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Silvester-Erwartungen

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15.11.2014
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Silvester-Erwartungen

Es war ihr plötzlich klar, wohin das alles führen sollte. Der Alkohol, die Stimmung, die leisen, vorsichtigen Berührungen auf ihrem Oberschenkel, die sanften Küsse, die sie nur ganz nebenbei erwidern konnte, als müsste sie es. Als würde von ihr erwartet, sie zu erwidern, als würde es sich so gehören, den Mund nicht wegzudrehen.

Und da plötzlich ergriff sie mit einem, bist du mir böse, wenn ich doch nach Hause fahre, die Flucht. Eine Station vor der Station, die sie vielleicht auch einfach nur ein Stückweit bringen wollte, ein Stückweit in ein neues, in ein anderes Leben. Da plötzlich nutzte sie die letzte Gelegenheit, rauszuspringen. Abzuspringen. Und stieg in die nächste U-Bahn ein, sogar der Karlsplatz als Zwischenstation machte nicht mehr Angst, als die neue Station, diese unbekannte Station in ihrem Leben, von der sie nicht wusste, wohin sie sie bringen würde.

Er war einfach zu groß. Sein breites Lachen, das seine Zähne zeigte, war so hell, dass es ihr Angst machte. Sie tat es als ein wenig unbeholfen ab, dabei spürte sie von ihm aus keine Angst ausgehen, es war ihre Angst, die sie dazu zwang, abzuspringen. Dazu zwang, in ihre eigenen vier Wände nach Hause zu kehren, den Geschirrspüler noch abzuschalten, der inzwischen das Geschirr gespült hatte, als müsste er den letzten Dreck, den letzten Schmutz des alten Jahres beseitigen, als würde er damit auch alle Zweifel beseitigen, alle Unsicherheiten, alle Angst vor diesem neuen, unbekannten Leben. Mit einem neuen, einem anderen Mann? Der so plötzlich da war. Und sie um einen ganzen Kopf überragte. Wenn sie sich etwas unbeholfen und irgendwie auch, weil sie das Gefühl hatte, es würde von ihr erwartet werden, versuchte, sich an ihn zu schmiegen, dann kam sie nur bis zu seinem Hals. Und sein Kinn berührte leicht ihren Kopf, schwebte über ihren Kopf hinweg. Ein komisches Gefühl, und wenn sie ihn umarmte, so wie sie ihn umarmt hatte, dann lag ihre Hand ganz ungewollt an seinem Po. Und schnell zog sie sie zurück, das war dann doch ein falscher Griff, und legte sie ein Stück weit weiter oben ab, an seinen Hüften.

Ganz plötzlich hatte er ihre Hand genommen, und sie versteckt hinter sich gehalten, so dass niemand sehen konnte, dass sie Händchen hielten, versteckt, hinter ihrer beider Rücken sich zum ersten Mal abtasteten, wie lange waren seine Finger, wie fühlten sich seine Fingernägel an. Wie sollte das weitergehen, wohin führen? Und sie tanzten, beide ein wenig unbeholfen, und doch im Takt und sie standen irgendwie, obwohl mitten drinnen, doch ein wenig abseits. Der Luster hing über ihnen, die großen, dicken, roten Vorhänge, die Bar im Rücken und der DJ vor ihnen. So standen sie und wiegten ihre Körper zum Takt der Musik, zumindest versuchten sie es, und doch kam es ihr so vor, als würde sie beide etwas hindern, „richtig“ zu tanzen, so wie die anderen, ohne Rücksicht darauf, wie das aussehen könnte, die Hände wollte sie nach oben strecken, schreien wollte sie. Im Mittelpunkt stehen wollte sie und sie dachte, es würde gehen, würde sie nur mit einem anderen hier sein, der nicht ebenso unbeholfen neben ihr stand, der beim Sitzen nicht ebenso einen runden Rücken machte, wie sie. Wollte sie sich wieder einmal selber nicht sehen?
Dabei begann alles so vertraut, irgendwie, so, als würde es stimmig sein, in seiner Küche zu stehen und darauf zu warten, dass die Zucchini ordentlich durchgeröstet wären, damit man dann die Tomatensauce dazu geben könnte um zu warten, dass alles ordentlich durchzieht und im Topf daneben begann schon das Wasser langsam zu kochen, zu sieden und sie sahen den ersten Blasen zu, die das Wasser zu bilden begann, als seine Temperatur stieg, bis zum Siedepunkt, wo lag der noch gleich? Und da holte er Salz raus, ließ es ins Wasser rieseln, dabei lachten sie über eine Kochsendung, die für beide schwer auszuhalten war. Weil die sie die beiden beide für blöd befanden, nämlich für richtig blöd.

