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Schweigsam
Ein sonniger Tag, es ist warm. Draußen auf der Terrasse sitzen wir, trinken Kaffee. In den Gärten spielende Kinder, schreiende Babys und junge Ehepaare. Oft komme ich mir hier vor, als wäre ich fehl am Platz. Wir sind nun beide über siebzig. Mehr als vierzig Jahre, in denen wir verheiratet waren, halten uns nicht davon ab, nur noch das Nötigste zu bereden. Ja, wir reden nicht viel – wir beide machten Fehler, aber keiner stand jemals dazu. Vielleicht ist dies unser größter Fehler – wir leben zusammen, wissen, was wir falsch gemacht haben, aber reden nicht darüber. Keiner will damit anfangen. Ich habe Probleme damit. Ich habe Fehler gemacht, und manche würde ich auch heute noch machen. Ist es nicht langweilig, ein perfektes Leben zu haben, ein Leben, in dem man für nichts verantwortlich ist? Morgens um acht Uhr stehe ich auf und decke den Frühstückstisch. Eine Stunde später sitzen wir dann beide am Tisch und schweigen. Entweder wir lesen Zeitung oder schauen aus dem Fenster. Das neue Grün des Frühlings steht für neuen Lebensmut und Freude. Ob wir das auch noch einmal erfahren werden?
Jeden Tag läuft der Tag bei uns gleich ab. Wir unternehmen nicht viel, wir haben Angst, mit dem Anderen über Dinge zu reden, die zuhause nicht angesprochen werden. Ja, wir müssten mehr miteinander reden, wenn wir etwas unternähmen. Wir wollen das nicht. Letztes Jahr sind wir noch einmal zusammen in den Urlaub gefahren. Eine schöne Zeit, wir haben uns daran gehalten, wir haben nicht viel geredet.
Warum wir noch zusammenleben, wissen wir glaube ich beide nicht. Mehr, weil wir uns gegenseitig benötigen. Alleine würden wir es nicht schaffen, vielleicht doch, aber diese Anstrengung ist uns seit einigen Jahren fremd. Liebe ist es jedenfalls nicht mehr. Wenn wir zusammenleben, haben wir die täglichen Aufgaben schnell erledigt. Meistens sitzen wir dann im Wohnzimmer, lesen, schlafen. Oder wie jetzt auf der Terrasse. Spielende Kinder, schreiende Babys und junge Ehepaare in den Gärten. Ich wünschte mir, dass ich diese drei Zeiten noch einmal erleben dürfte. Nein, nun sind wir beide alt und werden von Tag zu Tag älter. Wir sind damit nicht zufrieden. Wir müssen es akzeptieren. Schweigsam.
Wenn ich in die Baumkronen schaue, sehe ich das Sonnenlicht hindurch strömen. Als ich jung war, baute ich Baumhäuser in diesen Kronen. Oft erinnere ich mich daran, wie es war, als ich klein war. So sorglos, so kreativ. Meine Eltern hatten Freude an mir. Wir selbst haben keine Kinder. Den richtigen Zeitpunkt haben wir verpasst. Aber wir konnten auch so miteinander leben. Damals, als wir noch mehr miteinander redeten, war unsere Zeit. Wir haben uns geliebt, hatten Bekanntschaften, waren auf Feiern. Nun ist diese Zeit vorbei. Wir werden wohl bis zu unserem Tode nicht mehr wieder zueinander finden, und dennoch leben wir auf engstem Raum zusammen. Ein Blick in die Baumkrone genügt, um zu wissen, wie lange das geht. Im Frühling sprießen die Blätter, sind grün, unerfahren, unbesorgt. Im Sommer ist der Höhepunkt. Im Herbst werden sie alt, grau. Nach und nach fallen sie ab, sie entfernen sich voneinander.
Wir befinden uns im Spätherbst. Hätte ich die Möglichkeit, etwas in meinem Leben besser zu machen, ich würde sie nicht nutzen. Ich hatte schöne Zeiten. Nun sind sie vorbei. Wir beide denken so. Unsere letzten Jahre werden friedlich, geruhsam verlaufen. Und schweigsam.