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Schokolade ist ´ne Fettigkeit
„Entschuldigung, ist hier noch frei?“ – „Nein, du fette Schlampe, geh und atme anderen die Luft weg“, dachte Jimmy, während er der jungen Frau freundlich zunickte. Umständlich legte sie ihre Tasche auf den Tisch, zog sich die veraltete Jeansjacke aus und legte sie behutsam über die Lehne. Während sich der kleine Hörsaal langsam füllte, musterte Jimmy seine Banknachbarin. Sie war anfang 20, ungewöhnlich groß und trug einen Kurzhaarschnitt, der sehr nach „Mutti hat´s gemacht“ aussah. Dazu eine No-Name-Hochwasserhose und billige Sandalen aus dem Supermarkt, aus denen grüne Socken leuchteten. Natürlich war da auch noch das Fett, das überall aus ihr herausquoll, wie zum Beispiel ihre Rettungsringe, die für eine ganze Fußballmannschaft gereicht hätten. Am widerlichsten fand Jimmy aber ihre Oberarme: Verlängerte Fleischschläuche des flachbrüstigen Oberkörpers, der von einem verwaschenem, ärmellosen Top bedeckt wurde. Als sie es schließlich schaffte, auf dem Stuhl Platz zunehmen, glaubte er sogar ein Knacken des Holzes zu hören.
„Hast du die Texte gelesen?“ Jimmy war über die erneute Frage erstaunt und hätte am liebsten geantwortet: „Mein Gott, kannst du bitte deine aufgedunsene Hackfresse aus meinem Gesichtsfeld schieben und sterben gehen?“ – Aber er sagte auch diesmal nichts, sondern schüttelte nur leicht mit dem Kopf, in der Hoffnung, dass sie den Small-Talk-Versuch nun aufgeben würde. Außerdem war er über den Schmuck verwundert, den sie trug. Lange, silberne Ohrringe und eine dünne, metallene Kette, an der ein Kreuz hing. „Warum Schmuck“, fragte er sich selbst. „Warum nur trägt sie bitte Schmuck? Wenn man ein Fass voll Scheiße rosa anstreicht, wird es doch dadurch auch nicht schöner!“ Dann kam Jimmy ein Verdacht: „Na klar, das ist eine von den Fetten, die auch noch selbstbewusst sind und immer dieses selbstgefällige Lächeln auf ihren Wurstlippen herumtragen!“ Das waren für ihn die Schlimmsten. Er hasste es, wenn sie schwer atmend die Treppen zu den oberen Unterrichtsräumen heraufkeuchten und mit verschwitzten, fettigen Haaren und einer viel zu lauten Stimme jedem einen „Guten Morgen“ wünschen mussten.
Der Dozent hatte bereits mit dem Vortrag über Sozialwissenschaften im orientalischen Raum begonnen, als sie sich plötzlich zu Jimmy hinüberlehnte und mit gedämpftem Ton zu ihm sprach: „Du bist wohl ein bisschen schüchtern, oder? Das brauchst du nicht, ich finde dich nämlich ganz süß.“ Kurz bevor sein Herzschlag einmal aussetzte und er vor Scham am liebsten in ein unendliches Loch gefallen wäre, rief jemand aus der hinteren Reihe: „Hey, könnt ihr beiden Öltanker euch nicht lieber einen Hamburger ins Maul stopfen und leise sein? Andere interessiert euer Walfisch-Balzverhalten nämlich nicht!“ Leises Gelächter und Stimmengemurmel unterstrichen die Bemerkung des Sportstudenten. Irgendwo klatschten sogar ein paar Leute.