Mitglied
- Beitritt
- 27.09.2005
- Beiträge
- 12
Schritt für Schritt
Einsam geht sie durch den Park spazieren. Es ist ein wunderschöner Tag Ende März. Die Sonne zaubert glitzernde Reflexe auf den See, der den Mittelpunkt des Parks bildet. Die ersten grünen Blätter wehen im Wind. Noch wirken sie zart und zerbrechlich, aber bald schon werden sie sich gegen Regen und Sturm zur Wehr setzen können. Aus dem Boden recken die ersten Blumen vorsichtig ihre Köpfe, neugierig, unsicher. Doch auch sie werden in Kürze voller Stolz ihre ganze Herrlichkeit zur Schau stellen. Sie bleibt stehen und beobachtet eine Entenfamilie, die einen ersten Ausflug zu machen scheint. Noch muss die Mutter immer wieder einem der Kleinen die richtige Richtung weisen, doch auch dies wird in wenigen Wochen nicht mehr nötig sein. Ein Lächeln liegt auf ihrem Gesicht. Sie läuft weiter, alleine, ohne etwas bestimmtes zu denken. Sie fühlt sich frei. In einiger Entfernung sieht sie eine junge Mutter mit ihrem Kind. Auf wackligen Beinchen läuft es neben dem Kinderwagen her und fällt rücklings auf den Po. Schnell eilt ihm die Mutter zur Hilfe, welche dieses Dankend annimmt, um sofort die nächste Bekanntschaft mit dem Boden zu machen. Sie muss daran denken, wie oft dieses Kind in seinem Leben wohl noch hinfallen wird. Doch irgendwann wird es sicher im Leben stehen und sich nicht wegen jeder Unebenheit aus der Bahn werfen lassen. Das Lächeln auf ihrem Gesicht weicht keine Sekunde. Das Gefühl von Freiheit wird immer stärker. Sie fühlt sich gut, so gut wie schon lange nicht mehr. Anfangs dachte sie, dass sie das alles nicht packt, dass sie zu schwach ist, dass sie nicht alleine sein kann. Doch jetzt, wo sie sich zu dieser Entscheidung durchgerungen hat, ist sie erleichtert. Sie genießt jeden Sonnenstrahl, der auf ihr Gesicht fällt, jeden Lichtpunkt, der vom See reflektiert wird, jedes Blatt, das sich sanft im Wind wiegt, jeden einzelnen Schritt, den sie tut. Es sind vorsichtige Schritte, die ab und an noch unsicher wirken. Doch sie genießt es, genießt jeden Augenblick ihres neuen Lebens, nimmt jeden Moment intensiv wahr. Sie läuft an das Ufer des Sees. Die Entenfamilie ist nicht mehr zu sehen. Die Sonne spiegelt sich in ihm und lässt seine Strahlen auf ihm tanzen. Sie fühlt sich unendlich leicht und frei. Sie weiß, dass sie es schaffen wird. Sie weiß es. Sie ist stark. Ein kühler Windstoß streift ihr Gesicht und lässt sie erschaudern. Schnell zieht sie ihre Jacke fest zu und weiß, dass sie diese in wenigen Wochen nicht mehr brauchen wird. Zufrieden blickt sie über den See, bevor sie sich ihm abwendet und langsam einen Fuß vor den anderen setzt, Schritt für Schritt genießt. Schritte in ein neues, eigenes Leben.