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Slurp
Eigentlich war Slurp schon fertig. Er wartete nur noch auf die Bahn, die ihn nach vollbrachter Arbeit heimwärts bringen sollte. Er schaute auf die Uhr. Es war 2.14 Uhr morgens. Also noch 46 Minuten bevor die erste Bahn wieder fuhr. Er war schneller vorangekommen, als geplant. Eine gewisse Routine schien sich einzuschleichen. Slurp hielt das für bedenklich. Routine war der Anfang vom Ende.
Eigentlich hieß er ja Bastian M. Sein Sprayerpseudonym aber war Slurp. Das stand zur Zeit an 43 Wänden. 29 mal war es bereits wieder entfernt worden. Davon einmal sogar vom Polizeipräsidium. Man konnte also sagen, daß Slurp ein Markenname war. Den galt es zu erhalten und auszubauen. Was nutzte es Slurp, daß 1300 Polizisten seinen Namen kannten? Er war Künstler. Seinen Namen mußte man in verrauchten Kneipen, an Taxiständen und in Bordellen hauchen. Das war das große Ziel. Heute war Slurp dem wieder etwas näher gekommen. Er hatte sich die Außenmauer der Tierklinik vorgenommen. Das war einerseits eine Art von Protest gegen das noch immer nicht verbotene Anästhesieren mit Chloroform bei Katzensterilisationen. Der andere Grund war, daß die Tierklinik eine schöne weiße Mauer hatte, die von der Hauptverkehrsstraße prima einzusehen war.
Das Tageswerk war also getan. Blieb nur noch der obligatorische Anruf bei der Lokalzeitung. Dies war auch eine Art Ritual. Die letzten Male hatte es zu einer kurzen Notiz unter „Sonstiges“ gereicht. Slurp zog sein Handy aus dem Rucksack und wählte. Die Nummer kannte er auswendig. Das Freizeichen ertönte nur einmal, dann wurde der Hörer hoch gerissen und eine gehetzte Stimme bellte in den Hörer:“ Hör´ zu Annelise, was du hier anstellst ist schon fast nymphoman. Der dritte Anruf in der letzten halben Stunde!“
„Sprech´ ich mit dem Chefredakteur?“, fragte Slurp durch´s Taschentuch.
„Was?“, am anderen Ende der Leitung schienen sich übernächtigte Nervenenden neu zu ordnen. „Wer ist da eigentlich?“
„Slurp hat wieder zugeschlagen“, verkündete Slurp. „Sie brauchen meinen Anruf nicht nachzuverfolgen, denn in 20 Sekunden lege ich auf. Die Stimme ist auch verfälscht.“
„Hör´ zu Klugscheißer. Ich hab´ ISDN und seh´ auf dem Display, daß du ein Loser bist, so wie deine Handynummer anfängt. Dein Mobilfunkbetreiber hat nicht mal eine UMTS-Lizenz. Also geh´ aus der Leitung, ich erwarte einen wichtigen Anruf.“
„Hey, hey! Ganz cool Opa“, Slurp versuchte ein paar Felle zu retten. „Ich kann auch ganz anders.“
„Na dann bin ich mal gespannt.“
Es wurde aufgelegt und Slurp wußte, wessen Wände er beim nächsten Mal heimsuchen würde. Mißgelaunt warf er das Handy in den Rucksack und lauschte dem Klappern, das die Dosen dabei machten. Eigentlich brauchte Slurp nur eine Farbe. Mehrfarbige Schriftzüge verwirrten die Betrachter, das war mal Fakt. Das lenkte ab vom Wesentlichen. Allerdings war er auf alles vorbereitet. Für weiße Wände nahm er Grün, für gelbe ein blutendes Rot und für dunkle Wände bevorzugte er Sonnenblumengelb. Darum war er in Fachkreisen auch als Ampel-Slurp verschrien. Aber das prallte an ihm ab. Slurp besaß ein gesundes Selbstbewußtsein. Er war der dienstälteste Sprayer in der Stadt. Dies bedeutete, die meisten Spray-Acts ohne gefaßt zu werden. Das sollte ihm erst mal einer nachmachen.
Er blickte zur Uhr und begann die Melodie eines Schlagers zu pfeifen. Da hörte er eine Stimme.
