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Shivaisten-Fasten nach Timmerberg
Nach Timmerberg? Nach Timmerberg.
Habe ich in einem seiner Bücher gelesen.
Erstens hat Helge Timmerberg mich auf die Idee des Fastens gebracht. Einen Tag pro Woche bringt das neben positiven gesundheitlichen Aspekten auch psychologisch etwas Pfiff in den Alltagstrott. Eine Herausforderung für Körper und Geist in dem sonst allgegenwärtigen Alles-im-Überfluss-und-noch-ein-bißchen-mehr-Gefüge. Bleibt die bange Frage „Schaffe ich das überhaupt?“.
Und zweitens gibt es für diese Überschrift noch einen Grund. So ganz genau weiß ich das natürlich nicht, aber wenn man bedenkt, dass während der Shivaisten-Diät Essen, Alkohol und Sex verboten, Wasser, Kaffee und Haschisch jedoch erlaubt sind und sich gleichzeitig vor Augen hält, dass Herr Timmerberg einer Zigarette nicht gerade abgeneigt entgegentritt, schlussfolgere ich daraus, dass die pure Zigarette am Fastentag ebenso erlaubt ist. Und zwar so viele man möchte. Das jedenfalls lese ich zwischen seinen Zeilen, und es kommt mir sehr gelegen, denn so vergeht der Tag zügiger.
Begonnen hat der Tag ganz normal und wie so oft um 6 Uhr morgens.
Nicht, dass das bei mir aus beruflichen oder gesellschaftlichen Zwängen heraus notwendig wäre, ich genieße es einfach, den Tag mit Zeit für Müßiggang einzuläuten. Heute hat der Müßiggang den Entschluss zum eintägigen Fasten hervorgebracht. Das ist es, was ich an meinen frühmorgendlichen Momenten so liebe. Plötzlich kommt eine alte Idee aus den Tiefen der Seele und will umgesetzt werden. Nun gut, dann halt Fasten. Da ich sowieso Zuhause nicht frühstücke, vormittags für gewöhnlich keinen Alkohol zu mir nehme und allein in meiner Wohnung aufgewacht bin, kann ich mit dem Fasten auch sofort loslegen, noch habe ich ja nichts falsch gemacht.
Vergnügt und voller Vorfreude schlendere ich gegen 8 Uhr zur Arbeit. Drei Stunden später dann das erste Magenknurren. Das ist normal. Das ist bei mir an einem Arbeitstag morgens um 11 Uhr immer so. Stört sich auch keiner mehr dran. So weit, so gut.
Ab 13 Uhr darf ich mich bereits meiner Nachmittagsfreizeit erfreuen, in der ich mich um meine beiden Kinder kümmere. Allerdings haben Kinder manchmal Hunger, genau wie ich, besonders in der Mittagszeit. Jetzt wird es erstmals ein wenig brenzlig. Vor lauter Speichelfluss am Herd brauche ich meine Wasserflasche nicht. Ich kläre meine Kinder über meinen komischen Plan für heute auf und möchte am liebsten zur Mahlzeit den Raum verlassen. Scheiß Hunger. Oder, vielleicht geht ja eine Tomate. Da liegen welche. Eine Tomate ist ja eigentlich kein Nahrungsmittel, vor allem, wenn sie aus Holland kommt. Rotes Wasser in nährstofffreier Hülle. Ich könnte ja heute eine Tomatendiät machen. Aber nee, das gilt nicht, Augen zu und durch.
Vielleicht sollte ich hier zum besseren Verständnis der räumlichen Situation kurz einfügen, dass meine Kinder bei ihrer Mutter wohnen und ich sie (die Kinder, nicht die Mutter) dort bespasse.
Während die Kleinen essen, sitze ich also tatsächlich am Tisch und schaue zu.
Zwei dürfen sich laben, einer möchte darben. Aber, wenig später habe ich die erste wirkliche Hürde des Tages genommen. Ich bin ein wenig stolz auf mich, selbst die Tomaten reizen mich momentan nicht mehr.
Am Nachmittag ist action angesagt. Kurzweil für die Kleinen und vor allem Turbozeit für mich. Nur nicht nachdenken, nur nicht zur Ruhe kommen, auf keinen Fall mich meinem Bauchgefühl hingeben. Ablenkung bis zum Abwinken. Das ist ja der Vorteil unserer schnelllebigen Zeit. Man verdrängt sich und seine eigentliche Bedürfnisse total. Heute kann ich daraus mal einen Vorteil ziehen.
