"Sie werden kommen!"
"Sie werden kommen!", hatte er gesagt. "Sie werden uns holen!", hatte Brian mehrmals gewarnt und keiner hatte ihm geglaubt.
-
"Mama!", rief Brian verängstigt. "Sie haben wieder angerufen!"
Er wusste nicht mehr wann der erste Anruf kam. Der fünf Jahre alte Brian, der mit seinen Eltern in einem ruhigen Vorort von Los Angeles wohnte, konnte zuerst nicht recht glauben, was passierte. Nie hatte ihn jemand auf seinem kleinen Spielzeugtelefon angerufen. War dies überhaupt möglich? Seit einiger Zeit hatte er schon gar nicht mehr damit gespielt und plötzlich fing es an zu klingeln. Es war im Wandschrank untergebracht und das Klingeln drang gedämpft und gleichmäßig durch das Holz der Eichentür. Brian saß im Wohnzimmer und sah mit seinen Eltern eine Quizshow an, die jeden Abend um die selbe Zeit zu sehen war. Verträumt lag er auf dem Schoß seiner treusorgenden Mutter und genoss ihre warme Hand, die ihm durch die Haare fuhr. Er ahnte noch nichts von dem Unheil, das kommen würde.
-
Verängstigt lag Brian unter der Decke. Eingekugelt wie eine Kellerassel die Schutz suchte. Er zitterte und wiederholte immer wieder die Worte: "Bald sind sie hier!"
-
Als Brian nach der Quizshow ins Bett gehen sollte, hörte er es dann zum ersten Mal. Er ging die Stufen der breiten Holztreppe hinauf, als er das Klingeln bemerkte. Deutlich war es für ihn zu erkennen, dass dieses Geräusch aus seinem Zimmer drang und neugierig lief er die Treppe hinauf. Eilig schaltete er das Licht an, es war schon dunkel draußen, und suchte die Quelle des Klingelns. Es war aufgeräumt, und so wurde er schnell auf den Wandschrank aufmerksam, aus dem noch immer das monotone Klingeln des Spielzeugtelefons drang. Langsam, ein wenig ängstlich, hob Brian die Hand, um den geschlossenen Wandschrank zu öffnen. Genauso langsam wie er schon ahnte, dass sein altes Spielzeugtelefon, das nicht mal eine Klingel besaß, der Ursprung war.
-
"Ich dachte du spielst nicht mehr mit deinem Telefon.", hatte sie gesagt.
"Lass ihn doch, wenn er es doch will!", hatte er gesagt.
-
Zögerlich legte er seine Hand auf das kalte Holztelefon. Es vibrierte leicht. Er atmete noch einmal tief ein und drückte dann den Hörer gegen sein Ohr. Es hatte aufgehört zu klingeln. Leise und vorsichtig sagte Brian: "Hallo?" Niemand antwortete und gerade wollte er auflegen, da dröhnte eine Stimme aus dem Telefon:
"Wir werden kommen! Wir werden euch alle holen!" Nicht nur das, was sie sagte, beunruhigte Brian, sondern erst recht der Klang der Stimme, die zu ihm sprach. Es klang als spreche jemand durch eine große Röhre. Sie klang dazu noch kratzig und betonte die Worte "kommen" und "holen", indem sie in der Tonlage einige Oktaven höher sprang.
"Wer... wer ist da?", wollte Brian, vor Angst stotternd, wissen. Kaum hatte er seine Frage ausgesprochen, begann das Lachen. Nicht nur der Anrufer lachte, sondern tausend weitere Stimmen waren im Hintergrund zu hören und Brian wusste nun, warum der Anrufer "wir" gesagt hatte.
-
Vorsichtig blickte Brian unter seiner Bettdecke hervor. Still stand das Holztelefon auf seinem Nachttisch. Er fragte sich, ob sie noch mal anrufen würden, vor ihrer Ankunft.
-
Zitternd und weinend rannte Brian aus seinem Zimmer. Er glaubte an das, was er gehört hatte und wollte seinen Eltern davon berichten. Schnell eilte er die Stufen hinunter und sprang auf die Couch, genau zwischen seine Eltern.
"Schatz, was ist denn los?", fragte seine Mutter und wischte ihm eine Träne von der Wange.
"Mei... Mei... Mein Telefon. Es hat ge... geklingelt.", antwortete er und versuchte dabei das stetige Zittern in seiner Lippe unter Kontrolle zu bringen.