„Hey du.“
Slurp reagierte sofort. Er schnappte seinen Rucksack und warf ihn über´s Haltestellendach. Ein Spiegel splitterte. Slurp schaute in eine andere Richtung und legte sich einen Satz auf bulgarisch zurecht. Das war ein Sprayerinstinkt. Wenn etwas Unverhofftes geschah, mußte man den Rucksack mit den Farben wegschmeißen. Meistens von der Brücke oder vom Dach hinunter. Dann konnte man sich immer noch herausreden, man würde einen ganz normalen Spaziergang machen.
Als nix weiter geschah, schaute Slurp sich um und sah ... niemanden.
„Hilf mir bitte“, die Stimme war weich, sanft und vor allem weiblich.
Der Sprayer machte einen Rundum-Check, konnte sich aber nicht erklären, wo sie herkam. Es klang so nah, als stünde die Person neben ihm.
„Hier oben.“
Slurp schaute in die Richtung und erblickte eine Reklametafel. Darauf war eine Frau, die Werbung für ein Haarwaschmittel machte. Sie lächelte. Das heißt eigentlich sollte sie lächeln, diese schien ziemlich sauer zu sein.
„Ja ich bin´s“, sie nickte.
Er war sicher, daß sie sich bewegte, denn die Haare baumelten ihr plötzlich vor den Augen herum und sie mußte sie wieder nach hinten legen.
„Diese verdammten Haare! Durch das Shampoo werden sie ganz leicht und weich und jeder Windstoß bringt meine Frisur...“
„Wer bist du und was machst du da?“, wurde sie von Slurp unterbrochen.
„Das siehst du doch!“, sie verzog vorwurfsvoll das Gesicht. „Ich bin eine unbekannte Schönheit und werbe mit trockenen Haaren für ein Haar-Shampoo.“
„Ah“, machte Slurp.
„Was guckst du so?“
„Du bist schön“, sagte Slurp. „Und ...äh... nackt.“
„Genau“, sie nickte. „Wenn ich wenigstens längere Haare hätte, aber nein. Weißt du, es ist verdammt kalt, so nachts, wenn man alleine hier steht und der Wind pfeift.“
„Wenn du willst, na ja...“, er starrte zu Boden, „...also du könntest ja mit zu mir können. Ich hab´ Zentralheizung und so. Ich meine wir könnten...nun...uns mit einer Decke zudecken. Ich meine, ich hab´ auch zwei, wenn Du Wert drauf legst.“
„Vergiß es!“
„Okay, war ja nur so ne Idee.“
„Wo denkst du hin? Wie sieht das denn aus, wenn morgen nur noch die Flasche mit dem Shampoo da ist?“
„Wenn du gehst, sag´ ich es Schwarzkopf“, zischte die Flasche zur Bestätigung.
Frau und Flasche schauten vorwurfsvoll auf Slurp.
„Naja war ja nur ein Vorschlag.“
„Aber du könntest mir wirklich helfen“, warf sie schnell ein. „Du könntest mir etwas anziehen.“
Slurp riß die Augen auf.
„Hör zu“, nuschelte er. „Ich würd´ dir ja gern helfen, aber meine Unterhosen sind nicht mehr die neuesten und das Basecap brauch´ ich ganz dringend und die Dieseljacke war schweineteuer.“
„Du sollst mir was zum Anziehen malen“, lachte sie.
„Achso“, Slurp atmete auf. „Ja klar. Kein Problem. Ich hab´ aber nur grün, rot und gelb.“
„Was ist denn zur Zeit Mode?“
„Neon? Oder rot? Ich glaub´ Claudia Schiffer trägt pink.“
„Egal. Irgendwas, du kannst es ja mischen und noch ein paar Muster sprühen.“
„Klaro.“
Er holte seinen Rucksack und begann darin nach seinen Utensilien zu kramen.
„Mein Walkman“, sagte er. „Für den Breakdance. Das brauch´ ich. Und das ist mein Handschuh. Hier mein cooles Basecape und die Sonnenbrille und hier die Farben.“ Er zeigt ihr die Dosen. Dann stellte er sich vor das Plakat.