Zum Essen machten sie den Wein auf, einen steirischen Junker, ja, das sei ein junger Wein. Ein spritziger Wein, er schmecke gut, zumindest nach dem zweiten oder dritten Schluck nahm sie den säuerlichen Geschmack gar nicht mehr wahr.
Halumni-Käse hatte sie auch nie zuvor probiert, er schmeckte salzig und neu auf ihrer Zunge. War angebraten, hatte eine braune Farbe bekommen und lag da, in Scheiben geschnitten, in der kleinen, zerkratzten Pfanne. Weingläser gab es auch keine, das mache doch nichts, und doch dachte sie, sie hätte welche und Weingläser müsse man doch haben, oder? Und doch trank sich der Wein auch aus den kleinen Wassergläsern ganz gut. Sie schenkte sich nach, auch er hielt sein Glas hin, hatte er zuvor noch das Essen ausgeteilt und auf ihre kleinen Teller gegeben, so schenkte sie nun den Wein aus. Er hatte sich fürs Essen zuständig erklärt und sie sich für die Getränke, ein Stück Arbeitsteilung, war es ihr durch den Kopf geschossen, so wollte sie es doch immer haben?! Und sollte es jetzt plötzlich da sein, plötzlich in ihr Leben getreten sein? Das, was sie immer dachte, dass es sie glücklich machen würde?

Und sie quatschten, erzählten sich von steilen Einfahrten zu ihren Häusern, die noch immer zu Hause standen, aus denen sie gekommen waren, von denen sie weggegangen waren, in die große Stadt, in der sie nun saßen, auf Ledercouchen. Sie hatte sich den hellen lederbezogenen Sessel geschnappt, wollte ihm nicht gegenüber sitzen, gegenüber sitzen, das hat immer sowas von Angriff, von Herausforderung, also nahm sie lieber den anderen Platz, ums Eck, von ihm aus gesehen.

Zum Rauchen gingen sie nach draußen, ins Stiegenhaus, von dem aus die Treppen nach unten führten, die sie zuvor raufgegangen war, vier Stockwerke, ohne Lift. Achja, da war doch was mit viertem Stock, sagte sie, als sie um Atem ringend, aber mit einem Lächeln am Gesicht oben angekommen war, wo die Tür, die in die Wohnung führte, Nummer 9, schon offen stand, Licht drang auf den Gang und der Geruch von Kochen, der automatisch gleich eine Wärme erzeugte, eine Wärme, die sie zu suchen ausgezogen war. Suchte die Wärme sie, oder suchte sie die Wärme, was war die Ursache und Wirkung ihres Tuns, und war zuerst die Henne oder das Ei? Sie wusste es nicht, aber sie stand da, am Ende des Treppenhauses, mit ihm, rauchend, neben dem völlig überfüllten Aschenbecher, ein Marlboro-Aschenbecher, wie sie später bemerken sollte, der sie fast unbemerkt bat, leer mich aus, leer mich aus…als sie dann einmal alleine nach draußen ging, um an ihrer Zigarette zu ziehen, während er offenbar die Gelegenheit nutzte, sich noch schnell umzuziehen.

