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Seele in Farben
...
...ich sage dir, höher als ein Mensch denken kann, ragen seine Türme in den Himmel. Weiter als ein Mensch denken kann, graben sich seine Keller in die Tiefe des Gesteins. Es ist ein Gebäude, zu riesig für die Vorstellungskraft und doch wieder so klein, dass es auch in eine Streichholzschachtel passen würde. Es ist so wunderschön gebaut, dass einem Tränen in die Augen steigen, würde man es in seinem vollen Glanze sehen. Doch würde man vielleicht auch vor Grauen erstarren, würde nie mehr in seinem Leben ein Wort hervorbringen, so hässlich und furchterregend kann es sein.
Du kennst es nicht? Es ist schon merkwürdig, dass es gerade uns so lange verborgen blieb, nicht wahr? Nur der Zufall hat es uns in die Hände gespielt. (lach) Vielleicht auch das Schicksal. Vielleicht sollte es genau so kommen! Aber ich sage dir, mein Lieber, daraus könnte sich noch etwas entwickeln, aber warten wir damit, bis ich zu Ende erzählt habe.
In diesem Gebäude jedenfalls lebt ein Mann. Wohl länger als seit einer Ewigkeit. Möglicherweise auch schon länger als seit zwei Ewigkeiten oder drei. Er weiß es wohl selbst nicht. Es gibt Tage, sage ich dir, da fühlt er sich als allmächtiger Herr (lach), der über einen unermesslichen Schatz wacht. Manchmal, da fühlt er sich aber auch einfach nur als Gefangener dieses riesigen Gebäudes.
Über was er wacht? Nun, über die Menschen, in gewisser Weise. Aber eigentlich wacht er über Regale. In diesen wiederum befinden sich Lichter, die in jeder erdenklichen Farbe strahlen.
Ja, Licht. Licht, das in Gefäßen eingesperrt ist und gleichzeitig jeden einzelnen von uns wiederspiegelt. Das gesamte Gebäude ist voll davon. Von oben bis unten.
Aber weißt du, würde man ihn fragen, über was er genau wacht, dann würde er mit einer Geschichte antworten.
Ja, natürlich, man könnte es auch in einem Satz erklären, aber ihm bedeutet diese Geschichte viel, irgendwie. Deshalb erzählt er sie gerne und deshalb erzähle ich sie auch gerne. Diese eine nämlich war so anders gewesen, als alle anderen Geschichten, die er erlebt oder erzählen könnte.
Also, er würde sich auf seinen uralten Lehnstuhl setzten, mitten in diesem Gebäude, sich durch seinen weißen Bart fahren, eines der Gefäße voller Licht in die Hand nehmen und dann würde er zu erzählen anfangen.
Natürlich, er hat sie noch nie erzählt und er würde zu tode verängstigt zusammenzucken, wenn er ein anderes Lebewesen außer ihm in dem Gebäude sehen würde. Aber tun wir doch für einen Moment so, als würde er sie erzählen.
(räusper)
Es lebte einmal ein Mädchen, würde er anfangen.
Wenn man sie fragte, ob man eine Seele malen kann, dann hat sie lächelnd genickt. >>Ja, natürlich. Kann man.<< Ihr Blick war dabei immer ein bisschen in die Ferne gerückt und zeigten einen Ausdruck von Schmerz aber auch unheimlicher Freude.
Mit alten Leuten, würde der alte Mann es vergleichen, die über eine längst vergangenen Höhepunkt ihres Lebens nachsinnen. Dabei würde selbst so ein Ausdruck in seinen bernsteinfarbenen Augen entstehen.
Wenn man sie fragte, würde er aber sodann fortfahren, wie so eine Seele denn aussehe, hatte sie ebenso gelächelt. Ihre Augen hatten dann diesen kindlichen Ausdruck.Er würde sich wieder durch seinen Bart fahren und sagen, dass es ein so belustigter Ausdruck war. Als ob die Antwort auf die ihr gestellten Frage völlig offensichtlich wäre.
>>Sie besteht nur aus Farben, nicht aus Formen<<, würde er sie antworten lassen. >>Sie ist das Wunderbarste, was es gibt. Sie vergehen nicht einmal wenn der Körper stirbt. Sie fliegen wie Vögel hinauf, in den Himmel!<<
>> Das ist aber interessant <<, haben darauf die Leute anerkennend gesagt, die ihre Bilder betrachten durften.
>> Aus ihr wird noch einmal was <<, prophezeiten sie kurz darauf ihren stolzen Erzeugern.
