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Sind Sie ein Sünder, Pfarrer?

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05.09.2025
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Sind Sie ein Sünder, Pfarrer?

All die müden Pferde liegen in der Sonne und sie öffnen die Augen nicht, um der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Sie verstecken eher den Kopf vor dem Licht, ihren Verstand vor dem Logischen: Sie werden benutzt und geschlachtet, geritten und erschossen, geliebt und ausgereizt.

Sie sind das Rückgrat unserer Stadt voller Züchter, Farmer und Reitsportfamilien. Nichtsdestotrotz werden Sie behandelt wie seelenlose Objekte, werden getötet und zum Dorfmetzger gebracht, wenn sie durch Krankheit oder Knochenbrüche in Ungnade gefallen sind.

Die Thompsons erschossen letztes Jahr drei ihrer Gäule, weil ihre Tochter die regionalen Vorentscheide nicht gewann, sondern nur auf dem zweiten Platz des Treppchens stand. Lag es an den Pferden? Waren sie alle müde oder schlapp? Die Tochter glaubte es, der Vater nicht. Er beichtete es dem Pfarrer an einem Sonntag unter Tränen. Er könne nicht noch einen Hengst töten, er könne ihr aber auch nicht vermitteln, dass sie das Problem ist. Sie würde wütend werden, würde schrecklich schreien und wüten, wie ein Hurricane. Was solle er tun, fragte er.

Der Pater antwortete: „Höre auf, schwach zu sein und nimm den Platz des Familienoberhaupts ein. Bringe sie zur Vernunft und beende das sinnlose Töten deiner Tiere! Bete zehn Vater Unser und zehn Ave Maria!“

Der Vater gelobte, wieder ein Mann und ein Vater zu sein. Die Woche verging und der Pfarrer blickte am Sonntag voller Sorge von der Treppe seiner Kirche auf den Park der kleinen Stadt, wo Arthur Thompson in gebeugtem, langsamem Gang in seine Richtung ging. Er war nicht bei der Morgenpredigt gewesen, hatte den Mittag verstreichen lassen und kam nun, als die Sonne begann, unterzugehen. Der Pfarrer kehrte ins Kirchenschiff zurück und begab sich in den Beichtstuhl. Er wusste, Thompson kommt um zu beichten.

So erklärte Arthur, er habe es ihr erklärt, dass sie sich selbst verbessern müsse und dass er keinen weiteren Hengst unter ihren Hüften zum Sterben antreten lässt. Sie kreischte und geiferte daraufhin, gab ihm schlimme Namen und schlug ihm mehrmals in den Bauch und gegen die Beine, da schlug er ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Er erschrak aufgrund seiner Reaktion und noch mehr über das warme Wohlgefühl. Also schlug er noch einmal mit der Handfläche. Sie kreischte vor Zorn und auch vor Schmerz, doch er begann zu lachen und schlug erneut zu – mit der Faust. Da verstummte ihr Schreien abrupt und sie kippte nach hinten um. Er spürte, wie eine kalte Klaue ihm den Magen, den Darm und auch die Hoden zusammenquetschte. Doch als er sie da still liegen sah und sich die Ruhe ausbreitete, wie die Blutlache unter ihrem Kopf, begann er wieder zu lachen. Die Wärme kehrte zurück und verwandelte sich in Hitze.

Der Pfarrer schauderte, spürte Trockenheit in seinem Mund. Doch Arthur Thompson beichtete weiter: Seine Frau kam fragend in die Küche, wo Arthur lachend über seiner blutenden Tochter stand. Sie schrie laut und schupste ihn fort von ihrem Kind, beugte sich über ihren Körper und rief ihren Namen. Da entwickelte sich die Hitze zu Fieber. Arthur ging lachend hinüber zum Messerblock. Es war Zeit, ihr zu zeigen, dass er sich kein einziges Mal mehr von ihr schupsen ließ.

Des Pfarrers Nackenhaare stellten sich auf, dann knallten die Hände Arthurs gegen die löchrige Trennwand zwischen den Kabinen. Seine tiefe Stimme schrie:

„Sehen Sie diese Hände, Pfarrer? Sie sind rot!
Sehen Sie die Arme? Sie sind rot!
Und sehen sie die Augen, Pfarrer Browning!
Sie – sind – R-O-T!“

Lachen, das lauter als der schlimmste Donner tobte, verdoppelte sich in dem Echo der Kirche. Es betäubte und lähmte den Pfarrer. Die Tür des Beichtstuhls riss nach einem Tritt Arthur Thompsons aus den Angeln und krachte auf den Boden. Der Wahnsinnige trat heraus und ging in Richtung der Kanzel, von der sonst Pfarrer Browning seinen Blick über die gläubigen Menschen schweifen ließ, meist leicht verurteilend. Arthur Thompson schritt die Stufen hinauf, breitete die Arme aus und blickte zu einem Gott hinauf, den er nicht sah. Pfarrer Browning trat aus dem Beichtstuhl und ging in Richtung der Pforte.

