Seine schneeweiße Königin
So wie sie bewegungslos dalag, war sie wunderschön.
Die langen, weißblonden Haare umrahmten ihr Gesicht wie eingefangene Strahlen einer kalten Sonne.
Ihre Arme waren angewinkelt, als würde sie ihn zu einer immerwährenden Umarmung einladen.
Die zarte Haut so hell wie der um sie drapierte Schnee… und wie das Weiße in ihren geweiteten Augen. Erfolgreich redete er sich ein, darin wäre Wiedersehensfreude gelegen – und der bewusstere Teil seines Selbst, schon vom Zaubermittel eingenommen, schenkte der Wahrheit ein frostiges Grab.
Warum hatte sie es nicht eher erkannt?
Warum war sie geflohen, um in der viel zu heißen Welt herumzustreunen, wo ihr Platz doch an seiner Seite war?
Schließlich war sie zurückgekehrt… aber ihre kristallene Stimme bekannte sich nicht zu ihm. Sie war gekommen, um einige ihrer Sachen zu holen – und um ihre Sorge um ihn in einem keifenden Tonfall auszudrücken, den er kaum ertragen konnte.
Ihre letzten Worte waren eine Lüge gewesen, eine schmutzige Lüge, die er erst ausmerzen musste. „Ich glaube, du verlierst den Verstand“, hatte sie geflüstert.
So war sie unschön. So wollte er sie nicht. Nicht, wenn sie so tat, als wüsste sie die Wahrheit nicht, die in ihren Augen gezeichnet war, in seinen Narben und in jenen Spuren, die sie zusammen im Schnee gegangen waren.
Wollte sie wirklich das Wissen verbannen, dass sie zusammengehörten? Dass sie nur für ihn da war?
Am Ende konnte er sie umstimmen, mit jenem herrlichen dunklen Ritual, das er lange für ihre Rückkehr geplant hatte. Aber halt, er klang schon wie eine ihrer Lügen!
Was er gemacht hatte, war keineswegs dunkel – im Gegenteil, es reinigte sie nur von ihren Irrtümern, von allem, was sie von ihm trennte.
Und nachdem er sie das letzte Mal geliebt hatte, war sie bereit.
Ja. Sie gehörte ihm. Sie gehörte zu ihm.
Sie war seine schneeweiße Königin, für immer und ewig.
Und in der Hand hatte er das Zaubermittel, das ihn zu ihr ins Traumland beförderte, wo sie zusammen über gläserne Schneeflocken regieren konnten. Ihr Königreich.
Er schob sich die letzte Handvoll Tabletten in den Mund und legte sich neben sie in den Schnee.