Selbst(hats)gemacht
07:30Uhr: Arbeitsbeginn…
Gerade pünktlich berührt mein Pin die Stechuhr. Nummer 0047 ist nun offiziell anwesend, arbeitsbereit und im System erfasst. So ist das heutzutage, man hat keinen Namen mehr, sondern eine Nummer, ich beklage mich nicht…47 ist eine schöne Zahl.
08:00Uhr: Arbeitsbeginn?Mein Computer ist an, mit dem Intranet verbunden und somit nun auch, für jeden Chef sichtbar, arbeitsbereit. Ich habe eine Tasse Kaffee vor mir stehen, länger als nötig meinen Schreibtisch geordnet und mit einer Kollegin über ihren Urlaub gesprochen. Trotzdem ist erst eine halbe Stunde vergangen. Ein Seufzen entrinnt meiner Kehle, ich wusste es würde wieder ein langer Tag werden. Als ich mich umsehe, bemerke ich das, obwohl wir alle im System als „arbeitend“ verbucht sind, keiner einen Vorgang am PC geöffnet hat oder wenigstens ein Dokument in Händen hält. Jaja, das Wunder der Technik. Bei diesem Gedanken visualisiert sich ein Bild von meinem Chef vor meinen Augen. Er trinkt Kaffee und führt ein privates Telefongespräch.
08:15Uhr: Arbeitsbeginn!
Die letzten treffen im Büro ein, wieder geht der Smalltalk von vorne los: „Wie war dein Urlaub? Ägypten, nein wirklich? Ach da wollte ich auch schon immer hin, wie waren ja letztes Jahr…“ Ich höre schon nicht mehr hin, mittlerweile habe ich die Geschichte zum achten Mal gehört. Peinlich berührt gestehe ich mir innerlich ein, dass ich ja selbst auch gefragt hatte. Nicht aus Interesse sondern um Zeit tot zu schlagen, so wie die meisten anderen auch. Ich öffne mein E-Mail Postfach. Neben den tausend weitergeleiteten Mails von Kollegen mit Titeln wie: Das Passiert wenn…, Darum kann ein Strauß nicht fliegen, Pandababy niest, etc., befinden sich auch ein paar Anfragen von Bürgern, die ich jedoch noch nicht beachte.
08:30Uhr: Jetzt aber wirklich!
Ich habe alle Mails beantwortet. Nein, nicht die von den Bürgern. Aber dafür hat meine Mutter und meine Freundin jetzt ebenfalls das niesende Pandababy. Man muss schließlich Prioritäten setzen. Nach einer Stunde Anwesenheit mache ich mich endlich an die Arbeit. Eine Stunde vermag nicht viel zu sein, doch in diesem Gebäude geht die Zeit oft sehr langsam. Es kommt mir jedenfalls so vor.
09:45Uhr: Erst mal eine Pause
Die Sucht beginnt sich zu melden, da ich keine Zeit verlieren möchte, erhebe ich mich natürlich sofort und gehe dem Drang nach. Wieder piept die Stechuhr als ich den Pin davor halte. Offiziell im System ausgebucht, als „nicht arbeitend“ eingetragen. Durch den Hintereingang gelange ich zum Raucherbereich. Ich zünde mir eine Zigarette an und ziehe genießend an meinem persönlichen Sargnagel. Leider ist meine liebe Kollegin auch Raucherin und so dringt folgendes Gespräch an mein Ohr: „Ja Ägypten ist wirklich wundervoll, die Pyramiden sind wahre Wunder…“ Schmunzelnd rauche ich meine Zigarette zu Ende.
09:55Uhr: Back again
Im Büro angekommen (natürlich habe ich vorher wieder angestochen) wird es hektisch. Im Flur stehen ungefähr 25 Bürger mit Gewerbeanträgen, Ummeldungen, Anmeldungen, Abmeldungen, Personalausweis und Reisepass ändern oder beantragen und natürlich hat keiner dieser Personen mehr als zehn Minuten Zeit. Zum Glück lassen sich Arbeiter im öffentlichen Dienst nicht davon beeindrucken, schon gar nicht zu einer schnelleren Arbeitsweise antreiben, sonst wäre vielleicht wirklich Stress ausgebrochen.
12:30Uhr: Mittagspause
Die Pause habe ich mir verdient. Manche Menschen konnten sehr anstrengend sein, heute hatte ich wohl wieder alle bei mir im Büro. Meine Kolleginnen und ich treffen uns in einem Cafe, das Mittagessen fällt etwas größer aus als geplant aber wir haben viel Spaß. Zum Glück ohne Ägyptengeschichte.
13:45Uhr: Arbeit, Arbeit, Arbeit!
Wir haben die Mittagspause etwas überzogen, nicht weiter schlimm es ist sowieso noch kein Bürger zu sehen. Ich setze mich wieder an den Computer, schaue im Internet wie das Wetter morgen wird und surfe ein bisschen durch die Nachrichten, schließlich muss man ja auf dem neuesten Stand bleiben.
14:30Uhr: Smalltalk
Der Espresso ist gerade fertig geworden, wir versammeln uns in einem Büro und trinken jeder eine Tasse, dabei werden verschiedene Dinge besprochen, die meisten haben mit unseren Privatleben zu tun. Arbeit haben wir schließlich genug, da muss man nicht auch noch darüber reden.
14:50Uhr: Endspurt
Die letzten Bürger drängen sich in den Fluren, die meisten kommen kurz bevor wir schließen. Viele haben nicht die nötigen Papiere dabei, so werden sie immer wieder weggeschickt bis endlich alles vorhanden ist und der Vorgang endlich abgeschlossen werden kann. Für uns ist es nicht mehr Arbeit, es bedeutet nur mehr Ärger für die Bürger, meist wird das dann an uns ausgelassen. Wir finden uns damit ab, sonst hätten wir alle schon ein Magengeschwür.
16:30Uhr: Feierabend
Ich packe meine Sachen zusammen, fahre den PC herunter und mache mich auf den Weg zur Stechuhr. Ich drücke den Knopf für „gehen“ und kann an der Stundenanzeige erkennen dass ich keine einzige Überstunde habe, lediglich 5 Minuten im Plus. Das reicht Voll und Ganz. Der Job war wirklich einfach, trotz der ganzen entspannten Atmosphäre wird jede Arbeit erledigt, fast wie von selbst.
In der Abteilung von Nr. 0047 sind bereits alle nach Hause gefahren. Nur in einem Büro brennt noch Licht. Melanie Selbst sitzt dort an ihrem Schreibtisch, die Hände gegen die Stirn gepresst. Als es 19:15Uhr ist, packt auch sie endlich ihre Sachen und geht nach Hause.
Seit 07:00Uhr morgens war sie im Büro, sofort hatte sie sich an die Arbeit gemacht, um die Berge von Gewerbeanmeldungen zu bearbeiten. Ihre Mittagspause hatte sie nicht wahrgenommen, sie aß währen sie mit Anmeldungen beschäftigt war. Von den persönlichen Gesprächen oder dem Espresso bekam sie nichts mit, sie war viel zu sehr in ihre Dokumente vertieft. Jeden Morgen sah sie die anderen später kommen, sie wusste das kaum einer von den anderen vier Damen in der Abteilung etwas bewirkte. Jeden Abend blieb sie länger als die anderen und erledigte deren Arbeit.
Nun steht sie in der Tür, schaltet das Licht aus und wünscht sich, dass sie einen genauso einfachen Job hätte wie Nr.0047.