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Sind wir nicht alle ein bisschen Tesla?
Am dritten Januar des Jahres...wurde ein Großteil der Menschheit plötzlich wahnsinnig. Die letzte Hochburg der einstigen Zivilisation befindet sich in...und wir wissen nicht, wie lange es uns noch möglich ist...wenn Sie diese Nachricht hören können, dann...
Oh mein Gott!
Frederick hatte sich als Erster in dem Saal eingefunden. Zwanzig Minuten lang saß er da und aß seine Brote, während er die übrigen Gäste dabei beobachtete, wie sie ihrerseits zu den Plätzen eilten.
Zögerlich waren sie alle, ganz zweifellos. Die Frage war: Wann würden sie zusammenbrechen?
Der Professor bezog Stellung hinter dem mächtigen Rednerpult und das überdimensionale Mikrophon verdeckte beinahe sein ganzes Gesicht.
Eine Lachnummer, das war es. Aber Frederick wollte erst einmal hören, was der gute Mann zu sagen hatte.
"Verehrte Kollegen. Sie alle kennen den Grund für unser heutiges beisammen sein."
Beisammen sein; als ginge es um ein Picknick.
"Die Nachricht aus dem Gerät hat zu tiefer Beunruhigung geführt."
Er holte tief Luft und ergänzte dann: "Verständlicherweise."
Lautes Gemurmel drang durch den Saal.
"Die Maschine, sie funktioniert. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Tesla kein Freund der Aufzeichnungen gewesen ist. Zu unserem Bedauern. Als vergangene Woche dieser Nachtwächter in dem Museum...aber was erzähle ich. Sie alle wissen, was geschehen ist. Um es kurz zu machen: Die Verbindung zu Belgrad ist mittlerweile vollständig zum Erliegen gekommen. Es ist nun von höchster Wichtigkeit, den wahren Umstand hierfür geheim zu halten. Selbst wenn wir einen terroristischen Akt als Erklärung liefern müssen. Niemand darf von der Nachricht wissen. Wir haben wenig Zeit. Sehr wenig Zeit."
Das war Fredericks Zeichen. Noch ehe der Professor fortfuhr, erhob er sich bereits von seinem Platz und wischte sich die Brotkrümmel aus den Mundwinkeln.
"Wenn ich Ihnen nun einen Herrn vorstellen darf, über dessen Existenz absolutes Stillschweigen herrschen muss. Kommen Sie bitte nach vorne."
Eine knappe Geste und die imaginären Bühnenscheinwerfer strahlten in seine Richtung. Frederick ließ sich Zeit. Er kostete diesen Augenblick aus. Als er schließlich das Mikrophon erreicht hatte, und der Professor gebieterisch vor ihm zurückwich, hätte er beinahe laut Lachen müssen.
"Schönen guten Abend, Gentlemen", begann er dann.
"Ich will Ihnen nichts vormachen. Unsere Erkenntnisse über Tesla sind weitreichender als Sie glauben, und auch die Sache mit den nicht gemachten Aufzeichnungen ist nur bedingt wahr."
Schnell näherte sich der Professor wieder und packte seine linke Schulter.
"Kein Wort darüber", flüsterte er Frederick ins Ohr.
"Oh, aber sicher doch. Ich korrigiere mich. Tesla hat definitiv keine Aufzeichnungen gemacht. Glauben Sie mir dies nun noch, nachdem ich so melodramatisch begonnen habe?"
Gedämpftes Gelächter kam aus den Reihen des Saals. Der Professor zog eine verärgerte Miene, ließ Frederick dann aber fortfahren.
