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Schluck Absolut
Schluck Absolut
Alles begann mit einem lauten Knall. Ein Reifen platzte, ein Wagen geriet aus der Bahn, woraufhin Straße und Leitplanke ihn schnell zum Halten brachten. Der Insasse überlebte diesen Unfall zwar nicht, jedoch entschwand er dieser Welt nicht ganz. Vielmehr wurde er zu einem Teil von Dr. Alexander Warendorfs Experiment, der schon den ganzen Nachmittag auf einen solchen Unfall gewartet hatte. Gottfroh war er, als er seinen Patienten untersuchte. Nur wenig Schaden am Gehirn und doch tot genug, um ihn von Gewissensbissen zu befreien.
Der kleine Timmy ließ sein Glück fallen und brach daraufhin in Tränen aus. Untröstlich war er, voll Wut auf die Grausamkeit der Welt, entsetzt ob des Verlustes, welcher nie wieder gut zu machen schien. Wärmende Worte und eine sanfte Hand kamen von oben herab, Münzen kullerten über den Ladentisch und Timmy erhielt ein neues Eis. Die Tragödie formte Komödie, als Timmy auch dieses fallen ließ, diesmal aber mit hoher Stimme lachte und lustige Figuren auf den Boden zeichnete.
Groß war die Aufregung, als die Spähameise berichtete: Gewaltige Massen Eiscreme habe man gefunden, nicht weit von hier. Die Gletschermassen seien aber schon im Schmelzen begriffen. Schnell müsse man handeln. Das Militär sah seine Stunde gekommen, und schon bald erhoben sich die Flugameisen in die Lüfte. Das Säuseln übergehend, der Nordstaat könne ebenfalls Truppen entsenden, folgte die Infanterie. Man würde dann keine Gefangenen machen, donnerte es.
Eine grünliche viskose Flüssigkeit umgab das Gehirn, und Dr. Warendorf grinste in Erwartung. Wenn es eine Weltseele gab, so würde er sie finden. Was für ein heiliges Werkzeug hatte er geschmiedet. Und im Zentrum ein Gehirn. Empfänger der absoluten Wirklichkeit. Schere aller Relativität. Wahrheit destilliert und in Flaschen gegossen. Das Brummen der Kühlaggregate hemmte die Euphorie und schuf Platz für die Aufmerksamkeit, die die Geräte verlangten. Das System begann zu arbeiten. Kaum spektakulär. Die vielen Statusanzeigen blinkten ignorant im Angesicht des großen Augenblicks.
Die Schlacht war in vollem Gange. Ein letztes Aufgebot der königlichen Garde warf sich noch einmal gegen die Überzahl der Feinde. Die Ameisen des Nordstaates hatten schon lange vor ihnen die Eiscremegletscher entdeckt und einen Hinterhalt gelegt, aus dem es kein Entkommen gab.
Josef Kleintal (eigentlich nur ein Teil von ihm) blickte ins Alles. Er fokussierte ein wenig und entdeckte die Ameisenschlacht. Ein ganzes Volk im Untergehen begriffen. Der Blick währte nur kurz. Die Finsternis - schon mehr als Nichts - war schnell zurück.
Warendorf sonnte sich in Zufriedenheit. Er schaute auf das Glas, welches das Experiment gefüllt hatte. Das Nebeneinander schwappte gegen die gläsernen Wände. Der Querschnitt aller Perspektiven blubberte gemächlich vor sich hin. Verlockend starrte ihn das blutrote Absolut an. Warendorf trank einen großen Schluck Wahrheit und erstickte.
Etwas verärgert ermahnte Timmys Mutter ihren Sohn, nahm den Asphalt und warf ihn in die Mülltonne.