Erst später hatte sie bemerkt, dass die Farbe seines T-Shirts plötzlich eine andere war, weiß, wo zuvor braun gewesen war, weiß mit kleinen Knöpfchen, die oberen zwei standen offen, oder waren es drei? Und darüber ein dunkelblauer Pulli, mit Reißverschluss, der gerade so weit offen stand, dass man das helle T-Shirt mit den Knöpfen herausstechen sah, das sich abhob von seiner dunklen Umgebung, wie die hellen Wolken an einem Gewitterhimmel.

Die mitgebrachten Spiele hatten gleich einen Platz gefunden, auf der Couch, die im Vorraum stand, vier Couchen gab es also in der Wohnung – eine gleich beim Eingang, drei im Wohnzimmer, ein Zimmer stand leer, wurde gar nicht geheizt, da sei es kalt drinnen, meinte er. Sie richtete sich schonmal ihr Büro ein, in dem leeren, kalten Zimmer, das am Ende des Gangs war, in das sie nicht einmal geschaut hatte, genauso wenig wie ins Schlafzimmer, das sich hinter der Tür verbarg, die sie, als sie im Wohnzimmer saß, im Rücken wusste. Die Tür ins Schlafzimmer, das sie in Gedanken schon mit ihm betrat, später, wenn sie wieder zurückkommen würden, in seine Wohnung, in die er sie eingeladen hatte. Genauso, wie sie es sich ausgemalt hatte. Hatte sie nicht gedacht, sie würde gerne von ihm eingeladen werden, sie würde gerne seine Wohnung sehen, die groß sein musste, groß genug, war sie doch zuvor eine WG gewesen. Sogar zu dritt hätten sie hier einmal gewohnt, hatte er erklärt, als er noch in der Pfanne rührte, die Zucchini einrührte in die rote, langsame Sauce von den Dosentomaten. Eine schwarze Dose, aus der sie herausquollen, die geschälten, geschnittenen, enthäuteten Tomaten. Das könnte man doch auch eigentlich selber machen, wie geht das noch gleich? Die Tomaten kochen und dann musste man sie in kaltes Wasser legen, sozusagen abschrecken, wie ein Ei, dann ließe sich die Haut ganz leicht abziehen, das hatte sie schon öfter gehört, im Fernsehen, bei irgendeiner Kochsendung, die sie schon vergessen hatte, dass sie sie überhaupt geschaut hatte. Wohl auch irgendwann einmal, nebenbei, wie so vieles, das sie nebenbei tat, neben was eigentlich? Neben dem Kreisen ihrer Gedanken, die ständig kreisten um dies und jenes und auch noch um anderes, um ein welches und ein Sondern und um ein ja, aber, und um ein sollte es nicht?

