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Schriftliche Gedanken
"Hallo Du!"
Oder muss es heißen "Hallo ich", wenn ich mir einen schönen guten Morgen wünschen möchte. Das tut nämlich sonst niemand und so habe ich beschlossen, mir damit in Zukunft selber eine Freude zu machen. Überhaupt möchte ich so einiges ändern. Ich werde auch ab heute ein Tagebuch führen. Das heißt, eigentlich werden es mehr gelegentlich schriftlich festgehaltene Gedanken sein. Für tägliche Eintragungen erlebe ich zu wenig. Die meisten Tage verbringe ich in einem dunklen Karton, fest und sicher verpackt zwischen anderen Dingen. Ich bin kein menschliches Wesen, ich bin ein Ding.
Ein kleines Ding. Aber ein sehr hübsches Ding. Ein wertvolles Ding. Ich bin eine kleine Porzellandose. Und natürlich von Meißen. Leider nicht aus dem Gründungsjahr 1710. Sonst wäre ich als kostbare Rarität und Antiquität in einer Ausstellung hinter Glas, dezent beleuchtet und vor Diebstahl gesichert. Nein, so alt bin ich noch nicht. Aber immerhin so gut 100 Jahre kann ich schon bieten. Das ersieht man aus dem Stempel am Unterboden. Während in der Anfangszeit von Meißen noch "Papierdrachen" und "Merkurstab" die Markenzeichen waren, finden sich auf meinem Boden die gekreuzten Schwerter in der schmalen Form wieder. Ich weiß nicht, mit welchem Preis mich mein jetziger Besitzer ausgezeichnet hat. Er dürfte nicht recht günstig sein, sonst hätte ich schon längst ein neues Zuhause gefunden. Und so gehöre ich immer noch zu der Ausstellungs- und Verkaufsware eines Antiquitätenhändlers. So bezeichnet er sich. Ich meine eher, er ist ein Trödler. Vielleicht Edeltrödler. Trödel mit ein paar edlen Stücken dazwischen. Ganz unbescheiden möchte ich sagen, dass ich, und mein unmittelbarer Nachbar – ein Lötz Glas -, sein Angebot ganz gewaltig bereichern. Vielleicht verlangt er deshalb so viel für mich, dass ich als Glanzstück lange bei ihm bleibe.
Bei der letzten Ausstellung, in einer Kulturhalle eines Vorortes von München hat sich eine Dame sehr für mich interessiert. Deutlich sah ich jedoch, dass ihre Hände, die fest eine ältliche Handtasche umschlossen hielten, zusammenzuckten, als sie den Preis für mich hörte. Sie hat dann auch gar nicht versucht zu handeln, und ging weiter. Später kam sie noch einmal vorbei, blieb kurz stehen und war einen sehnsüchtigen Blick auf mich. Bei ihr hätte ich es bestimmt gut gehabt. Sie hätte mich an einem schönen Platz gestellt, geliebt und gepflegt und die dunklen Tage im Karton wären für alle Zeiten vorbei. Natürlich wäre zu bedenken, dass es mir hätte passieren können, mich mit der Nachbarschaft von weniger edlen Dingen abfinden zu müssen. Womöglich hätte ich Platz gefunden neben Nippes aus neuerer Zeit. Vielleicht sogar von Tchibo oder Eduscho. – Ein grauenhafter Gedanke“.
Gut, dass ich selber nicht über meine Zukunft entscheiden kann. Ich wüsste wirklich nicht, was ich tun sollte. Mit uns schönen, edlen Dingen ist es nicht mehr so, wie noch vor wenigen Jahren. Da hatten die Leute genug Geld, um sich schöne, wenn auch unnütze Dinge zu leisten, und sich ihr Lebensumfeld zu verschönern. Heute steht irgendwie das Wort Rezession im Raum. Ich kleines, schönes Ding weiß nicht einmal genau was das bedeutet, aber es klingt irgendwie nicht fröhlich. Eher unheilvoll. Vielleicht liegt es an diesem Wort, dass bei Ausstellungen auf allen Tischen, soweit ich es verfolgen kann, die edlen, teuren Stücke immer länger auf einen Käufer warten. Ich befürchte noch viele, dunkle Kartontage.
Vielleicht kommt ja die interessierte Dame in einer Ausstellung wieder, tauscht mich gegen ihren nächsten Urlaub ein, und nimmt mich doch noch mit. An mir hätte sie bestimmt Zeit ihres Lebens Freude. Solange sie mich nicht fallen lässt!
Ich denke für heue habe ich genug Gedanken aufgeschrieben. Es ist spät und ich wünsche mir eine angenehme Ruhe.
„Gute Nacht Du – oder gute Nacht Ich?“