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Schwarze Kreise

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10.02.2009
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Schwarze Kreise

Gerne wäre ich im Krankenhaus. An all verpassten Möglichkeiten wäre nicht ich, sondern meine Krankheit schuld. Ich langweilte mich völlig zurecht, müsste keine Initiative ergreifen und niemand erwartete gute Laune von mir. Mir selbst könnte ich nicht helfen, darf mich aber darauf verlassen, dass es andere tun. Der Schmerz übertönte alles Leid und alle sehen ein, dass es mit schlecht geht. Oder eine Beerdigung wäre nett. Als einmal ein Verwandter von mir durch einen Unfall starb, habe ich mich sehr wohl unter den Trauernden gefühlt. Meine Mutter weinte und ich hatte sie sehr gerne in ihrem Schmerz. Ich hätte sie gerne trösten wollen, wenn ich gekonnt hätte und diese Ohnmacht erfüllte mich mit süßer Sehnsucht. Andere standen betroffen daneben, eingehüllt in ernsthaftes, tapferes Schweigen und ich unter ihnen fühlte mich erhaben über der Kleinlichkeit der Welt angesichts der Endgültigkeit und unbedingten Wichtigkeit des Anlasses unserer Zusammenkunft. In meiner Vorstellung verschmolzen wir alle in einer Umarmung, unter der Flut befreiender Tränen über das unsagbare Leid und über das Glück uns gefunden zu haben.

„Bist du schon müde?“

Ich schüttele den Kopf.

„Langweilst du dich?“

Als ob ich es zugeben würde. Leider bin ich weder im Krankenhaus, noch auf einer Beerdigung, sondern in heiterer Gesellschaft. Ich gehe schon wieder auf die Toilette, nicht weil ich müsste, sondern um für eine kurze Zeit entfliehen zu können. Ich freue mich jetzt schon auf die kühle Nachtluft und den einsamen Heimweg durch leere Straßen. Doch es gilt noch eine Weile zu überbrücken, es wäre zu eindeutig, wenn ich mich jetzt schon verabschiedete und wenn ich einen Grund vortäuschen wollte, würde mir von allen Seiten Aufmerksamkeit zuteil, für die ich gerade nichts übrig hätte. Es fällt mir immer schwer mich aus einer Gesellschaft zu lösen, ich ziehe es vor, wenn sich erst die anderen nach und nach zurückziehen. Vor dem Spiegel lockere ich meine Gesichtszüge und probe ein Lächeln, das nicht zu heiter, aber auch nicht zurückweisend sein darf. Am besten sollte es irgendwie geheimnisvoll wirken, damit sich mein einfallsloses Schweigen durch Tiefgang rechtfertigt. Ich ziehe die Spülung und lausche was bei den anderen vor sich geht und höre nichts. Ich bin schon zu lange weg. Als ich eintrete, platze ich in eine dieser gefürchteten Gesprächspausen, wenn auf einmal alle nach den Zigaretten greifen und die Wand mit Blicken abtasten. Schon stürzt sich die besorgte Gastgeberin auf mich.

„Was hast du denn so lange gemacht? Wir dachten schon, du wärst ins Klo gefallen.“

Dazu fällt mir natürlich auch nichts ein. Dazu gibt es einfach nichts zu sagen. Es wird allen Wein nachgeschenkt, während die Unterhaltung über irgendeinen Film, den ich nicht gesehen habe und nicht sehen will, schleppend wieder in Gang kommt. Die Sessel sind sind so, dass man entweder ganz darin versinkt oder sich um eine unnatürlich gerade Haltung bemühen müsste. Ich trinke schnell, weil das wenigstens etwas ist und mein leeres Glas ist bald wieder voll. Mittlerweile greife ich selbst zur Flasche, man will sich ja nicht immer bedienen lassen. Da richtet man das Wort an mich.

„Meinst du nicht, du hast langsam genug? Ich will dich nicht nach Hause bringen müssen!“

Ein hartes Wort seitens der Gastgeberin und ich habe zu lange nichts gesagt, um mich noch aus meiner Zuschauerrolle reißen zu können und zu antworten. Aus Verlegenheit nehme ich noch einen Schluck und versuche ein Lachen. Ich frage mich wie das geklungen hat. Endlich macht man sich daran aufzubrechen. So etwas dauert ja meistens länger, deshalb bleibe ich noch sitzen, sonst steht man so herum. Die Gastgeberin räumt bereits vor mir zusammen, umständlich erhebe ich mich auch aus dem Sessel, der mich schon fast verschlungen hatte, und da passiert es. Irgendwie muss ich an ein Glas gekmmen sein und es zerbricht klirrend auf dem Boden. Ich schaue ausdruckslos, weil mir kein Ausdruck einfällt, spüre die vorwurfsvollen, mitleidigen Blicke auf mir lasten und merke, dass ich kaum noch stehen kann. Man bringt mich nach Hause. Ich schwanke durch die Straßen, wäre so gerne mit mir allein, allen Blicken entzogen, und versuche das meinem Begleiter lallend zu verstehen zu geben. Doch die Fürsorglichkeit bleibt unerbittlich.