„Pfarrer Browning! SIE sind daran schuld! Sehen Sie es nicht? Auch Ihre Hände sind ROT!
Ihr Verstand ist durch des Teufels Macht erkrankt!
Sie schickten mich, meine Familie zu schänden um mich zu beweisen als ein unantastbares Oberhaupt!
Sind Sie der Sünder, Pfarrer? Führten nicht Sie mich in Versuchung?“

Der Pfarrer wandte sich zu Arthur Thompson um, dessen Gesicht dem eines Dämons glich. Er war nicht unantastbar, er war schwach. Kein Oberhaupt, sondern ein wahnsinniger Mörder. Auszusondern von sämtlicher Gesellschaft, auszustoßen aus der Gemeinde.

„Ich bin ein Mann Gottes, Arthur.“, sagte Pfarrer Browning und erntete donnerndes Gelächter.

„Ein Mann Gottes bin ICH!“, antwortete Arthur und breitete die Arme aus. Der Pfarrer schritt vorsichtig rückwärts hinter die letzte Sitzreihe.

„Arthur, es ist im Sinne Gottes, stark für seine Familie zu sein und sie auf Fehler hinzuweisen. Auch wenn du dafür Missgunst erntest, so ist es deine Pflicht als Vater, deinem Sprössling den rechten Weg zu weisen.“, sagte der Pfarrer ruhig. Er hörte, das Arthur begann zu knurren, wie ein Hund.

„Die Thompsons waren eine angesehene Familie und deine Tochter eine der besten Reiterinnen in unserer Stadt! Von 1889 bis 1891 hielt sie die Rekordzeit für unseren Parcours. Wieso gelingt ihr nun nach zwei weiteren Jahren kein Sieg? Weil sie fett geworden ist, Arthur!“

„So reden Sie nicht von meiner Tochter!“, bellte Arthur und sprang von der Kanzel hinunter. Er starrte aus roten Augen zum Pater und fletschte die Zähne. Der Pfarrer ging rückwärts auf eine Kammer zu, erwiderte den Blick Thompsons.

„Kennst du den Namen deiner Tochter noch, Arthur? Oder hast du ihn schon vergessen? Wie hieß sie? Wie hieß deine Frau?“, fragte er mit lauter Stimme und drehte den Türknauf hinter seinem Rücken.

„Sie sind der Sünder, Browning!“, schrie Arthur und lief humpelnd und langsam den Gang entlang. Der Sprung schien seine Beine verletzt zu haben.

„Wälzen Sie die Schuld nicht auf mich ab.“, er knurrte. Seine Augen waren blutunterlaufen, sodass sie im Licht der bunten Glasscheiben rot leuchteten.

„Wie hieß sie, Arthur?“, rief Pater Browning und durchschritt den Türrahmen in die dunkle Kammer hinein. Arthur Thompson humpelte an der letzten Bankreihe vorbei und zog ein blutiges Messer unter seinem Hemd hervor.

„Versteckt in Ihrer schwarzen Robe, sind Sie doch nur ein Sünder und brauchen die Absolution?“, schrie Arthur und sprang auf Vater Browning zu. Der Pfarrer brachte eine Schrotflinte aus dem Dunkel hervor und an seine Schulter. Bevor die Füße Arthur Thompsons den Boden der Kirche wieder berührten, wurde sein Körper vom Druck der Schrotladung wieder nach hinten katapultiert und er landete zwischen den letzten beiden Bankreihen. Sein Genick zerbrach auf der oberen Kante der Lehne beim Aufschlag. Arthurs Gesicht färbte sich plötzlich schwarz.

„Die Absolution erteile hier nur ich. Der Priester mit der Schrotflinte, Arthur Thompson. Und jetzt fahr zur Hölle!“

Arthurs Körper begann zu brennen. Das Feuer entsprang seiner Mitte und breitete sich rasch über Brust, Lenden, Kopf, Beine und Haare aus. Er zerfiel in Sekunden zu Asche.

Pfarrer Browning ging hinaus und blickte in einen rot durchzogenen Himmel. Und all die Pferde lagen müde auf ihren Weiden.

„Sie hießen Maggy und Maria, Arthur. So hießen sie.“, murmelte er und ging wieder in die brennende Kirche hinein.

 

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