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Schulsport

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25.08.2007
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Schulsport

Dieses Mal besorgten sie es mir richtig. Es ging satt über das übliche Hänseln, Drohen, Beleidigen, Auslachen, Treten, Knuffen, Puffen und Zwicken hinaus. Sie hatten mir zu zweit auf dem Heimweg nach der Schule aufgelauert, mich in eine Einfahrt gedrängt und sofort losgelegt. Beide waren sie allein schon stärker als ich, mit die Stärksten in meiner Klasse, ich war bloß ein dicker dummer kleiner neunjähriger Pisser, und im Duett machten sie es wirklich besonders gut. So gut, dass sie mich im Handumdrehen am Heulen hatten. Und nicht nur das: „Was wollt ihr denn von mir? Ich hab euch doch nichts getan. Hört auf. Bitte!“, schluchzte ich bald. Und meinte tatsächlich, sie würden vielleicht darauf eingehen. Nun, wie schon erwähnt, ich war eben noch jung, wirklich jung. Die beiden lachten über mein Gebettel und nannten mich eine Heulsuse, ansonsten aber hielten sie sich nicht länger als notwendig damit auf und konzentrierten sich auf das Zuhauen.

Sie hatten mich einige Zeit lang bearbeitet, da hörte ich plötzlich, durch mein ungehörtes Flennen und Jammern hindurch, einen der Typen „Scheiße!“ rufen. Unmittelbar darauf ließen die beiden von mir ab und liefen davon; die Einfahrt raus, die Straße runter. Und auf einmal standen zwei andere Burschen vor mir. Große Burschen. Sie waren bestimmt schon zwölf Jahre alt. Sicher Fünftklässler. Wenn nicht gar Sechstklässler. Riesen.

„Haben die dich gerade gehauen?“, fragte einer der beiden. „J-ja ...“, winselte ich zurück. Kaum, dass ich das gesagt hatte, rannten die zwei meinen Besorgern hinterher, die allmählich schon das Ende der Sichtweite erreichten. „Die schnappen wir uns!“, rief einer der Riesen dabei laut.

Ich wusste nicht, wo diese Großen herkamen und schon gar nicht, warum sie taten, was sie taten. Ich wusste nicht einmal, wer sie waren. Ich weiß es bis heute nicht. Ich hatte sie zuvor nie gesehen, ich sollte sie nachher nie wieder sehen. Aber ich dachte nicht darüber nach, während ich ihnen durch meinen Tränenschleier beim Nachrennen zusah. Ich dachte nur eins: „Kriegt sie. Kriegt sie! Und dann schlagt sie tot. Bitte, schlagt sie tot!“

Ein paar Stunden später stand nachmittäglicher Sportunterricht auf dem Stundenplan. Meine blauen Flecken taten mir weh, aber ich ging trotzdem hin. Was blieb mir auch groß anderes über, ohne zur scheiß Petze zu werden? Nur lügen. Und lügen war schlecht, schlimm, böse, grässlich. Es war etwas, dass man nie, nie, niemals tun durfte. Es war eine Sünde. Ich hatte im Religionsunterricht aufgepasst. Ich passte dort immer auf. Ich wollte schließlich in den Himmel kommen.

Kaum, dass ich die Eingangstüre der alten, dreckigen Dorfturnhalle geöffnet hatte, sah ich die Visagen meiner zwei Klassenkameraden, die bis zum abrupten Finale so viel Spaß mit mir gehabt hatten. Sie lebten also noch. Sie hatten bereits ihre teuren Sportoutfits an und schienen schon sehnsüchtig auf mich gewartet zu haben. Auf jeden Fall kamen sie sofort mit fiesen Mienen auf mich zu. „He, du Arsch! Die zwei Großen da, die uns nach sind, von denen hab ich jetzt ‘ne Beule am Kopf!“, meinte der eine. „Du Feigling! Brauchst Große zur Hilfe, hä? Mich ham sie in ‘n Dreck geschmissen!“, übernahm der andere. „Meine Klamotten waren voll versaut. Hab ‘n Riesenärger mit meiner Mutter bekommen deswegen.“ „Das kriegst du zurück!“, war nun wieder der eine an der Reihe. „Verlass dich drauf. Das zahlen wir dir heim!“ Dann verpasste er mir einen doch recht anständigen Rempler, beide gaben sie mir noch einen ganz besonders wütenden Blick, und dann machten sie sich auf in die Halle, um nun dort auf mich zu warten.