Und zum ersten Mal an diesem Abend hatte sie auf der Tanzfläche an ihn gedacht, und sich gedacht, viel lieber wäre sie mit ihm jetzt hier, würde mit ihm die Decke bestaunen können, die pompöse Einrichtung und er wäre vielleicht schick angezogen und würde besser zu ihr passen, in ihrer Bluse, ihrer weißen Bluse, die sie ausgewählt hatte, zuvor, aus ihrem Kasten, weil doch Silvester war und irgendwie wollte sie sich schon besonders herausputzen für diesen Abend, wann hatte sie zuletzt Silvester gefeiert, überlegte sie sich auf dem Weg zur U-Bahn. Aja, seit sie mit ihm zusammen war, und das waren immerhin schon fünf Jahre, hatte sie nicht mehr Silvester gefeiert. Kein einziges Mal, weder mit ihm, noch mit jemand anderem. Zuvor war er ja nicht verfügbar in solchen Abenden, seine Frau hätte wohl etwas dagegen gehabt, und später, ja, da war er immer weggefahren, mit den Kindern, die ihm geblieben waren aus seiner Ehe. Und doch auch nur zeitlich begrenzt geblieben waren. So wie auch dieses Jahr, wo er wieder weggefahren war, 800 km lagen zwischen ihnen. Liegen es jetzt noch, und das nicht nur jetzt, wo es durch den realen körperlichen Abstand offensichtlich wurde, wie weit entfernt sie doch voneinander waren, auch wenn sie nebeneinander auf ihrer Couch saßen, zusammen wohnten, auf 50 m², in ihrer Wohnung, war nicht doch der Abstand, die Distanz zwischen ihnen riesig, unüberwindbar, eigentlich? Und sie dachte an Frankreich, wo sie am 31. um 10 ins Bett gegangen war, sich hingelegt hatte, und sich Gintrowski wieder einmal umsonst, ganz laut, sich für sie die Seele aus dem Leib gesungen hatte, sich die Seele nach ihm aus dem Leib gesungen hatte, der irgendwo mit seiner Frau wohl gerade anstieß auf ein neues Jahr, auf ein Jahr, in dem doch alles besser und anders und gut werden sollte. Wahrscheinlich sagte er ihr damals dieselben Worte, die auch sie jetzt zu hören bekam, wenn sie sich wieder einmal von ihm getrennt hatte. Es wäre doch alles ganz einfach, und man müsse doch nur wollen und sich nicht mehr bekriegen, sondern sich lieben, sich gegenseitig dem anderen hingeben und schenken, man müsse doch nur mit dem Herzen reden, so wie er es tat. Und alles wäre auf einmal anders, besser, gut.

Und oft hatte sie seinen Worten Glauben geschenkt, wollte ihnen Glauben schenken, wollte, dass sie einfach wahr werden würden, hatte gehofft, dieses Mal würde es ihnen gelingen, sie wahr werden zu lassen, sie Realität werden zu lassen und so sehr wollte sie ihnen glauben, dass sie die Realität vergaß, in der sie lebte. Sie nicht sah, sie nicht spürte, sie nicht wahrnahm, denn man müsse ja nur, ja, man müsse ja nur, so einfach war das. Und es gäbe bestimmt ein nächstes Jahr, einen nächsten Geburtstag, an dem sie vielleicht doch ein Geschenk bekommen würde, wenigstens eine Blume, eine einzige nur, so wie damals an dem Valentinstag, an dem sie von ihm eine Rose bekommen hatte, eine einzige Rose, so, wie sie es sich immer gewünscht hatte, wenn sie von ihrem damaligen Freund wieder einmal einen Riesen-Blumenstrauß bekommen hatte, einen riesigen, in den 1000 Blüten gewoben waren. Und immer, wenn er vor ihr stand, mit so einem Strauß, hatte sie sich gewünscht, doch nur eine einzige Rose zu bekommen, doch nur eine einzige. Und als sie dann da war, diese eine Rose, die sie sich immer gewünscht hatte, sie bekommen hatte, von ihm, der auf eine wundersame Art und Weise spürte, was sie brauchte und ihr das schenkte, was sie wollte, da stellte sie sie in eine Vase in die Küche und vergaß darauf, dass man ihr Wasser geben müsse, weil sie so verzückt von ihm war, so dass die Rose, diese einzelne Rose, bald ihr Köpfchen hängen ließ und für sie zu einem Symbol wurde, zu einem Symbol für alles, was dieser Rose folgen sollte. Die Rose ließ ihr Köpfchen hängen und es war zum Scheitern verurteilt, ihre Beziehung war von Beginn an zum Scheitern verurteilt, zuvor, weil sie nicht möglich war, nicht real, weil er doch diesen Ring am Finger trug, immer wieder und immer, auch wenn er sie streichelte, sie liebkoste, überall. Der Ring war da und er sollte bleiben, sogar lange noch, nachdem er schon geschieden war. Und dann war diese Beziehung zum Scheitern verurteilt, weil, vielleicht hatten sie zu viel von sich verlangt? Oder war die Wahrheit nur das, dass sie einfach nicht zueinander passten? Glaubst du, dass wir gut zusammen passen, hatte er sie damals gefragt, nach nur 2 oder 3 Tagen, einfach aus dem Nichts und dabei kannten sie sich doch überhaupt noch nicht, auch nicht, als er ihr sagte, er hätte die zweite Hälfte eines Apfels in ihr gefunden, damals, im Gang des Mietshauses, in dem sie wohnte.
Was war also die Wahrheit? Dass sie zu verschieden waren, oder doch einfach nur so weit weg voneinander, dass sie sich gar nicht sehen konnten, auch wenn sie sich gegenüber standen und sich in die Augen schauten, die doch der Spiegel der Seele waren, wieso konnten sie dann ihre Seelen nicht erkennen, sich im anderen nicht anschauen, sich im anderen nicht finden, oder wollten sie sich im anderen nicht finden, konnten sie sich im anderen sehen und mussten sie deshalb wegschauen? Weil sie sich nicht sehen wollten, sich nicht im andern sehen wollten. Sich selbst nicht anschauen konnten, in den Augen des anderen, sich selbst nicht sehen konnten im Spiegel des anderen, den der andere war ja nichts anderes als ein Spiegel ihrer selbst.