„Was ist?“
„Ich laß´ mich inspirieren.“
„Okay. Und?“
„Das dauert.“
„Lange?“
„Ja, wenn du weiter fragst.“
Sie war still. Slurp ging in die Hocke und blickte durch eine imaginäre Kamera. Er drehte den Kopf. Dann seufzte er. „Willst du nicht lieber so bleiben, wie du bist?“
„Nein, jetzt mach´ schon, ich frier mir alles ab.“
„Okay, okay.“
„Und paß auf bei den Brustwarzen, da bin ich empfindlich.“
„Bei den Brust...oh ja“, keuchte Slurp und Blut schoß ihm in den Kopf. „Wir wär´s mit rot?“
Die folgenden 20 Minuten verstrichen mit ihrem Gekicher und seinen Flüchen. Die Schwarzkopfflasche gab ab und zu bissige Kommentare bezüglich Farblehre und Modedesign ab. Doch dann war es geschafft. Sie trug nun ein sehr weites, rotes Pullikleid, weil er um die Hüfte herum der Flasche ausweichen mußte, die nicht übermalt werden wollte. Die Füße steckten in roten Plüschpantoffeln mit gelben Quasten. Dazu trug sie grüne Strumpfhosen, die etwas mit dem Kleid verschwammen, aber das war in der Kürze der Zeit zu verzeihen. Als er ihr noch eine rote Bommelmütze aufsetzen wollte, wehrte sie sich energisch, denn die Haare mußten wegen dem Werbeeffekt zu sehen bleiben. Doch letztendlich sah sie doch ziemlich keck aus in ihrem neuen Outfit.
„Und?“, fragte er. „Wie fühlst du dich?“
„Es klebt und ist naß“, antwortete sie wahrheitsgemäß.
„Ja muß noch richtig trocknen“, nickte er und betrachtete sein Werk.
„Wie seh´ ich aus?“
„Wunderbar.“
„Das paßt nicht“, blubberte die Flasche. „Zu bunt. Ich trage ein dezentes blaues Etikett. Das reicht mir.“
„Und wie das paßt“, ereiferte sich Slurp. „Das ist voll der trendy Weihnachtslook.“
Hinter Slurp ertönte eine kurze Polizeisirene.
„Okay junger Mann“, rief ein Megaphon. „Jetzt nehmen wir ganz vorsichtig die Hände von der Spraydose und lassen auch das Feuerzeug, wo es ist. Und dann auf den Boden legen und die Hände und Füße weit von sich strecken und zwar so, daß wir sie sehen können.“
„Da mach´ ich mir die Jacke schmutzig“, rief Slurp über die Schulter.
„Hinlegen und Schnauze halten!“
Slurp tat was von ihm verlangt wurde, vier Polizeistiefel näherten sich.
„Haben wir dich also erwischt“, sagte der eine. „Auf frischer Tat.“
Sie zogen den Sprayer hoch und führten ihn zum Wagen.
„Aber Leute“, Slurp war sich keiner Schuld bewußt. „Ich hab´ der Frau doch bloß was angezogen. Ihr war kalt und da...“
„Ach und unser Präsidium dem war wohl auch kalt, was? Zehn Tage haben wir geschrubbt, mein Junge. Zehn Tage. Das ist noch beschissener, als Streife fahren.“
„Polizeipräsidium?“, Slurp tat erstaunt. „Was denn für ein Polizeipräsidium?“
„Ach nee. Und jetzt den Dummen markieren“, der Polizist lachte und der andere setzte hinzu. „Jetzt sag´ noch, daß Du nicht Slurp bist.“
„Wer?“
„Slurp, der Sprayer, der bald 43 Gebäude reinigen wird.“
„Ich weiß gar nicht, was Sie wollen“, Slurp verschränkte die Arme. „Ich habe ein Reklameschild verschönert und sage überhaupt nichts mehr ohne meinen Anwalt.“
„Okay, okay. Mach´ was du denkst.“
Die Streife fuhr los und Slurp bemerkte irritiert, daß sie statt dem Polizeifunk einen Schlagersender hörten.
Zurück blieb ein Werbeplakat mit einer angezogenen Frau, die mit ihren trockenen Haaren für ein Shampoo warb. Jetzt wieder mit einem reizenden Lächeln. Einige Beobachter hätten erkennen können, daß ihr Blick vor Zufriedenheit strahlte. Den meisten fiel wohl das Signum des Künstlers auf, das sich neben der Schwarzkopfflasche grün vom weißen Untergrund abhob. Einige Tage später fragten zumeist junge Kunden, die der Breakdance-Scene zuzurechnen waren, in diversen Läden nach dem Slurp-Shampoo.
Das sah ja nach dem Anfang einer vielversprechenden Karriere aus.