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Schwarze Nacht
Schwarze Nacht
By Florence
„Ich hasse es, hier am Wochenende durchzugehen, “ flüsterte Kati ihrer Freundin zu und beschleunigte ihre Schritte. Sie waren oft hier, immer mittwochs. Doch unter der Woche war hier kaum etwas los. Die Große Freiheit lag dann ganz ruhig da. Vereinzelt sah man Touristen vorbeischlendern, die an den Schaukästen stehen blieben, in denen die Besitzer der Oben-ohne-Bars ihre Ware darboten. Von dem Glanz vergangener Tage, in denen die Beatles im legendären Star Club auftraten und Hamburgs Vergnügungsmeile als verrucht und sündig galt, spürte man dann nur noch wenig. In den Pfützen spiegelten sich die grellen Leuchtreklamen und im Rinnstein sammelte sich der Müll.
Am Wochenende war die schmale Straße dagegen überfüllt mit Menschen, die auf der Suche waren, nach dem angesagtesten Club, dem heißesten Szene-Drink oder nach schnellem Sex. Betrunkene torkelten umher und nicht selten kam es zu heftigen Schlägerein. Kati raffte ihre Röcke und drängte sich an einer Gruppe junger Leute vorbei. Sie beachteten sie nicht. Endlich kam ihr Ziel in Sicht. Die Große Freiheit 36. Eine Menschentraube von Männern und Frauen in langen schweren Gewändern aus Samt, in Lackkleidern und Röcken, die ihre Augen und Lippen extravagant mit schwarzem und weißem Make-up betont hatten, stand vor dem Eingang. Der Anblick der vielen schwarz gekleideten Leute machte Kati aber keine Angst. Im Gegenteil. Dort waren ihre Freunde, ihre Familie, dort fühlte sie sich wohl.
Kaum das sie sich zu den Leuten gesellt hatten, begann sich Kati zu entspannen und ließ ihre Röcke los, während sich ihre Freundin ausgelassen mit einem Typen zu unterhalten begann. Genau das liebte sie so an dieser Szene. Man kam schnell ins Gespräch, war sich sympathisch. Der Kerl sah nett aus. Nicht zu klein, nicht zu groß, dunkles Haar, langer Mantel, schwere Stiefel. Seine Stimme klang angenehm, er lispelte ein wenig. Stumm hörte sie den beiden zu, als sie plötzlich sein Blick traf. Klare blaue Augen schienen sie zu durchdringen.
„Hi, ich bin Tom“, sagte er und reichte ihr seine Hand. Sie ergriff sie, spürte wie warm sie war.
„Bist du öfter hier?“
„Machst du Witze“, platzte es aus ihrer Freundin heraus.
„Kati wohnt schon fast hier.“
„Stimmt das“, wollte er wissen und taxierte sie mit einem neugierigen Blick.
„Ja, so ungefähr. Ich bin immer mittwochs hier und ab und zu auch freitags,“ antwortete Kati leise.
„Wow,“ machte er beeindruckt. „Kommst wohl schwer von hier los, was?“
Kati schaute einen Moment hoch, auf die blinkende Gitarre mit der 36, die das Gebäude zierte und die ihr so vertraut vorkam.
„Nein, irgendwie nicht.“
Dann standen sie plötzlich an der Kasse. Kati zahlte und verlor Tom für einen Augenblick aus den Augen.
Drinnen dröhnte die Musik laut aus den Boxen. Aus der Ferne konnte sie Frauen in hohen Lackstiefeln und kurzen Röcken sehen, die ihre Beine in zerschlissene Strumpfhosen verpackt hatten. Mädchen schienen in langen schweren Kleidern nahezu über die Tanzfläche zu schweben. Grellbunt gefärbte Haare, die zu seltsam anmutenden Frisuren aufgetürmt waren, schimmerten im flackernden Licht der Scheinwerfer. Leicht wiegte sich Kati im Takt der Musik, als plötzlich Tom hinter ihr stand. Im Halbdunkel der Freiheit schimmerten seine Augen geheimnisvoll. Er hatte zwei Gläser Met in der Hand. Eines davon reichte er ihr. Sie lächelte dankend und nippte daran. Der ungewohnte und billige Alkohol tat gut.