Es war mir sonnenklar, dass sie es ernst meinten. Todernst. Dass sie es mir noch einmal gut besorgen würden. Entweder gleich während der Sportstunde, wenn der alte Lehrer mal wieder nichts sehen würde. Oder halt eben später, draußen. Auf jeden Fall irgendwann.

Aber es machte mir nichts aus. Irgendwie machte es mir nicht das Geringste aus. Irgendwie fühlte ich mich plötzlich befreit, gelöst. Zufrieden. Innerlich lachte ich gar, etwas.

Ich ging in die Umkleidekabine, und währenddessen hörte ich auf einmal Glockengeläut von der nahe gelegenen Kirche herüber ziehen. Was für einen stinknormalen Nachmittag einer stinknormalen Woche schon irgendwie ungewöhnlich war. Damals dachte ich zwar nicht darüber nach, doch heute, im Rückblick, halte ich es für ein Zeichen. Oder zumindest für irgendetwas in diese Richtung. Denn es war schließlich damals. Damals, als die Welt noch in Ordnung war.

 

Hallo Hardcore,

den Titel finde ich irritierend, denn die Sportstunde hat ja irgendwie gar nichts mit dem Wesen der Geschichte zu tun. Andererseits kann man es natürlich als den Schulsport der Besorger betrachten, den Erzähler zu verprügeln.
Ich mag solche Coming of Age Geschichten, insofern mochte ich auch deine. Ob dazu sprachlich der häufige Gebrauch substantivierter Verben nötig ist, ist Geschmacksache, auf alle Fälle passt er und charakterisiert deinen Prot.
Der macht die Erfahrung, ihm wird geholfen, eine für ihn neue Erfahrung, die er sich auch durch die spätere Androhung der Rache nicht madig machen lässt, selbst als darauf herumgetrampelt wird.
Den Schlusssatz finde ich ein bisschen plump, andererseits reizt er zu Widerspruch, denn was die beiden Neunjährigen tun, geht ja über die Rangelei von Jungen, die im Nachhinein als "Welt noch in Ordnung" gesehen wird, schon hinaus. Abgesehen davon stört mich aber diese Generationenklage eh immer. Außerdem ist sie falsch. Dinge wiederholen sich. Was zu meiner Zeit die bösen Rocker waren, waren zu deiner die bösen Punks, zu der meiner Eltern die bösen Halbstarken.
Aber zu viel der Kritik, schließlich hat mir die Geschichte ja gefallen. ;)

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi sim,

so schnell und dann noch um diese Uhrzeit einen Kommentar - hätte ich nicht erwartet. Freut mich natürlich, dass dir die Story gefallen hat.

Noch was zu zwei Anmerkungen von dir:

den Titel finde ich irritierend, denn die Sportstunde hat ja irgendwie gar nichts mit dem Wesen der Geschichte zu tun. Andererseits kann man es natürlich als den Schulsport der Besorger betrachten, den Erzähler zu verprügeln.

Es darf auch ruhig genau so betrachtet werden.

Den Schlusssatz finde ich ein bisschen plump, andererseits reizt er zu Widerspruch, denn was die beiden Neunjährigen tun, geht ja über die Rangelei von Jungen, die im Nachhinein als "Welt noch in Ordnung" gesehen wird, schon hinaus. Abgesehen davon stört mich aber diese Generationenklage eh immer. Außerdem ist sie falsch.

Auch mich nervt dieses "Früher war alles besser"-Gerede. Früher - was auch immer man darunter überhaupt versteht - waren die Dinge (teils) anders, aber besser? Und der Schluss darf, gerade im Kontext der Geschichte und hinsichtlich ihres Inhalts, als Kommentar dazu verstanden werden.

Schönen Gruß (und gute Nacht ;),
Hardcore13

 

Hi noch mal, Mingus,

klar kannst du natürlich deine Meinung zur Sprache der Story haben und die hier auch äußern, um so etwas geht's hier (u.a.) schließlich.

Nur, es handelt sich hier ja um den Rückblick eines Mannes - vielleicht sogar um den eines alkoholkranken, dirty old man ;) - auf ein weniger schönes Ereignis in seiner Kindheit. Die Geschichte ist in keiner Passage aus der Sicht des Buben, dem diese Geschichte zustößt, geschrieben, sondern durchgehend aus der retrospektiven Perspektive des Ich-Erzählers. Insofern ...

Ansonsten:

scheiss auf die superhelden und völlig überzogenen, an hollywood angelehnten geschichten.

:thumbsup: Gerne doch. Und gerne auch weiterhin.

der stil, kurz und prägnant ist toll

Schönen Dank. Und wenn ich Zeit hab, werd ich mir ein paar von deinen Storys durchlesen.

Grüße,
Hardcore13

 

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