Die nächste Hürde baut sich gegen 18 Uhr vor mir auf, bei der Zubereitung des Abendbrots. Warum nur habe ich gerade den heutigen Tag für mein Fastenexperiment gewählt? Wenn man vom Alkohol wegkommen möchte, macht man das ja auch nicht in einer Brauerei.
Offensichtlich wollte mein Unterbewusstsein es mir so richtig besorgen, denn an die gemeinsamen Mahlzeiten mit meinen Kindern habe ich heute Morgen zumindest bewusst nicht gedacht.
So langsam bekomme ich Angst vor dem Abend. Denn in meinem Zuhause bin ich ja dann allein. Ich muss mich vor niemandem rechtfertigen. Es gibt dort kein Versagen, weil es ja niemand bemerken würde. Ich könnte mir eine schöne Entschuldigung zurechtlegen, etwas essen und damit nur mich selbst betrügen. Selbstverantwortlichkeit und Selbstachtung, diese Worte bekommen auf einmal eine neue, eine klarere Bedeutung für mich. Und ich habe Angst vor diesen Begriffen. Kann ich ihre Bedeutung leben? Nur in einem ganz kleinen Rahmen? Indem ich einfach nicht esse. Ohne Alkohol? Also die volle, nüchterne Dröhnung. Haschisch und Sex sind mir heute sowieso scheißegal. Egal ist es deswegen auch, dass ich das eine darf und das andere nicht. Meine Bewährungsprobe bekommt plötzlich eine ganz andere Dimension. Es geht gar nicht mehr darum zu fasten. Es geht darum, ein mir gegebenes Versprechen MIR gegenüber einzuhalten. Bei allen Freiheiten, es zu brechen. Es geht hier um mich.
Bei der abendlichen Mahlzeit (der Kinder) sehe ich das Knäckebrot. Ist Knäckebrot ein Nahrungsmittel? Auf jeden Fall mehr, als es Tomaten sind. Ich könnte heimlich eines essen, ohne dass die Kinder es bemerken. Vielleicht muss ich es ja auch essen. Aus rein medizinischen Gründen. Mir ist mittlerweile nämlich nicht mehr nur flau im Magen, sondern auch flau hinter der Stirn. Ja, das ist ein Argument. Medizinische Gründe. Ich habe ja nicht vor, mich umzubringen, und dann auch noch vor den Kindern. Aber es wäre Selbstbetrug. Gott sei Dank senkt sich meine innere Waagschale auf Seiten der Selbstachtung und nicht auf der der Selbsterhaltung. Allein das ist ja auch mal `ne Erkenntnis. Lieber tot als rot, wie es früher mal (einigermaßen zu Unrecht) hieß.
Und so verläuft das Abendbrot, ohne Knäckebrot.
20 Uhr. Die Mutter meiner Kinder kommt heim, Übergabe, Schichtwechsel quasi. Wenig später fahre ich heim in den zunehmend gefürchteten Abend. Heim zu mir, und damit meine ich nicht meine Wohnung.
Ich habe mich selten so auf ein Frühstück gefreut wie heute auf das morgige.
Ich sitze ich in meinem Auto und denke an die nachmittags erworbene Tüte Müsli neben mir wie an einen guten Freund, der nach langer Zeit seinen Besuch angemeldet hat. Er steht bereits vor der Tür, ich brauche ihm nur zu öffnen, niemand würde es bemerken.
Der gefürchtete Abend beginnt.
Aber wie sooft in meinem Leben stellen sich gefürchtete Situationen, treten sie dann ein, als gar nicht mehr so bedrohlich dar. Vielleicht sind sie durch meine Vorfurcht bereits ausgesaugt?
Zugegeben, der Tag ist rein physisch gesehen kacke. Also fahre ich nicht direkt in meine Wohnung, sondern begebe mich direkt zu mir. Ich parke etwas abseits von meinem Heim und gehe zu einem der vielen Kanäle in der Nähe. Dort setze ich mich am Ufer hin. Ich schaue. Ich fühle. Ich atme. Ich bin.
Was ist denn heute auch schon Schlimmes passiert? Über den vergangenen Tag hinweg versöhne ich mich jedenfalls mit ungesüßtem grünen Tee, den endenden Tag verbringe ich am Wasser und gebe mich den Eindrücken hin, derer ich habhaft werde. Ich habe keinen Hunger. Ich bin nur irre präsent.
Und den Rest des gefürchteten Abends schreibe ich mir zuhause den heutigen Tag von der Seele. Und das macht mich, wie der heutige Tag auf einmal selbst, wirklich glücklich. Denn ich habe heute etwas gelernt. Über den Wert der Selbstachtung. Egal, welches Versprechen du gibst, halte es um deiner Selbst Willen ein.