"Wie? Dein Telefon hat geklingelt? Du weißt doch sicher schon, dass Telefone, die aus Holz sind nicht funktionieren." Natürlich wusste er das.
"Etwas das keine Klingel hat, kann auch nicht klingeln. Verstehst du das?" Sein Vater legte ihm seine Hand sanft auf den Kopf.
Brian konnte nicht verstehen, wie seltsam sich seine Geschichte anhörte. "Sie werden kommen.", sagte er. "Sie werden uns holen."
-
Ob es wohl geholfen hätte, wenn er das Telefon einfach auf den Müll geschmissen hätte. Aber irgend etwas zwang ihn herauszufinden welche höllischen Wesen ihn terrorisierten.
-
Am nächsten Abend klingelte das Telefon erneut. Brian hatte den ganzen langen Tag versucht seine Eltern davon zu überzeugen, dass er sich nichts einbildete, dass er die Wahrheit sprach und nun war es ihm egal. Was sollten seine Eltern denn auch tun? Ihm war klar, sie würden es niemals verstehen. Er nahm den Hörer ab und hörte ein Keuchen, ein nach Luft ringendes Keuchen, das dann überging in die Worte: "Bald sind wir da! Du kannst nicht entkommen!"
"LASST MICH IN RUHE!", schrie Brian. "LASST MEINE ELTERN IN RUHE!" Wieder folgte quiekendes Gelächter und das Keuchen setzte sich fort.
-
An jedem der vielen Tage war er ans Telefon gegangen. Er konnte nicht mehr schlafen vor Angst und konnte nichts mehr essen.
-
"Komm, lass los!", schrie seine Mutter. "Das Telefon muss endlich weg. Ich will nicht mit ansehen wie es unser Leben, wie es DEIN Leben zerstört!" Sie senkte ihre Stimme auf ein liebliches Niveau. "Sei so gut. Gib es her."
"NIEMALS!", entgegnete ihr Brian und die Adern an seinem Hals waren aufgebläht vor Wut. Wieso verstanden sie nicht, dass er wissen musste, wann die Ankunft war. Er musste auf den Anruf warten, der das Ende bedeuten würde. "LASST MICH ENDLICH IN RUHE!" Er hatte ihnen sogar das Klingeln gezeigt, ihnen den Hörer in die Hand gegeben und sie behaupteten noch immer nicht zu hören. Seine Eltern schüttelten besorgt den Kopf. Brian glaubte Tränen in den Augen seiner Mutter zu sehen, als sie eilig den Raum verließen.
-
"Oh mein Gott! S... S... Sie sind da!", flüsterte Brian zu sich selbst, als er die Haustür auffallen hörte, und stellte sich die verzogen Fratzen, dieser kleinen unterirdischen Wesen vor, die ihn bedrohten. In den letzten Tagen hatte er Bilder gezeichnet. Er hatte sie genau so gezeichnet wie er sie sich vorstellte. Kleine koboldähnliche Monster, mit rassiermesserscharfen Zähnen und einem roten Glühen in den Augen, das den Ursprung im Brennpunkt der Hölle hatte. Die Bilder hatte Brian überall in seinem Zimmer aufgehängt. Er wickelte sich immer fester in seine Decke hinein. Er konnte die schon die vielen Schritte auf der Treppe hören, die immer näher kamen. Und schließlich konnte er den Schatten erkennen, der unter der Tür das Licht verschluckte, das ins abgedunkelte Zimmer drang. Als die Tür sich öffnete betraten seine Eltern den Raum. Doch jemand war bei ihnen. Zwei Männer.
"Brian?", sagte seine Mutter. "Diese Männer werden dich mitnehmen."
Brian verstand das nicht. Was war da los? "W... Wieso?", fragte er und schaute mit unschuldigem Hundeblick seine Eltern an.
"Du lässt uns doch keine andere Wahl. Ein ganzes Jahr telefonierst du schon mit deinen angeblichen Monstern. Du isst nur noch selten etwas und verlässt dein Zimmer nicht mehr." Was versuchte sie ihm da zu sagen. Er verstand es nicht.
"Und du bist von der Schule geflogen, aber das schlimmste für uns waren allerdings die paar Abende an denen du uns mit dem Messer bedroht hast, weil wir dir dein Telefon wegnehmen wollten." Sie fing wieder an zu weinen und die Männer trugen den um-sich-schlagenden Jungen aus dem Haus.