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- 07.07.2007
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Schweigen
Schweigen
Wir hatten uns eigentlich getroffen, um einen trinken zu gehen. Aber dann war alles ganz anders gekommen. Und nun saßen wir in meinem Wohnzimmer.
Im Hintergrund lief die Platte irgendeiner Punkband aus den Siebzigern, deren Name mir gerade nicht einfällt. Es war weit nach Mitternacht und anstatt das Licht anzuknipsen, hatten wir überall Kerzen aufgestellt.
Da saßen wir also. Schütteten ungesunde Mengen Bier in uns hinein und diskutierten die aktuelle Lage der Welt.
Der Soldat war gerade von einem Einsatz am Arsch der Welt zurückgekehrt und hatte feststellen müssen, dass so ziemlich jeder Ort auf diesem Planeten diese Bezeichnung verdiente, wenn man die Erinnerung an abgerissene Beine und aufgeplatzte Bäuche nicht loswurde.
„Wisst ihr“, sagte er und nuckelte an seinem Bier, „diese ganze Scheiße wird nie ein Ende finden.“
Wir nickten und murmelten zustimmend.
„Nicht solange wir leben“, sagte der Arzt und knibbelte mit dem Fingernagel am Etikett seiner Flasche. Er war direkt nach seinem 48-stündigen Dienst im Krankenhaus zu uns gestoßen, und so sah er auch aus. Auf die Frage, ob er sich denn nicht lieber erst ein paar Stunden aufs Ohr hauen wolle, antwortete er, dies sei sein einziges freies Wochenende im gesamten nächsten Monat – also, nein.
Wir nickten abermals.
„Ach, nicht mal dann“, seufzte der Lehrer und steckte sich eine Zigarette an. Er wusste, wovon er sprach. Das neue Schuljahr hatte begonnen und irgendetwas sagte ihm, dass es – verflucht noch mal! – nicht richtig sein konnte, wenn Schüler der zwölften Klasse weder wussten, wie man DECISION buchstabierte, noch den Unterschied kannten zwischen Demokratie und Tyrannei.
Wir nickten.
„Es muss endlich etwas getan werden“, meinte der Politiker und kratzte sich am Hinterkopf. Er steckte mitten in einem anstrengenden, nervenaufreibenden Wahlkampf. Bis dato war er angespuckt worden und beschimpft und einmal sogar geschubst. Seine Partei war gerade an der Regierung. Und er sah nicht im Mindesten ein, warum sich daran etwas ändern sollte.
Nicken.
„Aber dann mal richtig“, entgegnete der Geschäftsführer eines kleinen mittelständischen Familienbetriebs und richtete seinen Blick an die Decke. Bei ihm konnte man Gartengeräte leihen. Rasenmäher, Heckenscheren und solchen Kram. Aber seit ein paar Jahren ging das Geschäft immer schlechter. Er schob es auf die Inder und die Chinesen und die Amerikaner. Vor allem aber auf Brüssel. Womit er am Ende vielleicht nicht ganz falsch lag. Obwohl das natürlich auch völlig wurscht war.
Tja, und kaum, dass ich mich versah, war es an mir, irgendwas sehr, sehr Schlaues zu sagen. Man erwartet das von Schriftstellern. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Schriftsteller sagen immer irgendwas Schlaues. Das bringt der Beruf so mit sich. Und wenn sie mal nichts Schlaues zu sagen wissen, zitieren sie einfach irgendeinen ihrer Kollegen – ob schon tot oder noch am Leben spielt keine Rolle, Hauptsache der Zitierte ist dem gemeinen Volk gänzlich unbekannt. Und da ich ums Verrecken nichts Schlaues zu sagen wusste, sagte ich folgendes:
„Ich weiß auch nicht. Aber bei Alexandr Iwanowitsch Herzen hab ich mal gelesen, die Menschen ersönnen sich selbst ihre Qualen.“
Schweigen.
Gegen Fünf in der Früh hatte ich sie aus der Wohnung. Ich trank noch ein Bier. Dann löschte ich die Kerzen und ging schlafen.