussvarianten auszumalen.

Die bietet deine Story allemal.

Deine Art, Geschichten zu schreiben und Charaktere zu entwickeln, kommt der Erwartungshaltung, die ich an Geschichten und deren Figuren habe, sehr nahe - daraus entsteht dann ein angenehmes und höchst unterhaltsames Lesevergnügen. Und das führt dann zu der Erkenntnis, mit der ich meine Kritik einleitete.

Rick

 
Zuletzt bearbeitet:

Jo,

T Anin:

denke du hast das absichtlich drin, um die einfachere Gestricktheit des Fahrers zu zeigen

So isett, Anton.

Hat mir Spaß gemacht!

Sehr gut.

Rick:

Der abrupte Schluss ist Geschmacksache.

Außerdem finde ich den gar nicht so abrupt. Es gibt immer eine Vorgeschichte und es geht immer weiter. Irgendwie. Ich denke, der Eindruck entsteht eher dadurch, dass Schinesisch mit wörtlicher Rede endet. Aber ich komme mir ein bisschen vor wie Gordie in Stand by me.

"Und? Was ist dann passiert?"
"Wie meinst du das, was ist dann passiert?"
"Wie geht es weiter?"
"Keine Ahnung. Die Geschichte ist an der Stelle zu Ende."
"Was? Das ist doch blöd!"

Vielen Dank für Fehlersuche, Kommentare und den ganzen Fisch!


In diesem
JC

 

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