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Schweinerei
Andreas betrat die Garderobe und schlug krachend die Tür hinter sich zu.
„Was ist, bist du endlich soweit?“
„Moment, Moment – gleich hab ich’s“, antwortete Jesus, während er weiter an die Decke starrte.
„Mann, das hast du schon vor einer halben Stunde gesagt. Da draußen tobt der Mob.“
„Dann schick den Jongleur auf die Bühne.“
„Diesen Anfänger?“ Andreas lachte freudlos. „Dem haben sie eine seiner Keulen über den Schädel gezogen. Der jongliert jetzt vor seinem Schöpfer.“
Schweigen.
„Wo liegt das Problem, Mann? Willst du warten, bis sie die Garderobe stürmen?“
„Mir fällt der Zauberspruch nicht mehr ein.“
„Dir fällt was nicht ein?“
„Ich habe den Spruch vergessen“, antwortete Jesus. Er zuckte mit den Schultern, schaute Andreas lange an und zeigte schließlich auf den Tisch, auf dem eine Flasche Rotwein, zwei Baguettebrötchen und eine kleine Schale mit schwarzen Körnern standen. „Das ist alles, was ich bisher hingekriegt habe.“
„Das reicht aber nicht, das reicht bei weitem nicht.“ Seufzend ließ Andreas sich auf einen altersschwachen Stuhl fallen.
„Das weiß ich auch, aber was soll ich tun?“
Andreas brach sich ein Stück Baguette ab, schmierte sich mit einem Finger ein wenig der schwarzen Körner darauf, probierte und sagte schmatzend: „Zumindest sterben wir nicht hungrig.“
„Hör auf zu meckern, gib mir lieber mal die Pulle rüber.“
„Jesus, da draußen lungern fünftausend hungrige Menschen rum, die wollen keinen besoffenen langhaarigen Hippie sehen, die warten auf ein Wunder.“
Andreas griff nach der Flasche, zögerte kurz, doch dann reichte er sie an Jesus weiter.
„Wie konnte ich mich nur mit einer Null wie dir einlassen? Hätte ich nur auf meinen Bruder gehört. Der hat mich von Anfang an vor dir gewarnt. Bleibe Fischer, hat er gesagt, lass dich nicht mit diesem Scharlatan ein, hat er gesagt. Der bringt nur Scherereien.“
„Halt die Klappe. Ich kann mir dieses Gejammer nicht länger anhören. Simon hier, Simon da. Wenn es dir nicht mehr passt, geh doch zurück. Bisher habe ich es noch immer geschafft, die Zuschauer zu begeistern.“
„Bisher sind wir auch nur in zweitklassigen Kaschemmen aufgetreten und haben drittklassige Tricks vorgeführt.“
„Du hast die Kaschemmen organisiert, ich habe die Tricks vorgeführt, das wollen wir doch nicht durcheinander bringen. Doch kaum sind wir in eine andere Liga aufgestiegen, bekommt der Herr Organisator das große Nervenflattern.“
Andreas wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, da sprang die Tür auf. Ein Hüne von Mann sprengte fast den Türrahmen.
„Barrabas, alter Tagedieb. Was führt dich hierher?“ Jesus sprang auf, lief auf den Hünen zu und umarmte ihn. Barrabas stieß Jesus von sich.
„Tu nicht so scheinheilig. Ich will mein Geld.“
„Was denn für Geld?“, fragte Jesus erstaunt.
„Die dreißig Silbertaler, die ich dir im Puff von Golgotha geliehen habe.“
„Ach die. Hab ich die tatsächlich noch nicht zurückgegeben?“
„Nein, hast du nicht. Aber das wird sich bestimmt gleich ändern. Hab ich Recht?“ Drohend ging Barrabas einen Schritt auf Jesus zu.
„Keine Panik, alter Freund. Wenn du Geld willst, musst du dich an Judas wenden, der verwaltet meine Gage. Er müsste noch an der Kasse sitzen. Ich kann ja mal nachschauen.“
„Vergiss es“, sagte Barrabas mit gefährlich leiser Stimme. „Die Kasse ist verwaist. Kein Judas, kein Geld. Und du kommst hier erst raus, wenn ich meine Kohle habe.“
„Das geht nicht, er müsste schon längst auf der Bühne sein.“ Andreas war aufgestanden und stellte sich vor den Hünen. Der holte nur kurz aus und knallte Andreas die Faust ins Gesicht.
Mit blutender Nase fiel Andreas nach hinten, und riss im Fallen den Unterteller und die halbvolle Flasche Rotwein mit. Es schepperte, es klirrte, es krachte. Dann war es still. Andreas lag in einer roten Lache und rührte sich nicht.
„Scheppern, Klirren, Krachen? Das war’s doch! Wie ging es nur weiter?“ Jesus schaute kurz zu dem am Boden liegenden Andreas und rieb sich dann die Nase.
„Was ist?“, fragte Barrabas.