"Also, lassen wir die bislang zusammen gestellten Fakten Revue passieren: Ein unbedeutender Museumswächter, der seinem Job seit mehr als zwanzig Jahren nachgeht, macht sich Gedanken über die Dinge, die er da tagein und tagaus bewacht. Also beschäftigt er sich auch privat mit ihnen. In Belgrad ist das Freizeitangebot für einen gewöhnlichen Angestellten nicht allzu groß, und so hat er viel Geduld. Er studiert die Baupläne von Teslas unvollendeter Maschine, spinnt den Gedanken weiter. Jahre lang tut er dies im Stillen, ohne Jemandem davon zu erzählen, und plötzlich baut er die Maschine eines Nachts fertig. Und...was noch viel beeindruckender ist, ist die Tatsache, dass er sie wahrhaftig fertig baut. So wie Tesla sich das gedacht hat. Verlustfreie Stromübertragung durch die Luft. Den Äther, wie es früher so schön hieß. Keine Mikrowellen. Eine uns unbekannte, für den Menschen nicht schädliche Alternative. Aber es kommt noch besser, denn dieser Strom entsteht quasi aus dem Nichts. Gleich nach Vollendung seines revolutionären Tuns´, will er den Museumsdirektor erreichen und es gelingt ihm auch nach einigen Minuten. Das nun folgende Telefongespräch verläuft heikel. Der Direktor hält den Anrufer für betrunken und legt schließlich wütend den Hörer auf. Erst am nächsten Morgen wird klar, dass der Wächter die Wahrheit gesagt hat. Aufgebracht wendet sich die Museumsleitung an unsere Institution, und wir schicken gleich einen Mann nach Belgrad, der die Lage überprüfen soll. Von diesem Zeitpunkt an herrscht absolute Diskretion und wir legen dem Direktor nahe, sich niemandem sonst mehr anzuvertrauen. Um sechzehn Uhr Ortszeit erreicht unser Mann das Museum und berichtet von bunten, scheinbar elektrischen Blitzen, die unkontrolliert durch die Halle zucken, ohne dabei Schaden anzurichten. Er will die Vorgänge näher untersuchen und sich dann zurück melden. Das macht er auch. Vier Stunden später hören wir wieder von ihm. Die letzten Worte, die wir am Telefon mitgeschnitten haben sind, vorsichtig ausgedrückt, äußerst merkwürdig. Sie lauten: Es spricht aus dem Apparat und jedesmal wird es heller. Hören Sie selbst, wie der Apparat spricht. Anschließend hat er sein Handy vermutlich an den Apparat gehalten und die Nachricht, die wir dann aufgezeichnet haben, kennen Sie alle mittlerweile zu Genüge.
Dann plötzlich Bumm und Belgrad ist still. Sämtliche Versuche die Stadt zu erreichen schlagen fehl. Kurze Zeit später berichtet CNN davon, dass tausende Autofahrer in einem Umkreis von zwanzig Kilometern um das Stadtgebiet nicht mehr weiterfahren können. Sie werden langsamer und schließlich stehen ihre Wägen still. Auch zu Fuß lässt sich nichts machen. Von der ISS gibt es Aufnahmen, die einen gelben Fleck genau dort zeigen, wo sich eigentlich Belgrad befinden sollte. Wir haben weiterhin diese verzerrte Nachricht, in der von übergreifendem Wahnsinn und von einer letzten Hochburg der Menschheit die Rede ist..."
Frederick wandte sich mit einem Lächeln im Gesicht an den Professor.
"...und da wollen Sie die ganze Situation notfalls Terroristen in die Schuhe schieben?"
Für ein paar Sekunden war es still.
Dann warf ein jüngerer Mann aus dem Publikum den ersten Vorschlag in die Runde.
"Was ist, wenn wir eine Bombe auf das Gebiet werfen? Wir haben es hier mit einer Massenhysterie zu tun. Jeder wird uns glauben, wenn wir behaupten, es hätte sich um einen biologischen Kampfstoff gehandelt."
Erneut wurde in den Reihen gemurmelt. Einige schienen diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, andere schüttelten ungläubig die Köpfe.
Frederick sah wieder nach vorne und fuhr fort.
"Sie wollen also eine Bombe auf etwas schmeißen, das möglicherweise die größte Erfindung der Menschheit darstellt? Wissen wir denn überhaupt, ob es gefährlich ist?"
"Wissen Sie, ob es ungefährlich ist?", konterte der andere.
"Ja."
"Woher?"
