Schnäppchenwahn
Schnäppchenwahn
Wir alle kennen das. Die Frage nach dem „Was wir morgen sein?“ Vielleicht überkommt uns eine Invasion großer grüner Außerirdischer, die unsere Erde zerstören, oder ein Vulkanausbruch, wahlweise ein Erdbeben oder ein Schwarm hyperaktiver Heuschrecken machen ein weiteres Überleben auf Mutter Erde unmöglich.
Die Konsequenz: Die Rasse Mensch lebte lange genug auf diesem Planeten, wird folglich ausgelöscht, oder Person X schafft Unwahrscheinlicherweise einen Neuanfang auf dem Planeten seiner Wahl.
Soweit das Szenario.
Was tun also, um sich auf das bevorstehende Ende vorzubereiten, das unausweichlich scheint?
Richtig… Das Leben genießen, sein Geld für Dinge ausgeben, die der Mensch gar nicht braucht und zufrieden vor sich hin leben. Doch was, wenn diese schrecklichen Begebenheiten nicht heute, sondern erst in 100 oder 200 Jahren eintreten?
Dann ist Person X, nennen wir sie mal Herrn Maier, pleite und kann auch sein restliches Leben nicht mehr genießen, dank Hartz IV und ähnlichen Reformen, je nachdem wie schlimm es ihn gerade trifft.
Eine geradezu einfache, erschwingliche, perfekte und geniale Lösung muss her. Und sie dominiert bereits den Markt: Das Schnäppchen. Immer aufzufinden im Billigdiscounter des Vertrauens, und garantiert immer zu Billigdiscounterpreisen.
Der geneigte Leser ist nun beliebt, sich folgende Begebenheit vorzustellen:
Um korrekt vorzugehen, beginnen wir mal früh am Morgen. Herr Maier (bleiben wir mal bei diesem Namen, natürlich könnte es sich hierbei auch um jede andere Person handeln) sitzt bei einem ausgiebigem Frühstück, die Zeitung aufgeschlagen.
Im Vergleich zu früher ist diese auf dreifache Dicke angeschwollen, nicht etwa wegen der vielen neuerlichen Verbrechen, die in letzter Zeit immer mehr zunehmen oder weil die Artikel einfach länger werden, nein, es liegt an den Werbebeilagen, die sich mehr und mehr mehren, einfach nicht mehr wegzudenken sind. Herr Maier verbringt eine halbe Stunde damit, Preise zu vergleichen und macht sich um halb neun, immer noch früh genug, auf zum nächsten heimischen Supermarkt, denn „er ist ja nicht blöd“ und „geiz ist ja schließlich auch geil“.
Je näher er sich dem Stadtzentrum nähert, umso mehr steigert sich der Verkehr. Mathematiker könnten hier vielleicht eine umgekehrt proportionale Beziehung zwischen noch zurückzulegendem Weg und zunehmenden Verkehr feststellen, doch dies scheint relativ normal, wenn man sich überlegt, was für tolle und nützliche Dinge doch ganz in der Nähe zu erstehen sind.
Einen Parkplatz zu finden stellt sich als ziemliches Problem heraus, doch Punkt neun steht er vor der Tür einer wohlbekannten Supermarktkette und reiht sich in die Schlange ein, die so groß scheint, wie die Bevölkerungsmasse Chinas. Kilometerweit vorne schlüpfen bereits die ersten Leute aus ihren Schlafsäcken, die Prügelei hinter sich ignorierend, in der sich einige bereits etwas älteren Herrschaften und den nächstgelegenen Platz an der Tür streiten.
In weiser Voraussicht verzichtet Herr Maier auf einen Einkaufwagen, zum Dank bekommt er auch gleich den der schon am frühen Morgen gestresst aussehenden Frau hinter ihm in die Hacken. Der große Zeiger der Uhr neigt sich der 10 zu und direkt vor der Tür werden sich die ersten Kämpfe und Rebellionen geliefert.
Endlich erscheint eine verängstigt schauende Verkäuferin mit einem großen Schlüssel der Tür, sie fragt sich wahrscheinlich, ob diese Leute tatsächlich alle in diesen kleinen Laden passen sollen. Schnell schließt sie auf, sie will keine Tote, nicht am frühen Morgen und stürzt dann zu ihrem halbwegs sicheren Platz an der Kasse, um nicht überrannt zu werden, denn schon ist die Menge im Laden, lässt nichts stehen und reißt sich um die besten und billigsten Schnäppchen, die angeblich alle um mindestens 10% reduziert wurden. Nur dem aufmerksamsten ist aufgefallen, dass eben diese Produkte in den letzten Wochen um mindestens 20% erhöht wurden, was einen Verlust um genau 10% ausmacht, doch wen interessiert’s?
Die Leute sind überglücklich und Herr Maier schnappt sich schnell eine Palette Katzenfutter (eine Katze wollte er sowieso immer schon haben), eine Tüte Brötchen von vorgestern, die steinhart aber günstig sind, eine Hose 3 Nummern zu klein (abnehmen wollte er auch!) und einigen kleinen Schnickschnack, den er bis zu seinem Lebensende wahrscheinlich weder brachen noch essen wird und stellt sich an die Kasse zu einem mehrstündigen Marathon aus Schimpf, Schande, Tratsch und Klatsch.
Außer einigen Vordränglern verläuft der Vormittag soweit ruhig und überglücklich verlässt Herr Maier um 11.30 Uhr den Supermarkt. Leider scheint es nahezu unmachbar, aus der Parklücke herauszukommen, doch mit all den Schnäppchen im Kofferraum ist das gerne in Kauf zu nehmen und einige Stunden später fällt Herr Maier zutiefst beglückt und befriedigt auf sein Sofa, um im Fernsehen die neuesten Schnäppchen anzusehen, er hat ja noch den ganzen Nachmittag Zeit für eventuelle, lebensnotwendige Einkäufe. „Es lebe billig!“ Und gibt es etwas Schöneres als die Jagd nach neuen Schnäppchen?