Einen Moment würde der Mann wahrscheinlich nun stumm dasitzen und nicht weitererzählen. Als wäre er gerade aus einem Traum aufgewacht, würde er sich schütteln und dann fortfahren: Zwischen diesen Jahren und dem Ende hatte sich leider viel verändert. Es ist wie mit weißen Häuserwänden.
Er würde nicken. Ja wie mit weißen Häuserwänden. Im Laufe der Jahre verschmutzen sie, werden grau, je nach Umwelt. Und passiert ein Unfall an dieser Wand, dann kann sie auch schon mal Schäden abbekommen.
Später dann kommentierten dieselben Leute die Bilder nämlich immer noch mit >>interessant<<. Jedoch so, wie man auch zu einem Essen sagt: >>Das schmeckt aber... interessant.<<
Der Stolz welkte und peinliche Berührtheit wurde daraus, würde er seufzen.
Dunkel waren sie mit der Zeit geworden, die Bilder, und abgestumpft. Graue und dunkelrote Farbtöne hatten sich dort verbreit, nur manchmal dazwischen etwas Helleres. Als ob das Letztere aus dem Bild ausbrechen wollte.
>> Malst du immer noch Seelen? <<, hatte man sie gefragt. Doch sie antwortete überhaupt nicht mehr. Ein trauriger Ausdruck verwässerte ihre Augen, als wären sie ein Gefängnis, das sie nicht überwinden konnte. Ebenso ein Blick würde über Augen dieses alten Mannes streifen.
>> Gott unterzieht euch einer harten Prüfung <<, sagten Leute kopfschüttelnd zu den Eltern. Die nickten und seufzten.
>> Verrückt! <<, sagte der Spezialist zufrieden beim Anblick der Bilder und nahm sie mit.
Das Malen war nun der Vergangenheit Sonne, Medikamente der Gegenwart Hölle.
>> Ob man wohl daraus noch eine Normale wieder machen konnte?<<, fragte ihn einer seiner Kollegen neugierig.
>> Natürlich << Und mit wissenschaftlicher Präzision wurde die Realität in ihren Kopf gehämmert.
Nach einiger Zeit war sie wieder frei und ebenso schutzlos. Wieder würde der alte Mann für einen Moment inne halten und auf das leuchtende Gefäß in seiner Hand blicken. Seine letzten Worte würden ihm wahrscheinlich seine eigene Situation verdeutlichen. Wie geschützt er doch war hinter den dicken Bollwerken, aber auch wie gefangen er war.
Nicht weniger einsam als den in vier Wände der Anstaltskammer, würde er plötzlich wieder fortfahren, fristete sie nun ihr Dasein in einem kleinen Apartment in einer großen Stadt, die viel zu verwirrend für sie war. In einer vampirhaften Umwelt. Lichtlos und saugend. Das Gesicht des Alten würde nun wirklich düsterer sein. So, als würde es beinahe das bunte Licht um ihn herum verschlucken.
Angefangen hatte sie wieder zu malen, würde er sagen. Im Geheimen. Doch die Bilder waren anders als früher. Nicht heller, nicht dunkler, sondern leerer. Verändert hatte sie sich, das merkte sie selbst. Weniger war sie in irgendeiner Weise geworden, nicht nur körperlich. Zitternd nahm sie dann eine der Pillen und betete. Zu einem Gott der sie nicht erhörte und doch ihre einzige Hoffnung war.
Eines Abends dann war es soweit. Sie legte ihren Pinsel zitternd zur Seite, starrte auf ein fast leere Blatt, das sie nicht mehr zu füllen vermochte und gab auf.
Es war die darauffolgende Metamorphose, die der Welt den Atem raubte. Sie sog die Luft in sich auf und stieß sie verfault wieder aus. Selbst das Licht schreckte von dem Negativ zurück. Leere Augen grinsten aus einem abgemagerten Schädel. Sie strich sich die dunklen Strähnen aus dem Gesicht. Freudlos. Die Seele war vergangen, die Dämonen gekommen, würde er düster sagen. Sie würden das Mädchen leiten, sie zurückbringen ans Licht. Aber mit welchem Preis? Auf und durch welchen Blutes? Und würde das Licht noch scheinen, wenn sie es erreich würde?