„Warum bist du so oft hier“, wollte Tom wissen und griff das Thema wieder auf. Wortlos zuckte sie mit den Schultern.
„Es gibt wohl keinen Ort, an dem ich mich wohler fühle. Das ist nicht nur einfach ein Ort wo ich tanzen gehe. Man nimmt mich hier so, wie ich bin. Dabei spielt es keine Rolle, was ich trage, wie ich aussehe oder wie viel Geld ich habe. Hier zählen andere Werte.“
„Mit anderen Worten, du fühlst dich hier wohl“, stellte Tom fest. Kati nickte stumm.
Tom schwieg einen Moment und sah sich um. Die meisten Leute hier schienen sich zu kennen, viele standen dicht beieinander, waren in Gespräche vertieft oder begrüßten sich herzlich. Die Ruhe, die sie ausstrahlten machte auf ihn einen angenehmen Eindruck und verströmte eine entspannte Atmosphäre. Selten zuvor hatte er sich auf einer Party, wo er niemanden kannte so schnell wohl und akzeptiert gefühlt.
Die Tanzfläche war voll mit Menschen und zwischen all den sich bewegenden Körpern konnte man kaum noch ein einzelnes Gesicht erkennen.
Vorsichtig nahm er Kati das Glas aus der Hand und zog sie zur Tanzfläche. Irgendein schneller Song lief. Die harten Beats ließen den Boden vibrieren, einige tanzten wie in Ekstase, der viele künstliche Nebel schien das Atmen zu erschweren und alles Licht zu verschlucken. Kati begann sich zu bewegen. Sie drehte ihren Kopf, so dass ihre Haare ihr ins Gesicht wirbelten, doch das war ihr egal. Tom war irgendwo in ihrer Nähe, aber sie nahm ihn kaum wahr. Langsam hob sie ihre Arme und ihre Füße bewegten sich immer schneller, zum Takt der Musik. Sie schloss ihre Augen und konzentrierte sich nur noch auf die Musik. Bald tanzte Kati genauso, wie die anderen um sie herum auch.
„Tanz mit mir“, flüsterte Tom plötzlich hinter ihr und umfasste sanft ihre Taille. Ganz leicht konnte Kati seinen Atem spüren, spürte wie heiß sein Körper vom Tanzen war.
„Ich hab großen Spaß hier, “ flüsterte er und strich ihr übers Haar. „Ich glaub ich kann verstehen, warum du so gerne hier bist.“
Plötzlich sah sie ihn direkt an, ihr Blick war klar und stechend, doch dann lächelte sie und legte ihm einen Finger auf die Lippen.
„Sag jetzt nichts,“ flüsterte sie. „Tanz einfach und lass dich von der Musik treiben.“
Die Hand noch immer um sie gelegt spürte er den weichen Stoff ihres Kleides und ihren Köper, wie er sich rhythmisch bewegte. Anfangs zaghaft begann nun auch er sich zu bewegen. Er ließ sich von der Musik fesseln und treiben. Er tanzte zu schnellen Elektronik-Beats und zu schweren Gitarrenriffs und kam ein wenig bei einer Ballade zu Atem.
Als die Musik stoppte und die Lichter angingen, war es ihm, als hätte der Abend gerade erst begonnen. Doch in Wahrheit waren Stunden vergangen und vor den Türen der Großen Freiheit ging bereits die Sonne auf.
Wie Selbstverständlich hakte sich Kati bei ihm ein, als sie die Straße entlang zur S-Haltestelle Reeperbahn gingen.
Erst jetzt hatte er eigentlich verstanden, was sie am Beginn des Abends hatte sagen wollen. All das hier, war ihr und nun auch sein Zuhause.