Endlich zu Hause putze ich mir die Zähne, so heftig, dass Zahnpastaflecken sich überallhin verspritzen. Dabei versuche ich mein Spiegelbild, das mittlerweile weiß gesprenkelt ist, mit Blicken zu töten. Jetzt mache ich ein ganz erbärmliches Gesicht, aber eines, das sich erbarmt, gelingt mir nicht. Die Zahnbürste landet in der Kloschüssel und ich im Bett. Vor dem Einschlafen besinne ich mich noch einmal und beschließe nicht zum ersten Mal, morgen einen Neuanfang zu machen.

Es geht mir elend. Im Traum sind mir im Gesicht widerliche Pickel gewachsen, wurden immer größer, bis sie irgendwann aufplatzten und harte, dunkelgelbe Oktaeder freigaben. Als ich sie mir herausriss, begannen die fleischig rosa Löcher eine eine Unmenge an Eiter verspritzen, der am Kinn heruntertropfte und einen grausamen Gestank verbreitete. Vom Ekel geschüttelt wollte ich mich abwenden, was natürlich nicht gelang. Wohin sollte man sich abwenden? Verstört fahre ich mir noch mit der Hand über das Gesicht, spüre es noch unter der Haut pulsieren und der Geruch von Erbrochenem steigt mir in die Nase. So könnte mein Neuanfang beginnen: Aus dunklen, schlammigen Abgründen erhebt sich der neue Mensch, streift energisch seine alte Hülle ab und schwingt sich auf zu ewiger Größe. Die Situation ist zwingend und könnte als Geburtsstunde mahnend im Gedächtnis bleiben. Aber ich will nicht. Vom gestrigen Abend habe ich einen abscheulichen Ohrwurm davongetragen, der die Stimmigkeit des Moments zerstört.

Die kalte Dusche erfrischt ein wenig. Mir ist klar, dass ich nicht hier bleiben kann, wo mich alles an mich erinnert. Bevor ich mich in Selbstmitleid und Minderwertigkeitskomplexen ertränke mache ich mich auf den Weg. Draußen empfängt mich eine schneidende Kälte. Die Jacke hängt natürlich wie immer zu Hause am Haken. Es kommt trotzdem nicht in Frage, noch einmal umzukehren. Im Gehen versuche den wässrigen Blick nach außen zu richten, werde aber immer wieder durch brutales Gähnen daran gehindert. Ich reibe mir die verquollenen, tränenden Augen, nehme aber immer noch nichts als blendende Grautöne wahr. Um wach zu werden und auch gegen die Kälte, laufe ich sehr schnell und erreiche schon den Stadtrand mit seinen Fabriken und Türmen. Als Menschen mir entgegenkommen, wechsle ich die Straßenseite, gehe an überwucherten, rostigen Bahngleisen entlang und durch eine stillgelegte Baustelle. Hinter der Baustelle kommt nichts mehr, kein Haus, kein Feld, keine Straße, kein Wald, nur ein paar blattlose Sträucher und Brombeerhecken behaupten ihr Dasein und verdichten sich irgendwann um mein Vorwärtskommen zu verhindern. Als ich merke, dass wirklich kein Durchkommen ist, gehe ich einfach durch und kämpfe um jeden Meter. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, heiße, panische Verzweiflung kocht in mir hoch, wenn ich mir vorstelle wieder den Rückweg antreten zu müssen. Je weiter ich komme, desto länger brauche ich zurück und ich kann nicht erahnen, ob ein Ende überhaupt erreichbar ist. Immer panischer trete ich mir einen Weg frei und reiße mir dabei an den Dornen die Haut auf. Ich möchte weinen, aber ich kann nicht. Seit ich ein kleines Kind war, habe ich es nicht mehr gekonnt. Ein Druck hinter meinen Augen, ich könnte heulen, dass es spritzt, aber ich kann nicht. Im Gegenteil, ich trockne aus, die Netzhaut brennt, meine Zunge klebt am Gaumen. Ich möchte schreien, aber ich habe Angst, dass mich jemand hört. Wie sollte ich mich erklären? Außerdem meine Kehle wie ausgedörrt. Endlich kommt ein Waldrand in Sicht. Ich bin nicht erleichtert, nur erschöpft, als ich mit meine Stirn gegen einen festen Baum drücke. Von einer Anhöhe ist das Dickicht zu übersehen, ein Steinwurf vielleicht. Weiter an kratzigen, kranken Nadelbäumen vorbei, dicht an dicht gedrängt. Alles ist eng, beherrscht von unruhigem Rauschen. Ich will endlich irgendwo ankommen. Vor mir ein Flimmern, eine Autobahn. Es rast an mir vorbei, so schnell, dass es kaum gelingt einen Blick auf die Insassen der einzelnen Autos zu erhaschen. Auf einmal quält mich die Einsamkeit. Die Luft vibriert vom Lärm, donnernde Lastwagen, ein heulendes Hupen. Ich kann meine Gedanken nicht mehr hören. Viele Menschen sind hier, alle nur für eine Sekunde, nur ich stehe da und weiß nicht wohin mit mir. Meine feuchten Hände liegen noch immer auf der kühlen Leitplanke. Ein Sprung darüber und ich wäre tot. Der Gedanke lässt mich schwindeln, ich bin ein hilfloses Bündel Angst. Plötzlich renne ich, wie es kam weiß ich nicht, stolpernd durch den Graben zurück in den Wald, das Getöse verfolgt mich, ich will nicht mehr, ich will weg sein. Als ich keuchend zum Stehen komme, mir den klebrigen Schweiß aus dem Gesicht wische, habe ich die Orientierung verloren. So bleibt mir wenigstens die Entscheidung erspart. Etwas beruhigt sich in mir, ich gehe weiter. Mein Kopf ist leer, ich denke nichts mehr und erreiche so irgendwann einen Weg, ein Feld und dahinter sogar ein Haus. Es wird dunkel, ein Hund bellt. Auf einmal ist es Nacht, es beginnt zu regnen, ich beobachte wie sich Pfützen bilden und die aus dem schwarzen Nichts herabfallenden Tropfen darin Kreise ziehen.