Und so tanzte sie in dieser Silvester-Nacht an der Seite eines anderen Mannes, eines Mannes, der sie um einen ganzen Kopf überragte, der sie angerufen hatte, gleich am nächsten Morgen, nachdem er ihre SMS gelesen haben musste, gleich sie angerufen hatte, um zu fragen, wie es ihrem Kopf ging, um zu erzählen, dass es seinem Kopf gut ging, nach all dem Alkohol, den sie getrunken hatten, und der meinte, es wäre kein Problem gewesen, dass sie nach Hause gefahren war, denn er wollte doch nur nett und höflich sein. Und hatte sie eingeladen, weil er nett und höflich sein wollte, weil er wohl auch dachte, dass sich das so gehöre, dass man das wohl so machen würde, dass man das vielleicht von ihm erwartete.

 
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Hallo ludwiga,
ja da spricht mich was an.
Aber erst mal ein herzliches Willkommen.

Deine Geschichte handelt von einer Frau, die einen Neuanfang mit einem anderen Mann wagt, nachdem sie sich jahrelang mit dem Leben der Geliebten begnügt hat. Doch sie schreckt zurück vor diesem Neubeginn.
Gut finde ich, wie du deine Protagonistin mit diesem neuen Mann zeigst, ihre Ferne und Fremde an der Körperlichkeit festmachst, er sei zu groß usw.
Auch dein Stil, diese Aneinanderreihungen, die einen Sog erzielen, gefällt mir. Ja, ich mag das im Prinzip sogar sehr, weil es einen Flow erzeugt, dem man in Kombination mit den Details, für die du ein gutes Auge hast, gerne folgen will.

Aber - ich würde aus meiner Sicht trotzdem noch Arbeit reinstecken.
Ich habe zum Beispiel nicht gleich bemerkt, ab wann sie von dem anderen Mann, also dem Ehemann, spricht. Ob das jetzt daran lag, dass du das zu ungenau gemacht hast, oder weil ich zu ungenau gelesen habe, ich kann es gar nicht so genau sagen. Das andere Problem, das ich mit deinem Text noch habe, ist nämlich gerade dein Sog-Stil, sosehr mir der auch gefällt, das kreist und kreist und lullt ein. Das wird dann auf die Dauer ein bisschen arg viel und schläfert einen ein. Also ich würde da sehr stark durchprüfen, was noch rauskann. Du brauchst das längst nicht alles, um die Konstellation zwischen den drei Menschen, ihre Aufbruchsituation und ihre Ambivalenz zu zeigen.
Es gibt auch leider noch Stellen, die mir unklar oder ungenau ausgedrückt schienen. Wo der Sog-Stil auf Kosten der Klarheit der Sätze geht. Aber dazu lieber ein anderes Mal mehr, ich weiß ja nicht, ob dich das überhaupt interessieren würde, so eine Kleinarbeit zu kriegen, die ist nämlich sehr sehr aufwendig. Und ich brauch jetzt sowieso erst mal Kaffee und eine Pause. Kommentieren ist anstrengend.
Bin gespannt, was du sonst noch so auf dem Kasten hast.
Viele Grüße von Novak.

