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Sin mei heG
Am Spind angekommen fing sie an, in ihrer Schultasche zu graben. Verdammt, wo sind diese Schlüssel?Sie blickte auf das verhasste Schloss. Der Spind war schon alt, zeugte von vielen angestrengten, verschwitzten Schulgenerationen. Nicht nur
diverse Beulen und Kratzer zierten die Oberfläche, auch Aufkleber von anno 1980.
Sie fragte sich, was diese Menschen jetzt trieben. Waren sie noch immer dem Irrglauben erlegen , dass ihnen die Welt nun, nach dem hart erarbeiteten
Abitur, zu Füßen lag? Oder wurden sie bereits eines besseren belehrt?
Wo zum Teufel sind die Schlüssel?
Sie griff tiefer in die Tasche, wobei sie die Hülle eines Präservativ zu fassen bekam.
Plötzlich bekam sie Lust zu tanzen. Die Hüften schwirren zu lassen, orientalisch, und sie fing an zu kreisen, erst langsam und sanft, dann immer wilder,
bis sie schließlich anmutig kreisend vor ihrem Spind stand und sang.
... Suerte que es tener labios sinceros para besarte con más ganas... sang sie und tanzte. Ja, Sin mei heG...Sin mei heG, dachte sie und ließ ihre Seele fliegen.
Ihre langen, tief dunkelbraunen Haare flogen sanft den Bewegungen hinterher, sodass sich die Locken freuten.
Viele verwunderte Augen ruhten auf ihr. Einige betrachteten sie naserümpfend. In anderen Augen sah man leise Faszination aufblitzen.
Wie lange sie getanzt hatte, wusste sie nicht, doch plötzlich viel ihr ein, dass sie den Schlüssel noch brauchen würde, bevor die nächste
Stunde begann- Mathematik.
Das war nicht eine ihrer Stärken, aber sie bestritt sie tapfer.
Das gibt es doch nicht, die Schlüssel sind fort! dachte sie und dachte gleichzeitig an das Meer und die Wogen, wobei ihr ein wunderbarer, vertrauter, salziger
Geruch in die Nase stieg. Heimat.
Ein heftiges Kribbeln durchzuckte ihren Körper und noch bevor sie sich umdrehte wusste sie, wer gleich vor ihr stehen würde.
Sie verabscheute ihn. Sie konnte kaum benennen, warum, aber etwas an ihm störte sie gewaltig.
Sie drehte sich um und sah in seine schönen, braunen Teddyaugen. Er starrte sie an, atmete ruhig.
Eigentlich hatte er nicht vor gehabt, sie zu berühren, es geschah ganz ausversehen, denn er wusste genau, dass sie ihn nicht leiden konnte, wusste aber, welche
Reaktion er bei ihr hervorrief, wusste, dass sie eine Berührung nicht überleben würde...
Ihr Herz schlug ein wenig schneller, doch sie atmete genauso ruhig, ließ sich nichts anmerken. Noch nicht.
Unverwandt starrte sie zurück. Presste für weniger als eine Sekunde die Augen zu schlitzen, sodass er es kaum merkte.
Ihre Art faszinierte ihn schon von jeher, wie sie sich bewegte, tänzerisch, verloren. Doch ihr Blick verwirrte ihn, er war von tiefer Traurigkeit durchdrungen,
aber auch von Stärke und Hoffnung. Er konnte sie nicht leiden.
Er wusste, dass es nun soweit war und packte ihren Arm. Sie- normalerweise zog sie es vor, selbst zu bestimmen, wohin sie ging- ließ sich ziehen.
Auch ihr war bewusst, was nun kommen würde.
Gemeinsam gingen sie, ohne auch nur eine Sekunde die Blicke voneinander zu lassen, zum Raum 104, der nur wenige Schritte entfernt lag.
Er lag in völliger Dunkelheit, doch die Sterne fingen an zu glitzern, als die beiden den Raum betraten.
Er stellte sich vor ihren Körper, blickte in ihr schönes Gesicht.
Langsam streifte er ihr die Bluse ab. Sie ließ es immernoch geschehen. Noch ein paar Sekunden.
Sie atmete tief ein, erinnerte sich an den weiten Ozean, dachte an seine Freundin.
Er berührte vorsichtig ihre pfirsichweite Haut.
Dann ließ sie ihre Hand langsam von seinem Hals abwärts wandern, ging mit beiden Händen vorsichtig unter seinen Pullover. Sie fühlte seine Haut, sog die
Wärme auf, sang im Innersten ihr Lied vom Fliegen.
Die Sterne über ihnen lächelten und leuchten nunmehr golden, als sie sich wild liebend hingaben.
Für einen kurzen Augenblick vergaß sie den Schlüssel, als er, nach ihrem Haar greifend, den Stuhl zum umkippen brachte, auf dem ihre Tasche lag, und
die Schlüssel auf den Boden fielen.