Mit Schmerz in den Augen würde er fragen: „Hätte sie sich dagegen wehren sollen? Davor Selbstmord begehen? Um anstatt aus der Hölle in die Hölle zu kommen? Als Geknechtete für die Ewigkeit, was sie schon ihr ganzen Leben lang war. Anstatt nun zu knechten?“
Der alte Mann würde sich durch sein Haare wuscheln und traurig um sich blicken. Regale über Regale würden um ihn herumstehen. Alt würden sie alt sein, nein, sind sie wirklich. Uralt. Der Schein warmen Lichtes würde auf seinem Gesicht flackern. In allen erdenklichen Farben. Ohne es überhaupt noch zu erhellen.
„Gern hatte ich das Mädchen gehabt“, würde er murmeln. Wirklich gern. War sie doch die einzige, welche die Seelen hatte sehen können. Zögernd hatte er damals, als die Geschichte passiert war, ein leeres, durchsichtiges Gefäß von dem Regal geräumt. Es war ihr Seelengefäß gewesen, indem das innerste von ihr gelebt hatte. Sie würde nicht wiederkommen, das Gefäß hatte seinen Zweck verloren.
Gedankenverloren würde er durch die farbigen Lichter blicken, welche die Gewölbe von oben bis unten füllten. „Die Guten kommen in den Himmel. Die Schlechten in die Hölle und die Unschuldigen, die zerbrechen vorher und enden im Nichts.“
(ein kurzes Schweigen)
Was die Geschichte nun bedeutet? Nun, das ist sehr einfach. Solange wir es für uns beide klären müssen. Für andere nun, jeder zieht daraus eigene Schlüsse - so wie es mit allen Dingen ist.
Es gibt da ein Gebäude, einen Mann und Seelen in Gefäßen. Das ist für uns wichtig. In das Gebäude gibt es keinen Eingang – oder noch keinen, der gefunden wurde. Aber dieser Dämon, er ernährt sich nun von Seelen, oder was denkst du, welches Licht er erblicken will? Es ist das, was er nicht mehr hat und das will er sich wieder einverleiben. Das ist seine Natur. Durch jede wird er mächtiger. Wer weiß, wo ihn seine Nase hinführen wird.
Ja, exakt. Das ist mein Plan.
Was ich dort wirklich will? Die Seelen? (lach.) Nein. Das Gebäude ist ja nur eine Art Übergangsgefäß. Aber hast du dir schon einmal überlegt, was mit der Seele des Mädchens passiert ist? Wir haben sie nicht, du hast sie nicht und dort ist ein Dämon aus dem Nichts entstanden! Meiner ist es nicht. Und (hüsteln), hat du dir nicht je Gedanken darüber gemacht, was einmal aus uns wird?
Ha, unsterblich? Vielleicht, vielleicht auch nicht! Weißt du, ich frage mich manchmal, ob auch wir solche Seelen haben. Möglicherweise in einer anderen Dimension, oder auch nur im übertragenen Sinne, aber... . Weißt du noch, vorhin habe ich von Schicksal geredet. Vielleicht gibt es einen Plan dahinter. Denn hatte dieses Mädchen nun eine Chance in ihrem Leben? Musste der Dämon nicht von Anfang an entstehen?
Nein? Das sehe ich auch so. Also konnte es nur so passieren. Doch wer wollte, dass es genau so passiert? Und was noch wichtig ist...
...Ja, genau, was mit ihm ist. Ein Mensch ist er nicht. Er ist wie wir. Wenn wir das Gebäude nicht erschaffen haben und er auch nicht, wer war es dann?
(lach)
Du meinst, es könnte auch einfach nur das Schicksal sein. Ohne Charakter, ohne Gestalt? Einfach Schicksal und sonst Nichts? Wo wäre dann der Sinn dahinter? Hinter mir und dir? Hinter dem allem?
Es gibt keinen? Die Seele des Mädchen ist einfach vergangen? Im Nichts? Entweder sie oder der Dämon? Wenn sie ist, ist er nicht? Schwarz oder Weiß? Würde das nicht bedeuten, dass er soviel Seelen in sich einverleiben würde, wie es nur gibt und er würde trotzdem nicht satt werden? Würde es nicht bedeuten, dass er immer mächtiger werden würde? Bis er uns eines Tages herausfordert?
Die Zukunft wird es zeigen? Ha! Ja, die Zukunft zeigt alles! Und vor allem den Tod und vielleicht auch den unseren, mein Lieber. Wir sehen ihn kommen, wie einen Dämon, uns zu vernichten. Dann wird er sich aufschwingen zu herrschen. Aber was kommt danach? Was? Und noch einmal, was ist all dahinter?