 

Hallo Novak,

danke für deine ersten Eindrücke und Kritikpunkte! Dass es manchmal zu viel ist, den Eindruck hatte ich selber auch, bzw. war ich einfach nicht sicher, wie das beim Lesen wirkt - danke also für deine Einschätzung!
Ich würde mich freuen, wenn du mir eine oder zwei Stellen angeben könntest, die dir unklar waren und werde mich jedenfalls dran machen, meinen Text noch dieszbezüglich "auszumisten" ;)

Liebe Grüße,
Ludwiga

 
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Deinen Stil find ich toll, ludwiga, ehrlich, auch wenn er stellenweise schon auch ein bisschen nachlässig und unpräzise ist. Vor allem zu Beginn, also bevor ich dieses beinahe umgangssprachliche, atemlose einfach so Dahinerzählen als von dir offenbar ganz bewusst eingesetztes Stilmittel begriff, hatte ich quasi schon den Rotstift in der Hand. Den legte ich jedoch bald wieder weg, weil mir die Sprache mehr und mehr gefiel. Doch, die hat wirklich was, Sogwirkung hat’s Novak genannt, und Flow. Ja das funktioniert für mein Gefühl wirklich gut, dieses assoziative Dahinplaudern, ohne Rücksicht auf Satzlängen und Syntaxkonventionen.
Ich muss allerdings auch einräumen, ähnlich wie Novak, dass die Nonchalance deiner Sprache stellenweise zu Lasten der Verständlichkeit der Geschichte geht. Wen meint die Erzählerin da jetzt, von wem redet sie da gerade, von welcher Örtlichkeit? Aber irgendwie hat mich das nicht wirklich davon abhalten können, einfach so durch den Text zu hasten, vermutlich zu schnell sogar.
Fürs erste halt mal.
Ich werde mir die Geschichte nämlich sicher noch einmal in Ruhe durchlesen. Dabei werde ich mich bemühen, mich nicht nur vom Charme der Erzählstimme blenden zu lassen, sondern auch mehr auf die Handlung zu achten. Dann kann ich dir vermutlich auch ein paar konkrete Beispiele zeigen, wo für mich Schwächen liegen.


Bis später, ludwiga

offshore

 
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Da bin ich noch einmal, ludwiga.

Und da plötzlich ergriff sie mit einem, bist du mir böse, wenn ich doch nach Hause fahre, die Flucht.
Da ist schon klar, was gemeint ist. Aber du solltest das formal irgendwie anders lösen. Das Komma hinter „einem“ geht nämlich gar nicht und ein Fragezeichen fehlt ja eigentlich auch. Also wenn du schon die direkte Rede vermeiden willst (die sich hier förmlich anbietet) könntest du es z.B. so schreiben:
Und da plötzlich ergriff sie mit einem ‚Bist du mir böse, wenn ich doch nach Hause fahre?‘ die Flucht.

Eine Station vor der Station, die sie vielleicht auch einfach nur ein Stückweit bringen wollte,
[…] diese unbekannte Station in ihrem Leben, von der sie nicht wusste, wohin sie sie bringen würde.
Dieses Bild gefällt mir auch nicht besonders, also dass einen eine Station irgendwo hinbringt. Ich mein, überleg dir mal die Bedeutung von stationär.

dabei spürte sie von ihm aus keine Angst ausgehen,
das erste aus sollte weg.

Dazu zwang, in ihre eigenen vier Wände nach Hause zu kehren [zurückzukehren]

Weil die sie die beiden beide für blöd befanden, nämlich für richtig blöd.
Das geht eleganter, glaub ich.