 

Hallo Cobzar,

einen starken EInstieg gibst du hier zum Besten.
Atmosphärisch dicht gibst du hier Einsicht in das Dasein eines Leeren Menschen ohne Hoffnung und Richtung. Nur die Alibi-Hoffnung, dass den nächsten Tag alles anders wird, haftet ihm an. Genauso richtungslos wie dein Prot herumrennt, endet dann auch die Geschichte. Das ist für mich ein kleiner Kritikpunkt. Das erscheint mir noch nicht rund genug und bricht halt irgendwann ab, weil sich der Reiz der Verzweiflung abnutzt.
Ebenso wird gar nicht beleuchtet, was diesen Menschen denn in diesen Zustand gestürzt hat. Ich vermisse keine ausgeschlachteten tragischen Erlebnisse, wohl aber ein paar subtile Andeutungen.

Besonders hervorheben möchte ich den Anfang. Der Verglich mit dem Krankenhaus und der Beerdigung ist großartig. Das sind Bilder, die ganz stark die Stimmung tragen.

Ansonsten sind noch einige Vertipper im Text, die du ausbessern solltest. Da fehlen mindestens 3mal Wörter, einmal ist eines doppelt hintereinander, einige Kommata stimmen auch nicht.
Diese Überarbeitung hat der text durchaus verdient.

man darf gespannt auf Weiteres von dir sein.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Cobzar,
willkommen auf KG und Glückwunsch zu dieser starken Geschichte. Ähnlich wie weltenläufer finde ich auch, dass du sie noch mal gründlich überarbeoten solltest, nicht nur wegen der Fehler. Mir ist aufgefallen, dass du von den starken Bildern zu Beginn, die bei allem narzißtischen Elend noch einen Funken Humor haben, immer mehr in seziererisches Beschreiben. Der Abschnitt mit dem Traum ist mir viel zu dick aufgetragen, das wirkt sehr pathetisch. Der gut beschriebene Irrweg durch den Wald käme mit weniger Adjektiven aus, dafür ist das Ende in seiner Schlichtheit wiederum gelungen. Sehr gerne gelesen.
LG,
Jutta

 

Vielen Dank fürs Lesen und die Kritik.
Die Verzweiflung nutzt sich tatsächlich ab. Ich habe aber weder Grund noch Inspiration sie durch subtile Andeutungungen auf eine Vorgeschichte interessant zu machen. In den ersten Zeilen sollte eigentlich die Sehnsucht nach einem solchen Grund ausgedrückt werden, durch den sich alles leichter ertragen läßt.
Die Traumpassage weidet sich im Elend und das ist wirklich übertrieben. Damit wollte ich das Problem zur Sprache bringen, dass man sich nicht von sich selber abwenden kann, was aber nicht immer auf selbstmitleidige Nabelschau herauslaufen muss. Die Geschichte hat keinen Ausgang. Vielen Dank noch einmal!

 

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