Er strich sich durch die Haare. Es machte ohnehin keinen Unterschied mehr. Bei dem, was er bislang verraten und angedeutet hatte, konnte Frederick seinen Zuhörern auch gleich die ganze Wahrheit mitteilen. Sollte man ihn doch wegsperren. Die Dinge liefen aus dem Ruder, und nur in das Thema eingeweihte Menschen waren jetzt noch imstande, schlimmeres zu verhindern.
"Weil wir selbst den Apparat fertig gestellt haben. Vor Jahren schon. Einsame Museumswächter mit einem Faible und Talent zur Wissenschaft sind nicht die einzigen Leute, die sich Gedanken machen. Um genau zu sein, sind inzwischen große Bereiche der Welt eingespeist, und wir hätten niemals damit gerechnet, dass ein einzelner Mann eine so komplexe..."
Vor Fredericks Augen wurde es schwarz. Sein Körper sackte in sich zusammen und blieb reglos auf dem Boden liegen.
Die entsetzten Zuhörer standen von ihren Plätzen auf und konnten nicht glauben, was gerade passiert war.
Der Professor riss das Mikrophon aus seiner Halterung und schrie: "Setzen!"
Zögernd nahmen die geladenen Gäste wieder Platz.
"Diese Debatte ist hiermit beendet. Tesla hat zufällig ein Tor zu einer Welt aufgestoßen, von der weder er, noch irgendwer sonst etwas wusste und wissen sollte. Ihnen ist natürlich bewusst, dass ich keinen von Ihnen mit diesem Wissen hier herauslassen darf. Bedanken Sie sich bei dem toten Herrn dort auf dem Boden, der seine Klappe nicht halten konnte."
Der Professor eilte zu der Hintertür hinaus, durch die er vorhin gekommen war und ließ hunderte verdutzt dreinschauender Gesichter zurück.
Dann detonierte der Saal.
***
BELGRAD FÜR ZWEI TAGE OHNE STROM
Der fast 48 Stunden andauernde Stromausfall in Belgrad hat ein Ende. Wie am Mittwoch berichtet, war es infolge eines Störfalls zu einer Kettenreaktion gekommen, in deren Verlauf die gesamte Metropole ohne Elektrizität da stand.
Ähnlich wie bei dem Totalausfall in New York letztes Jahr, machen Experten das antiquierte Leitungsnetz, so wie die mangelhafte Logistik innerhalb der Kraftwerke für die enorme Zeitspanne verantwortlich, in der sämtliche Haushalte im Dunkeln gelegen haben.
Einige Augenzeugen sprachen indess davon, sich während des Ausfalls merkwürdig gefühlt zu haben und Visionen durchlebt zu haben.
Ein Sprecher des örtlichen Amtes für Energie verwies auf die unumgänglichen Depressionen, die sich bei unserer zivilisierten Gesellschaft zwangsweise einstellen, wenn wir auf das alltäglich Gewohnte über längere Dauer verzichten müssen.
Seltsame Erscheinungen sollen zudem über dem Berg Avala gesichtet worden sein. Dort hat noch vor wenigen Jahren der beinahe 300 Meter hohe Fernsehturm der Stadt gestanden, der im Krieg zerstört wurde. Bunte Blitze sollen dort in regelmäßigen Abständen erschienen sein.
Ähnliche Berichte gab es seinerzeit auch aus New York. Während des dortigen "Black-Outs" sollen sich vereinzelte Regenbögen - so das Credo - über Ground-Zero manifestiert haben.
Genau wie das World Trade Center in den Staaten, zählte auch der Fernsehturm in Belgrad zu einem wichtigen Wahrzeichen des Landes.
Bereits jetzt ist von Massenhysterie die Rede und weltweit reisen Psychologen in die Innenstadt, um mit den angeblichen Augenzeugen zu sprechen.
Eines scheint jedoch fest zu stehen:
Der Mensch lässt sich sehr schnell aus der Ruhe bringen, sobald etwas abormales geschieht und Hochburgen wie Fernsehtürme, oder Wolkenkratzer mutieren rasch zu Schauplätzen seelischer Erfindungskunst.
Für Sie schrieb Janus Wellington, Volontär der Washington Post, am 3. Januar des Jahres...