Und sie quatschten, erzählten sich von steilen Einfahrten zu ihren Häusern, die noch immer zu Hause standen, aus denen sie gekommen waren, [*)] von denen sie weggegangen waren, in die große Stadt, in der sie nun saßen, auf Ledercouchen. Sie hatte sich den hellen lederbezogenen Sessel geschnappt, wollte ihm nicht gegenüber sitzen, gegenüber sitzen, das hat immer sowas von Angriff, von Herausforderung, also nahm sie lieber den anderen Platz, ums Eck, von ihm aus gesehen.
Für mich ist das ein für deinen Stil typischer Absatz. Schnell, treibend, assoziativ hin und her springend. Klasse.
Einzig der hervorgehobene Nebensatz passt für mich nicht recht, also nicht da, wo er jetzt steht, weil er für mein Gefühl mit dem nachfolgenden "aus denen" kollidiert. Ich würde ihn dort *) hinstellen.

Suchte die Wärme sie, oder suchte sie die Wärme, was war die Ursache und [was die] Wirkung ihres Tuns,

ein Marlboro-Aschenbecher, wie sie später bemerken sollte, der sie fast unbemerkt bat, leer mich aus, leer mich aus…als sie dann einmal alleine nach draußen ging,
Das würde ich kursiv setzen. Und vor und hinter die drei Auslassungspunkte gehört jeweils ein Leerzeichen.

dass man das helle T-Shirt mit den Knöpfen herausstechen sah, das sich abhob von seiner dunklen Umgebung, wie die hellen Wolken an einem Gewitterhimmel.
Den Vergleich finde ich etwas überzogen.

Sie richtete sich schonmal [schon mal] ihr Büro ein,
Mir wär’s ja egal, aber spätestens Friedel würde es beanstanden. (schon mal = verkürzt für schon einmal)

und er wäre vielleicht schick angezogen und würde besser zu ihr passen, in ihrer Bluse, ihrer weißen Bluse, die sie ausgewählt hatte,
Merkst du, wo’s hier holpert? Es klingt, als trüge er ihre Bluse.

Zuvor war er ja nicht verfügbar in [an] solchen Abenden,

in den 1000 [tausend] Blüten gewoben waren.

nach nur 2 [zwei] oder 3 [drei] Tagen,


Auch beim zweiten Lesen mochte ich den Text. Wie schon gesagt, dieser atemlose Stil passt wunderbar zur durcheinanderen Gefühlswelt der Erzählerin, zum Herumkreisen ihrer Gedanken, zu ihrer Verunsicherung und der Ratlosigkeit, wie sie mit ihrer Situation umgehen soll. Klar, da kommt‘s zu Wiederholungen und Redundanzen, das dreht sich manchmal schon ziemlich im Kreis. Aber irgendwie passt da für mein Gefühl alles recht gut zusammen, und ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wo man da jetzt konkret den Rotstift ansetzen sollte.
Aber vielleicht schaut ohnehin Novak noch mal vorbei. Die kann manchmal ganz schön gnadenlos sein.

Und bis dahin kannst du ja schon einmal über diesen Rat des großen William Goldman nachdenken

„Schreibe den besten Text, den du zuwege bringst, und kürze ihn um das schlechteste Drittel. Kürze das Übrige wiederum um ein Drittel. Übrig bleibt ein guter Text.“


offshore

 

Hallo Offshore,

vielen Dank für deine konkreten Anmerkungen - das hilft wirklich sehr! Ich habe auch vorhin schon angefangen, am Text herumzufeilen und habe doch auch einiges gekürzt - Herrn Goldman also intuitiv angewendet ;).

Ja, wenn ich's hier so klar lese, wird mir klarer, wo's hapert, ansonsten danke ich dir für die positive Rückmeldung!! Es freut mich, dass der Text dir gefallen hat und du dir die Zeit genommen hast, in Ruhe zu lesen!
Ludwiga

 

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