- Beitritt
- 24.04.2003
- Beiträge
- 1.444
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Sie werden bald kommen
Ich mag Eindringlinge nicht.
Manuel sitzt mir gegenüber auf dem Sessel und versinkt darin wie ein resignierter König, dem die Krone mitsamt ihrer vergoldeten Zacken irgendwie nach oben gerichtet in den Arsch gerutscht ist. Diese Art von "Ich hab da glaub ich was verloren und woanders penetriert es nun aufs Übelste" Doofsache halt, über die man lieber Schweigen bewahrt. Gerade Sonntags.
Nervös dreht und wendet er die DVD Hülle. Ich glaube nicht, dass er den aufgedruckten Klappentext, oder die Namen der Macher des Films, liest. Es wirkt eher so, als hätte er das vorläufige, verkleinerte Modell seines eigenen Grabsteins aus Pappmaché gefertigt zur Hand, und posiert damit rum, weil er noch nicht weiß, in welche Richtung die Füße nach dem Tod zeigen sollen.
Geht das eigentlich ... umgekehrt begraben zu werden?
"Ich habe Motten in der Wohnung", stelle ich fest, als spräche ich übers Wetter.
Er nickt, und endlich legt er die bescheuerte Hülle beiseite.
"Deshalb hast du mich angerufen", gibt er schamhaft zurück, den Blick dabei begierig auf der Hülle klebend. - "Geil, da spielt ja Dustin Hoffmann mit!"
Ich tippel mit den Füßen über das Laminat. Das macht Geräusche. Geräusche, die andere Menschen zwangsweise zum weiterreden zwingen.
"Also", räuspert sich Manuel, "Ich seh hier aber grad gar keine Motten."
Ich muss lachen. Dieser Naivling.
"Sie kommen nur", beginne ich. Dann setze ich melodramatisch nach: "Sie kommen nur, wenn ich allein bin."
Er greift nach der Hülle.
"Wusste ich echt nicht, dass da Dustin Hoffmann mitspielt."
Ich schlage ihm das Plastikteil aus den Griffeln und brülle in sein entsetztes Gesicht: "Ich mag Motten nicht. Sie sind unkontrolliert, machen so hektische Richtungswechsel, von quer nach da, gegen die Lampe, gegen mich, prallen mir ins Gesicht. Immerhin prallen sie ab. Weil ich sie abprallen lasse, weil ich das bestimmen kann. Wenn sie mir aber doch irgendwann anhaften?"
Jetzt will er gehen.
Er steht auf und will gehen, prallt zwischendurch an der Wand ab, und schaukelt zwischen Flurtür und Kommode umher; er macht unkontrollierte Richtungswechsel, knallt mit dem Kopf vor die Stehlampe. Er beginnt zu flattern; von seinen Flügeln regnet Pulver; jetzt ist er total unkontrolliert in der Luft. Er springt von einem Punkt zum anderen, und ich schlag zu, doch die Motte will nicht sterben. Sie kreiselt einfach immer weiter. Dann fällt sie gegen mich, wird zurück geschmissen und landet mit dem Teil des Mottenkopfes, der zum Hirn hin offen liegt genau an der Kante meines neuen Getränkerollwagens.
"Bist du blöd oder was?"
Da guckt der Manuel irritiert aus der Wäsche. Die Whiskyflasche ist heruntergefallen, und überhaupt sind überall Scherben. Der macht hier echt alles kaputt.
"Du Motte ... dich saug ich mit dem Staubsauger auf!"
Da hängt noch ein Stück Iris dran. Die Flügel sind nicht durchs Rohr gegangen. Die Iris.
Immer für eine Überraschung gut.
"Siehst du sie? Siehst du sie ... die Motten sind überall!"
Ich schalte den Staubsauger ein. In einem Stück geht das nicht.
Motten muss man mit Messern portionieren.
Hier der Link zum Original.