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Seine Seite

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28.10.2001
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Seine Seite

Die Tage sind hart. Immerwieder. Einer nach dem anderen. Sie kommen. Sie gehen. Sie bleiben, lang oder kurz. Sie werden in die Erinnerung aufgenommen, wenn sie es wert sind oder verblassen gänzlich. So ist das. So geht das jedem. Ihr auch.
Am Morgen braucht sie immer viel zu lange, um aus dem Bett zu kommen, zu duschen, zu frühstücken. Jedesmal ärgert sie sich darüber. Wenn sie so schnell wäre wie andere, könnte sie eine halbe Stunde einsparen. Länger schlafen. Eine halbe Stunde länger an seiner Seite schlafen. Das wäre doch was. Aber was nicht ist, das ist nicht. Vielleicht will sie es auch so. Sie könnte es sich einfacher machen. Ein bißchen. Sie könnte aufhören, jeden Morgen die Kinder in die Schule zu fahren. Sie könnte einfach damit aufhören und kann es doch nicht. Das macht sie schon immer. Auf die paar Minuten kommt es nun wirklich nicht an. Solange sie es nur schafft, ihr Brötchen mit Honig zu essen, ist alles in Ordnung. Ihr Zeitplan ist fest. Natürlich schafft sie es.
Wenn sie das Haus verläßt, ist sie gut gekleidet. Schlicht und deshalb streng. Jung, aber zu alt, um noch naiv zu sein. Ihre Kleidung verleiht ihr die Wirkung, die sie erzielen will. Sie läßt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Von niemandem. Ganz bestimmt nicht.
Sobald sie aus dem Auto steigt und sich auf den Weg macht, in ihr Büro, sieht man ihr die halbe Stunde nicht mehr an, die sie gern noch an seiner Seite geschlafen hätte. Sie lächelt. Ein strenges Lächeln. Kein aufgesetztes. Unglücklich ist sie nicht. Ein Gewohnheitslächeln. Ein sich-nichst-anhaben-lassen-Lächeln. Sie grüßt freundlich. Die einen mehr, die anderen weniger. Das "weniger" bemerkt nur sie selbst. Aber da ist es auch nötig. Um das eigene Gewissen nicht in Unfrieden zu stürzen.
Die Arbeit im Büro ist anstrengend. So viele Menschen. So viele Mißverständnisse. Ein wenig Heuchelei hier, ein bißchen Tuschelei dort. Sie hält sich da raus. Sie mag sowas nicht. Nicht leicht, sich dagegen zu wehren. Nicht leicht, das eigene Gesicht zu behalten, vor allem vor sich selbst, wo doch an jeder Ecke Masken angeboten werden. Sie nimmt keine Almosen. Sie spielt das Spiel des Lebens mit. Zu Schulden kommen läßt sie sich nie etwas . Sie ist genauso hart, wie die Tage es sind. Sie will sich mit ihnen messen. Manchmal wird sie dabei verletzt. Manchmal gewinnt sie.
Am Abend, wenn sie ihr Auto vor dem Haus parkt, ist das Lächeln schmaler geworden. Das Gewohnheitslächeln. Es verschwindet, wenn sie die Schuhe im Haus auszieht. Unglücklich ist sie nicht. Den Tisch decken. Hungrige Mäuler stopfen. Kein Problem. Harter Tag. Gekommen. Geblieben. Ihr Tag. Ihr Leben. Wie immer.
Dann kommt er nach Hause. Hängt seinen Mantel an den Haken. Nicht mehr jung. Alt genug, um respekteinflößend zu sein. Wenn sie auf ihn zuläuft, ist er ein Kind. Dumm. Naiv. Eins, das gerne Seifenblasen macht. Beim Naseputzen wie ein Elefant trompetet.

Er nimmt sie in die Arme. Sie ist klein. Verletzlich. Als müßte sie fallen. An ihn. Sie lächelt ein Lächeln. Ein leichtes. Ein Lüftchen auf ihren Lippen. Um ihre Mundwinkel.
Verschwunden, der harte Tag. Wie schön.

 

Hallo Luftgängerin,

in dieser Geschichte zeigst du das alte Problem auf, die Widersprüchlichkeit zwischen der harten Welt des "Draußen" und der weichen Sphäre des "Drinnen". Es ist schon so, dass die harten Gesetze des Existenzkampfes und des Leistungsdrucks in unserer Ellbogengesellschaft den Menschen dazu zwingen, dass er eine Maske aufsetzt, oder zumindest einen gewissen Lakonismus praktiziert, in der Art, wie er mit den anderen kommuniziert. Oft sind es gerade die sensiblen Menschen, die diese Maske zum Selbstschutz brauchen. Manchmal auch gehen sie an der Gefühllosigkeit und der Unehrlichkeit der beruflichen Umwelt zugrunde.

Ein schöner Traum wäre es, wenn Innen und Außen kongruent werden könnten. Ich glaube, man sollte nie aufhören, diesen Traum zu träumen.

Viele Grüße

Hans Werner

 

Hallo Luftgängerin

Gut beobachtet, gut beschrieben.
So scheint wohl das Erwachsenendasein zu funktionieren.Wir haben täglich aufs neue die Wahl zwischen echt, und falsch, gut, und schlecht.Du scheinst Deine Wahl getroffen zu haben, zumindest spiegelt das Deine Geschichte wieder.

Schön, sowas zu lesen.

Lord :)

 

@Lord

Ich finde es einfach schön, einen Punkt zu haben, auf den man sich immer verlassen kann. Dann kann der Alltag noch so hart sein, das Lächeln wird trotzdem bleiben. Ich denke, dass man gerade in der heutigen Zeit fähig sein muss, die Realität immer mal zu vergessen und wenn es in den Armen des Geliebten ist...oder erst recht, wenn es dort ist. Wer keine Gefühle mehr zeigen kann oder nicht will, vielleicht aus Selbstschutz oder Bequemlichkeit umgeht hier also auch das Beste.

@Hans Werner
Ich gebe mir die allergrößte Mühe diesen Traum aufrechtzuerhalten. Hoffe nur, dass ich nicht umsonst träume, denn manchmal ist es ganz schön schwer, an sowas wie inneren Frieden noch zu glauben.

grüße, luftgängerin

 

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