„Wenn Teller scheppern, klirren, krachen, die Götter was zu Essen machen. Hey, jetzt hab ich’s.“
„Was?“, fragte Barrabas ein letztes Mal.
Jesus hob beide Arme zur Zimmerdecke. Dann sprach er mit feierlicher Stimme: „Wenn Teller scheppern, klirren, krachen, die Götter was zu Essen machen. Und mit viel Getöse gibt’s nicht nur Gekröse.“
Plötzlich und mit rasender Geschwindigkeit wallte dunkler Nebel durch die noch immer offen stehende Tür. Es gab einen Schlag, dann zuckte ein Blitz durch den Raum. Die anschließend einsetzende Stille dröhnte in den Ohren. Langsam lichtete sich der Nebel. Jesus krümmte sich und hustete, was das Zeug hielt. „Ich frage mich, ob es nicht ohne diesen verdammten Nebel ginge. Der schlägt mir immer so auf die Lunge.“
„Hilf mir hoch“, keuchte Andreas.
„Hey, alter Junge. Gut, dass du wieder wach bist. Ich habe unser Problem gelöst.“
„Mit geht’s gut, danke der Nachfrage. Und überhaupt – es ist dein Problem.“
„Das ich gelöst habe“, sagte Jesus stolz.
„Was stinkt denn hier so bestialisch?“, fragte Andreas, nachdem er sich hochgestemmt hatte.
„Da, schau“, sagte Jesus stolz und zeigte zur Wand. Dort stapelten sich bluttriefende Schweinehälften.
„Bäh, was für eine Sauerei. Wie soll dieser Fleischhaufen unser Problem lösen? Und wo um alles in der Welt ist dieser abgebrochene Riese geblieben?“
„Da“, sagte Jesus und zeigte weiterhin auf die Schweinehälften.
„Da?“, fragte Andreas, während er in seinem Kaftan nach einem Taschentuch kramte.
„Ja“, sagte Jesus, „und vor der Tür findest du noch mehr Schweinehälften. Das ganze Haus ist voll mit Schweinehälften. Vom Keller bis zum Dach. Könnte sogar sein, dass sich im Saal die Schweinehälften stapeln. Wir werden jetzt ein schönes großes Feuer machen und meine Fans mit Spareribs, Steaks und Schnitzel verköstigen.“
„Bist du befeuert?“ Andreas hielt sich das Taschentuch vor die blutende Nase und sprach deshalb etwas undeutlich. „Du wirst in ganz Paläftina niemand finden, der ein Schweineschnitzel ifft. Von Steaks ganz zu fweigen.“
„Ach?“
„Nix ach!“ Andreas riss das Taschentuch wieder herunter und echauffierte sich. „Wenn du diesen Haufen Dreck nicht sofort in etwas Koscheres verwandelst, werden sie uns grillen. Eigentliff follte ich nicht alf Haxe enden.“ Das Taschentuch war wieder im Einsatz.
„Tja, dann...“
„Laff dir waf einfallen, irgend etwaf. Aber laff es dir fnell einfallen.“
„Auf die Schnelle? Wie wäre es denn mit einer neuen Religion?“
„Und waf soll daf bringen?“
„Spareribs, Steaks und Schnitzel.“
„Jesus, wenn du was zu sagen hast, dann sag es deutlich.“ Andreas räumte eine Schweinehälfte von dem Stuhl, setzte sich und legte den Kopf in den Nacken, das Taschentuch fest gegen die immer noch blutende Nase gepresst. Jesus wanderte unruhig auf und ab, hielt kurz bei seinem Freund inne, legte ihm eine Hand auf die Stirn, um anschließend seine rastlose Wanderung fortzusetzen.
„Hör auf, fo herum zu tigern. Du machft mich nervöf.“
„Sprich deutlich. Ich habe die Blutung gestoppt.“
Ungläubig nahm Andreas das Taschentuch herunter. Kein Blut mehr. Schon wollte er das Tuch in den Tiefen seines Kaftans verstauen, da fiel ihm Jesus in die Hand.
„Warte, was ist das?“
„Was meinst du?“
„Na, hier auf deinem Taschentuch. Dieses Zeichen!“
„Das ist mein Blut, vermischt mit etwas Rotze.“
„Du Unwissender. Siehst du nicht das Kreuz? Ein Zeichen ist es, ein Symbol.“
„Na schön, es hat tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Kreuz. Aber was soll uns das Zeichen sagen?“
„Dass wir eine neue Religion gründen sollen, eine Religion unter dem Zeichen des Kreuzes. Eine Religion, die es vor allen Dingen gestattet, Schweinefleisch zu essen. Sei es als Steak oder als Rippchen.“
„Das soll die Botschaft deiner neuen Religion sein? Rippchen essen? Tut mir Leid, aber das hört sich ziemlich bescheuert an.“
„Über die Feinheiten können wir uns später Gedanken machen. Oder hast du auf die Schnelle eine bessere Idee?“ Und nachdem keine Antwort kam: „Na also, dann lass uns hinausgehen und die Botschaft verkünden.“
Und das taten sie dann auch.